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Ecuadors Krise spitzt sich zu

Streit um verfassunggebende Versammlung

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Der Ausschluss von 57 oppositionellen Kongressabgeordneten facht den Streit um eine verfassunggebende Versammlung in Ecuador weiter an.

Sah es zunächst danach aus, als könnte der Streit zwischen dem Kongress und Präsident Rafael Correa im Dialog überwunden werden, so stehen die Zeichen nun auf Sturm. Mit Tränengas und Knüppeln versuchte die Polizei am Dienstag, eine Gruppe am Eindringen in den Kongress zu hindern. Dabei handelte es sich nicht etwa um aufgebrachte Demonstranten, sondern um Abgeordnete. Wegen der Blockade einer von Staatschef Rafael Correa angestrebten Verfassungsreform, die den Parteieneinfluss beschneidet, hatte das Wahlgericht oppositionelle Parlamentarier suspendiert. Jene, die trotzdem den Plenarsaal erreichten, riefen: »Wir leben in einer Diktatur!«, und warfen Präsident Correa Despotie vor.

Das Oberste Wahlgericht hatte überraschend 57 der insgesamt 100 Abgeordneten das Mandat aberkannt – sie hätten widerrechtlich einen Wahlprozess manipuliert. Anfang März hatte sie nämlich Jorge Acosta, den Präsidenten des Wahlgerichts, abgesetzt. Er habe im Auftrag Correas zu einem Referendum über eine verfassunggebende Versammlung aufgerufen, ohne die Regeln für das Plebiszit vom Kongress verabschieden zu lassen. Im Kongress ist die Angst groß, dass eine verfassunggebende Versammlung das Parlament auflösen könnte. Noch im Februar hatten die Abgeordneten grünes Licht für ein solches Gremium gegeben; es sollte jedoch weder das Staatsoberhaupt absetzen noch das Parlament auflösen dürfen. In der Fassung des Obersten Wahlgerichts schien genau das aber möglich zu sein. Kurzerhand wurde Acosta abgesetzt – mit einem Bumerang-Effekt für die betroffenen Abgeordneten.

Inzwischen ist der Kongress seit mehr als einer Woche paralysiert. Um Gesetze verabschieden zu können, müssen mindestens 51 Abgeordnete anwesend sein. Parlamentspräsident Jorge Cevallos hatte am Dienstag versucht, auch die verbannten Abgeordneten einzuladen, aber der Versuch endete in den besagten Tumulten. »Meine Absicht war, Anarchie zu verhindern«, rechtfertigte sich Cevallos, der zudem beim Verfassungsgericht beantragte, die Absetzung der Abgeordneten rückgängig zu machen. Ohne Erfolg.

Für Präsident Correa ist das ein politisches Geschenk, das er zäh verteidigt. Schließlich hatte er bei den Wahlen im vergangenen Jahr bewusst keine eigenen Abgeordneten aufgestellt. Er gewann letztlich mit dem Versprechen, den Kongress durch eine verfassunggebende Versammlung auflösen zu lassen. Damit will Correa das Land reformieren und die korrupten traditionellen Parteien entmachten. Seine Anhänger rief er zu Demonstrationen auf, um die Entscheidung gegen die Abgeordneten zu verteidigen.

Der Opposition warf Correa vor, Chaos stiften zu wollen, und machte sie für mögliche künftige Gewaltakte verantwortlich. Die Nerven scheinen auf beiden Seiten blank zu liegen. »Sollten diese Abgeordneten nochmals versuchen, in den Kongress einzudringen, werden die Indigenas und das ganze Land einen Volksaufstand ausrufen«, sagte Indigena-Vertreter Humberto Cholango. »Hier herrscht eine sture politische Klasse, die nicht auf den Willen der Menschen hört: eine verfassunggebende Versammlung.« Das Wahlgericht hat das Referendum darüber für den 15. April angesetzt.

* Aus: Neues Deutschland, 15. März 2007


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