Ecuador bleibt auf Linkskurs
Große Zustimmung für eine verfassunggebende Versammlung
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *
Vier Fünftel der Ecuadorianer möchten eine verfassunggebende Versammlung. Präsident Rafael Correa sieht in diesem Votum einen »historischen Sieg«. IWF und Weltbank erteilt der Sozialist eine deutliche Absage.
Rafael Correa strahlte übers ganze Gesicht. Bereits eine halbe Stunde nach Schließung der
Wahllokale begann der ecuadorianische Präsident am Sonntagabend seine Pressekonferenz in der
Küstenmetropole Guayaquil. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass die überwältigende Mehrheit
der Ecuadorianer die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung befürwortet. Laut
Nachwahlbefragung der Firma Cedatos-Gallup stimmten gut 78 Prozent dafür, 11,5 Prozent
dagegen, 10,4 Prozent wählten ungültig oder gaben leere Stimmzettel ab. Die Fehlerquote soll bei
zwei Prozent liegen.
Präsident Correa bezeichnete das Ergebnis als historischen Sieg für die Demokratie, als
»erdrückenden Sieg« für das Ja. Er werde nicht den Dialog »mit denselben wie immer« suchen,
sagte er in Anspielung auf die diskreditierten Politiker der Traditionsparteien, sondern die »besten
Männer und Frauen« des Landes für die Bildung seiner Wahlliste auswählen. Auch mit dem
ehemaligen Präsidenten Lucio Gutiérrez, in dessen Hochburg Napo in Amazonien es die meisten
Nein-Stimmen gab, schloss Correa eine Verständigung aus. Gutiérrez verfüge über keine der drei
Grundvoraussetzungen: »Patriot zu sein, saubere Hände und einen klaren Verstand zu haben«.
Ähnlich wie Evo Morales in Bolivien strebt der Linksnationalist Correa eine verfassungsrechtliche
»Neugründung« seines Landes an und wird dabei von den Basisorganisationen der Indígenas und
der Afroecuadorianer unterstützt. Luis Macas vom Indígena-Dachverband CONAIE kündigte an:
»Wir werden von der verfassunggebenden Versammlung aus regieren. Wir werden den alten Staat
hinwegfegen und mit den Privilegien einer Hand voll Reicher aufräumen.«
Durch die neue Verfassung möchte Correa die institutionelle Krise der letzten zwölf Jahre
überwinden: Er selbst ist bereits der achte Präsident seit 1996. Bei den Kongresswahlen im
vergangenen Oktober hatte er auf die Bildung einer eigenen Liste verzichtet und in den Wochen vor
der Volksabstimmung sogar mit seinem Rücktritt kokettiert. »Das war Taktik«, räumte Innenminister
Gustavo Larrea nach dem Sieg ein. »Wir waren uns immer sicher, dass wir gewinnen würden. Der
Präsident wollte alle demokratischen Kräfte mobilisieren, und das Ergebnis sehen wir jetzt.«
Auf seiner Pressekonferenz attackierte der 44-jährige Staatschef zugleich die Weltbank und den
Internationalen Währungsfonds (IWF). Ecuador habe seine Restschulden beim IWF am Donnerstag
beglichen, sagte Correa und fügte hinzu: »Wir wollen nichts mehr von dieser internationalen
Bürokratie hören. Wir werden uns von niemandem mehr erpressen lassen.« Die Weltbank werde er
des Landes verweisen, falls sie »keine zufriedenstellende Erklärung« für eine bezeichnende Episode
des Jahres 2005 liefern kann. Als Correa damals für wenige Wochen Wirtschaftsminister war, hatte
die Weltbank einen bereits zugesagten Kredit über 100 Millionen US-Dollar zurückgehalten.
Correa bemühte sich aber auch, Ängste im bürgerlichen Lager zu zerstreuen: An der 2000
durchgesetzten Dollarisierung werde er während seiner Amtszeit festhalten, sagte er. Und zum
immer wieder geäußerten Vorwurf, er folge den Vorgaben seines venezolanischen Kollegen Hugo
Chávez, äußerte er sich deutlich: »In Ecuador gibt es eine Regierung und einen Präsidenten, die als
Instrument der Bürgermacht dienen. Wir werden nicht zulassen, dass in unserem Land ein
ausländisches Machtmodell installiert wird.«
Die Opposition zeigte sich gespalten: Während sich viele Politiker wegduckten und andere für das
Nein warben, stimmte der Christsoziale Jaime Nebot mit Ja. Der Bürgermeister von Guayaquil
forderte die bürgerlichen Parteien auf, sich am neuen Verfassungsprozess zu beteiligen: »Den
Wandel kann man nicht von außen bewirken. Für einen totalitären Ansatz gibt es keinen Platz, denn
die Vollmachten der Abgeordneten sind beschränkt.«
Gestern lag das Ja nach Auszählung von 59 Prozent der Wahlbezirke sogar bei 81,5 Prozent. Mit
dem amtlichen Endergebnis ist erst in einigen Tagen zu rechnen, mit der Ausschreibung der Wahl
Anfang Mai. Im Oktober dürften die 130 Abgeordneten zur verfassunggebenden Versammlung
gewählt werden, die bis 2008 ein neues Grundgesetz erarbeiten sollen. Dessen Entwurf wird erneut
einer Volksabstimmung vorgelegt werden.
