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Chevron will nicht zahlen

Ecuador fordert von US-Ölmulti Entschädigung in Milliardenhöhe für Zerstörung des Regenwaldes. Unterstützung für Quito aus Berlin

Von Lena Kreymann und André Scheer

Mehrere Bundestags- und Kommunalabgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei haben sich in einem Aufruf mit der indigenen Bevölkerung Ecuadors solidarisiert, die von dem US-Ölmulti Chevron Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe für die Zerstörung des Regenwaldes am Amazonas verlangt. Bei einer Veranstaltung der Botschaft des südamerikanischen Landes in Berlin am Dienstag abend schlug eine Vertreterin des Deutschen Freidenker-Verbandes (DFV) zudem die Gründung eines Solidaritätskomitees vor, das Ecuadors Anliegen unterstützen soll.

Schon 1993 hatten rund 30000 Bewohner der nordecuadorianischen Provinz Sucumbíos den (2001 von Chev­ron aufgekauften) Ölkonzern Texaco verklagt, weil dieser Milliarden Liter giftiger Erdölabfälle im Regenwald entsorgt und dadurch das Ökosystem verschmutzt hatte. Nachdem die zunächst in den USA anhängige Klage auf Antrag der Corporation in Ecuador verhandelt wurde, verurteilte 2011 dort ein Gericht Chevron zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 18 Milliarden US-Dollar. Interessantes Detail der Entscheidung: Hätte sich der Konzern innerhalb von zwei Wochen für sein Verhalten entschuldigt, wäre nur die Hälfte der Strafe fällig geworden. Chevron denkt jedoch nicht daran, um Verzeihung zu bitten. Statt dessen wettert das Unternehmen auf seiner Homepage, daß die Klägeranwälte »gefälschte Daten« vorgelegt hätten, die von »nur angeblich unabhängigen Umweltexperten« stammten. Diese seien tatsächlich aber dafür bezahlt worden, »übertriebene Folgen für die Umwelt« festzustellen. Zudem habe sich die ecuadorianische Regierung in das Verfahren eingemischt, beklagt das Unternehmen und verweist auf einen Besuch von Staatschef Rafael Correa in der betroffenen Region. Ecuadors Botschafter in Berlin, Jorge Jurado, wies das am Dienstag zurück. Auch US-Präsident Barack Obama habe nach der Katastrophe auf der für BP arbeitenden Bohrplattform »Deepwater Horizon« 2010 die von der Ölverschmutzung betroffenen Regionen in Louisiana und Texas besucht. Wenn aber Correa sein Recht wahrnehme, sich vor Ort zu informieren, werde ihm eine Verletzung der Unabhängigkeit der Justiz unterstellt. »Wir brauchen Unterstützung, denn dieser Kampf gegen den Ölmulti ist noch lange nicht zu Ende«, so Jurado.

Texaco hatte zwischen 1971 und 1992 in Ecuador Erdöl gefördert, ohne daß das Unternehmen von staatlicher Seite nennenswerten Kontrollen unterworfen worden wäre. Dabei entsorgte der Konzern nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur ANDES rund 16,5 Milliarden Liter giftige Abwässer in ungeschützten Becken. Als Texaco sich 1992 aus Ecuador zurückzog, hinterließ es demnach 916 solcher Giftseen, einige von diesen nur wenige Meter von den nächstgelegenen Siedlungen entfernt. Aus den Becken sickerte die schwer kontaminierte Flüssigkeit in das Grundwasser und die Flüsse der Region. In diesen mußten sich die Anwohner, unter ihnen Tausende Kinder, waschen und baden, das Wasser diente zum Trinken und Kochen.

1995 schlossen Texaco und die damalige Regierung in Quito ein Abkommen, demzufolge das US-Unternehmen die Umweltverschmutzung nur zu dem Prozentsatz beseitigen mußte, der seinem Geschäftsanteil an den Bohrfeldern entsprach – 38 Prozent. Die übrigen 62 Prozent hielt das Staatsunternehmen Petro­ Ecuador. Auf diese Vereinbarung beruft sich Chevron als Rechtsnachfolger von Texaco nun, und tatsächlich entschied Mitte September der Ständige Schiedshof in Den Haag zugunsten des Ölmultis. Ecuador habe darauf verzichtet, das Unternehmen für die Schäden haftbar zu machen. Im Gespräch mit jW wies Botschafter Jurado diese Darstellung zurück. Sie beruhe auf falschen Tatsachen und auf dem Druck des Ölmultis auf das Tribunal. Man habe die Entscheidung deshalb angefochten. Der Vertrag habe keine Gültigkeit für Forderungen von Einzelpersonen oder der betroffenen Gemeinden.

