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Kräftemessen in Ecuador

Kompetenzgerangel stört ehrgeizige Pläne von Präsident Correa

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Kompetenzgerangel in Ecuador: Das Verfassungsgericht setzt 50 geschasste Abgeordnete wieder ein. Mit den Stimmen ihrer Nachrücker suspendiert der Kongress die Verfassungsrichter.

Das Kräftemessen der Gefolgsleute von Ecuadors linkem Präsidenten Rafael Correa in Kongress und Justiz mit der konservativen Opposition nimmt immer härtere und absurdere Züge an. Am Montag entschied das Verfassungsgericht, 50 der 57 im März abgesetzten Parlamentarier das Mandat zurückzugeben. Im Gegenzug setzte der Kongress mit den 52 Stimmen der anwesenden Abgeordneten, darunter Nachrückern der Ab- und wieder Eingesetzten, die neun obersten Verfassungsrichter ab. Deren Amtszeit sei abgelaufen, sagte Kongress-Vizechef Pacheco.

Vor dem Kongressgebäude lieferten sich Correa-Anhänger Scharmützel mit der Polizei. Zugleich stellte eine Staatsanwältin Haftbefehle gegen 24 der 50 Oppositionsabgeordneten aus, denen »Verschwörung gegen den Staat« vorgeworfen wird. Sechs der von den Haftbefehlen bedrohten Parlamentarier erklärten sich in Bogotá zu politisch Verfolgten. »Wir schweben in Lebensgefahr«, behauptete die Abgeordnete Gloria Gallardo sogar, weitere Kollegen dächten daran, in den USA oder Peru um Asyl zu ersuchen.

Correa sagte, die Regierung habe mit den Haftbefehlen nichts zu tun. Für sein zielstrebig verfolgtes Projekt einer Verfassungsreform hatte der Staatschef in einer Volksabstimmung am 15. April 81,7 Prozent der Stimmen erhalten. Das Oberste Wahlgericht setzte nun den Termin für die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung fest: Am 30. September wählen die Ecuadorianer jene 130 Abgeordneten, die das Grundgesetz für die »Neugründung« des Andenlandes ausarbeiten werden.

Auf einer Pressekonferenz zog der Präsident unterdessen höchst beschwingt Bilanz seiner ersten 100 Tage im Amt, sonnte sich in seiner auf die Rekordmarke von knapp 90 Prozent gestiegenen Popularität, kündigte umfangreiche Sozialprogramme für die Krisenregion an der Grenze zu Kolumbien an – und zeigte sich im Übrigen gelassen. »Wir erleben einen magischen Moment in der Geschichte Ecuadors«, sagte der Linksnationalist, der sich seit seinem Amtsantritt als selbstbewusster und eigenständiger regionaler Akteur neben Hugo Chávez in Venezuela und dem Brasilianer Luiz Inácio Lula da Silva behauptet.

»Wir haben immer gesagt, dass wir uns am Sozialismus des 21. Jahrhunderts orientieren«, betonte Correa. »Doch es handelt sich nicht um den traditionellen Sozialismus, in dem die Produktionsmittel verstaatlicht werden.« Ihm gehe es vielmehr darum, die »komplexen sozialen Beziehungen« zu berücksichtigen und neue Entwicklungswege zu suchen, »damit die Leute nicht im Überfluss, aber glücklich« leben. »Im Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist die Arbeit wichtiger als das Kapital, die Gesellschaften wichtiger als der Markt.«

Mit dem »Plan Ecuador« will Correa die Krise in der Grenzregion zu Kolumbien entschärfen. Die Regierung werde 2007 mindestens 135 Millionen US-Dollar für Sozialprogramme ausgeben, kündigte Correa an. »Ecuador ist das lateinamerikanische Land mit den meisten Flüchtlingen, und fast alle kommen aus Kolumbien«, sagte Außenministerin María Fernanda Espinosa.

Für die Initiative, die Correa als »Antwort auf den militaristischen und gewalttätigen Plan Colombia« bezeichnet hatte, erhofft er sich internationale Unterstützung. Der »Plan Colombia«, mit dem Kolumbien den Drogenhandel und die FARC-Guerilla bekämpfen will, wurde seit dem Jahr 2000 mit rund fünf Milliarden US-Dollar von Washington unterstützt.

Andererseits sandte Correa Entspannungssignale in Richtung Norden: Diese Woche kündigte er an, Botschafter Alejandro Suárez, der im Dezember »zu Konsultationen« zurückbeordert worden war, werde demnächst wieder seinen Posten in Kolumbien einnehmen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. April 2007


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