* Aus: Neues Deutschland, 17. April 2007
Rückenwind für Correa
Von Timo Berger **
Das Ergebnis fiel überraschend klar und unzweideutig aus. Die große Mehrheit der Ecuadorianer entschied sich in einem Referendum am Sonntag für die von Rafael Correa angestrebte »Neugründung« des Landes. 78,1 Prozent der Wähler, so das vorläufige Ergebnis am Montag, stimmten für die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung, 11,5 Prozent lehnten den Vorschlag des Präsidenten ab. Der Rest gab ungültige oder nicht ausgefüllte Wahlscheine ab. Mit der offiziellen Bestätigung der Zahlen wird nicht vor Freitag gerechnet; dann wird auch klar sein, wie viele der fast 9,2 Millionen Wahlberechtigten sich an dem Referendum beteiligt haben.
Der linksgerichtete Präsident wertete die Abstimmung als »historischen Sieg«. Es habe eine »neue Etappe« begonnen, verkündete Rafael Correa in seiner ersten Ansprache nach Schließung der Wahllokale. Die Verfassungsversammlung ebne den Weg zu einer »wahrhaft repräsentativen Demokratie« und der »Zerschlagung des Neoliberalismus«. Gleichzeitig warnte der 44jährige Wirtschaftswissenschaftler in seiner Heimatstadt Guayaquil an der Pazifikküste: »Es liegen noch mehrere Schlachten vor uns«. Er werde sich jetzt darauf konzentrieren, eine Einheit der »progressiven und patriotischen Kräfte« zu bilden, um die Mehrheit der 130 Sitze im Nationalkonvent zu erringen. Dieser soll am 2. Mai gewählt werden.
Hugo Chávez gratulierte seinem Freund Correa im venezolanischen Fernsehen: »So kommen wir in Lateinamerika voran, von Sieg zu Sieg, von Triumph zu Triumph«. Correa will wie Chávez einen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« einführen und das neoliberale Wirtschaftsmodell überwinden, machte am Sonntag aber auch seine Differenzen zum venezolanischen Präsidenten deutlich: »Hier folgt niemand der Linie von Chávez, wir folgen der ecuadorianischen Linie, die der zutiefst humanistischen Bürger, die einen radikalen Wandel wollen«. Vorgesehen sind weder Verstaatlichungen noch die Ablösung des US-Dollars als nationale Währung – eine Nachricht, die die Finanzmärkte beruhigen dürfte. Allerdings kündigte Correa am Sonntag die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf: »Wir wollen mit dieser internationalen Bürokratie nichts mehr zu tun haben.« Bereits am Donnerstag vergangener Woche hatte Ecuador seine letzten IWF-Schulden zurückgezahlt.
Viele Ecuadorianer erhoffen sich von einer Reform der Verfassung vor allem ein Ende der politischen Instabilität. In den vergangenen Jahren häuften sich institutionelle Krisen in dem Andenland. Keiner der drei Vorgänger Correas blieb bis zum Ende seines Mandats im Amt. Dazu kommt, daß die Kompetenzen zwischen Parlament und Staatsoberhaupt unklar verteilt sind, so daß sich beide Staatsorgane oft gegenseitig blockierten. Zuletzt war es zwischen Correa und dem von der Opposition beherrschten Kongreß Anfang März zum Eklat gekommen, weil letzterer das Referendum verhindern wollte. Die Oberste Wahlbehörde entzog daraufhin 57 von 100 Abgeordneten das Mandat.
Nach Correas Vorstellungen soll der Nationalkonvent die Macht des Kongresses einschränken. Das Parlament wird das Staatsoberhaupt nur noch absetzen können, wenn es gleichzeitig Neuwahlen ausruft. Doch auch die Befugnisse des Präsidenten sollen limitiert werden: Das Parlament soll er höchstens einmal auflösen dürfen. Außerdem möchte Correa das Staatsgebiet neu gliedern und den Regionen mehr Autonomie von der Zentralregierung gewähren.
** Aus: junge Welt, 17. April 2007
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