Statt zu seiner Verantwortung zu stehen, hat Chevron nun seinerseits die Opfer der Umweltzerstörung und deren US-Rechtsanwalt Steven Donziger vor einem Bundesgericht in New York verklagt. Der Konzern will verhindern, daß die Betroffenen die Entschädigung in den USA eintreiben können. In Ecuador selbst ist das nicht möglich, da Chevron dort nicht mehr präsent ist. Doch die erste Prozeßwoche ist für den Konzern offenbar nicht gut gelaufen, obwohl Richter Lewis A. Kaplan Beobachtern zufolge das Unternehmen klar bevorzugt. Chevron mußte einen der wichtigsten Anklagepunkte gegen Donziger zurückziehen und einräumen, daß der Rechtsvertreter der Opfer nie veranlaßt habe, daß die ecuadorianische Staatsanwaltschaft gegen einen der wichtigsten Konzernanwälte, Ricardo Reis Veiga, strafrechtliche Ermittlungen aufnimmt. Damit verhinderte Chevron jedoch, daß Reis Veiga mit Belegen dafür konfrontiert werden konnte, daß er selbst Beweise manipuliert hat, um das wahre Ausmaß der von seinem Auftraggeber verursachten Schäden zu verschleiern. Mit einer Entscheidung in diesem Verfahren wird erst in mehreren Wochen gerechnet.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 24. Oktober 2013


"Das Leben der Bevölkerung verbessern"

Ecuador will Umweltschutz und Wirtschaftsentwicklung vereinbaren. Ein Gespräch mit Jorge Jurado **

Jorge Jurado ist Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland.

Im Fall Chevron-Texaco geht Ecuador gegen den Ölkonzern wegen Umweltverschmutzung vor. Gleichzeitig kündigte der Präsident des Landes, Rafael Correa, aber an, daß im Nationalpark Yasuní-ITT mit der Erdölgewinnung begonnen werden soll. Ist das nicht ein Widerspruch?

Das sind zwei vollkommen verschiedene Angelegenheiten, die man nicht vermischen darf. Die gegenwärtige Regierung hat für die indigene Bevölkerung und den Umweltschutz mehr als jede andere in der Geschichte unseres Landes getan. Das kann man nicht leugnen, das ist mit Zahlen zu beweisen und überall im Land zu sehen. Im Fall Chevron-Texaco verteidigt Ecuador seine Souveränität und versucht, die Welt überhaupt erst einmal darüber zu informieren, was die Machenschaften von Ölmultis und anderen Konzernen gegen die Länder des Südens sind. Das ist die Hauptsache in diesem Fall. Das beste Beispiel dafür ist die Verurteilung des Unternehmens Chevron-Texaco, das sich jetzt weigert, den Richterentscheid anzuerkennen.

Wieso beginnt Ecuador jetzt mit der Erdölförderung in Yasuní-ITT?

Weil wir das Geld brauchen, um aus der Unterentwicklung herauszukommen. Trotz allem, was wir in den letzten sechs Jahren geschafft haben, sind wir immer noch ein armes Land. Teile der Bevölkerung leben immer noch in Armut. Es besteht also nach wie vor die Notwendigkeit, Geld zu investieren, in das Gesundheitswesen, in die Bildung und in viele weitere Bereiche. Wir sind längst noch nicht an dem Punkt angekommen, zu sagen, wir können es uns leisten, damit aufzuhören.

Damals haben wir die Yasuní-ITT-Initiative gestartet, um zumindest die Hälfte der Erträge, die wir durch die Erdölförderung in diesem Gebiet erzielen können, durch internationale Kompensationen zu erhalten. Das war an sich kein Verzicht. Wir haben gesagt, wir stellen die eine Hälfte und bitten die Weltgemeinschaft, die andere Hälfte zu zahlen.

Präsident Correa hat bei seinem Berlinbesuch im April um Investitionen geworben. Birgt es nicht die Gefahr, daß ähnliche Fälle wie der von Chevron-Texaco auftreten, wenn man sich mehr Investoren ins Land holt?

Diese Gefahr kann dort entstehen, wo es keine staatlichen Kontrollen gibt. Es braucht eine politische Linie, die darauf abzielt, das Leben der Bevölkerung zu verbessern. Wenn das einzige Ziel von Regierung und Konzernen die direkte Bereicherung ist, dann ist die Gefahr auf jeden Fall gegeben. Aber in unserer Regierung arbeiten wir daran, daß wir alles, was wir bekommen, innerhalb des Landes nutzen, um die Lage der Bevölkerung zu verbessern. Wir werden selbstverständlich dafür sorgen, daß eine solche Umweltverschmutzung wie durch Chevron-Texaco nicht wieder eintritt.

Einem Urteil des Schiedshofes in Den Haag zufolge soll Ecuador alle Maßnahmen zur Umsetzung des ecuadorianischen Urteils gegen Chevron-Texaco aussetzen. Wie bewerten Sie das?

Wir haben das Urteil angefochten und warten auf das Ergebnis dieses Verfahrens. Wir werden die Entscheidung nicht anerkennen, da sie nichtig ist. Sie beruht auf falschen Behauptungen, auf dem Druck eines Ölmultis auf die Gerichtsbarkeit und auf massiven Verfahrensfehlern.

Interview: Lena Kreymann

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 24. Oktober 2013


Schlammschlacht um Ölschlamm

Ölkonzern will Strafzahlungen für Umweltverschmutzung auf Ecuador abwälzen

Von Harald Neuber ***


Ecuador und der US-Multi Chevron streiten sich um die Umweltfolgen der Erdölförderung. Nun eskaliert der Streit juristisch und politisch.

Ecuadors Regierung versucht mit einer internationalen Kampagne, den Druck auf das US-amerikanische Erdölunternehmen Chevron zu erhöhen. Der Konzern soll als Nachfolger von Texaco für massive Umweltverschmutzungen aufkommen, die in Folge der Erdölförderung in dem südamerikanischen Land entstanden sind.

Im Zuge der seit zehn Jahren dauernden Rechtsstreitigkeiten kommt es jetzt zum Showdown. Nachdem ein ecuadorianisches Gericht Chevron vor zwei Jahren letztlich zu einer Zahlung von 19 Milliarden US-Dollar verurteilte, hat der Konzern nun den Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag angerufen. Setzt sich Chevron mit diesem Vorgehen durch, müsste Ecuador für die Strafsumme aufkommen.

Das US-Unternehmen Texaco, das zwischen 1964 und 1992 in Ecuador Erdöl förderte, wurde 2001 von Chevron übernommen. Zu diesem Zeitpunkt liefen bereits Klagen von Anwohnern der ehemaligen Fördergebiete. Insgesamt habe Texaco 71 Millionen Liter Erdölrückstände und 64 Millionen Liter Rohöl hinterlassen. Dieses giftige Erbe belaste rund zwei Millionen Hektar, vor allem im ecuadorianischen Teil des Amazonas. Die Kläger, vor allem indigene Organisationen, berufen sich auf einen Artikel des Fördervertrags, nach dem toxische Rückstände in tiefe Erdschichten gepumpt hätten werden müssen. Tatsächlich habe Texaco Rohöl und andere Rückstände nur mit einer dünnen Erdschicht bedeckt.

In Berlin stellte Ecuadors Botschafter, Jorge Jurado, die Folgen dieses Vorgehens am Dienstagabend vor. »Dieses Erdöl ist dann nach einigen Jahren nicht nur wieder an die Oberfläche gespült worden, sondern auch in das Grundwasser gelangt«, sagte Jurado vor rund 80 Gästen im Haus der Demokratie und Menschenrechte. Dabei sei das US-Unternehmen verpflichtet gewesen, die Folgen zu beseitigen.

Jurados Auftritt in Berlin und anderen bundesdeutschen Städten steht im Zusammenhang mit einer politischen Kampagne Ecuadors. Die Initiative mit dem Titel »Die schmutzigen Hände von Chevron in Ecuador« war von Präsident Rafael Correa Mitte September in Reaktion auf die Klage von Chevron in Den Haag initiiert worden. Der US-Multi argumentiert, dass nicht seine Vorgängerfirma Texaco, sonder der staatliche ecuadorianische Erdölkonzern Petroecuador für die Schäden verantwortlich sei.

Chevron verhinderte das letzte Verfahren in den USA und drängte auf eine Verlegung nach Ecuador. Das Urteil der ecuadorianischen Justiz aus dem vergangenen Jahr will das Unternehmen aber nicht akzeptieren. »Mehr noch«, erboste sich Jurado bei seinem Vortrag in Berlin: »Unter Berufung auf ein Investitionsschutzabkommen zwischen Ecuador und den USA will Chevron den ecuadorianischen Staat nun sogar zu einer sogenannten moralischen Gutmachung verpflichten«, so Jurado. Die Argumente des US-Multis wies er zurück. Petroecuador sei zu keinem Zeitpunkt für die Texaco-Bohrungen verantwortlich gewesen.

Der Streit zwischen beiden Seiten wird mit harten Bandagen ausgefochten: Während sich Chevron nun auf das unternehmerfreundliche Investitionsschutzabkommen beruft – obwohl dieses erst 1997 in Kraft trat –, kontert Ecuadors Regierung mit einer internationalen Kampagne. Denn obwohl die Regierung nie geklagt hat, soll sie nun die Schadenssumme übernehmen. Dies würde den Staatsbankrott bedeuten, sagte Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño am Dienstag in der Hauptstadt Quito. 19 Milliarden US-Dollar würden knapp einem Fünftel des Bruttoinlandsproduktes entsprechen.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Oktober 2013


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