Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gegenentwurf Widerstand

Peer Heinelt über das von Joachim Gauck gezeichnete Deutschlandbild. Eine Antwort auf die Kolumne "Silete Theologi!" von Raimund Krämer (nd vom 5.2.2014) *

Raimund Krämer, Chefredakteur der außenpolitischen Zeitschrift »Welttrends«, hat sich an dieser Stelle über die Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck bei der Münchner Sicherheitskonferenz empört. [Siehe den Beitrag unten auf dieser Seite.] Seine berechtigte Kritik an den pfäffischen Belehrungen des hiesigen Staatsoberhauptes zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass sie das von Gauck entworfene Deutschlandbild nicht einmal ansatzweise in Zweifel zieht. Sicherlich sind Gaucks Ausführungen an »Geschichtsvergessenheit und moralischer Hybris« kaum zu überbieten, wie Krämer schreibt. Die Bemerkung des Bundespräsidenten, »Deutschlands historische Schuld« werde instrumentalisiert, um legitimen militärischen Interventionen eine Absage zu erteilen, ist damit jedoch nur höchst unzureichend charakterisiert. Denn Gaucks Aussage liegt die Vorstellung zugrunde, Deutschland habe sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs »grundsätzlich gebessert«, weshalb man nunmehr wieder stolz auf die »eigene Nation« sein dürfe. Genau hier aber liegt das Problem.

Das von Gauck halluzinierte »gute Deutschland« zeichnet sich seiner Rede zufolge etwa dadurch aus, dass es mit »viel Geld« unermüdlich zur »Überwindung« der »europäischen Krise« beiträgt und »große Summen« in die »Entwicklungszusammenarbeit« investiert, um in den Ländern der sogenannten Dritten Welt »stabile« und »sichere« Gesellschaften aufzubauen. Das exakte Gegenteil ist der Fall: Die besagte Krise ist einer Exportpolitik geschuldet, mit der Deutschland, gestützt auf ein durch das Zwangssystem der Hartz-Gesetze abgesichertes niedriges Lohnniveau, seine europäischen Nachbarstaaten systematisch niederkonkurriert hat. Viel Geld fließt ausschließlich in die Taschen der Gläubiger und Banken, während Deutschland umgekehrt den krisengeschüttelten EU-Staaten eine rigide Austeritätspolitik diktiert, die die dortigen Lohnabhängigen in Arbeitslosigkeit, Hunger und Elend stürzt. Dass gerade bei älteren Griechen in diesem Zusammenhang Erinnerungen an die Ausplünderung ihres Landes durch die Nazibesatzer hochkommen, ist wenig verwunderlich. Auch die sogenannte Entwicklungshilfe ist mitnichten edel, hilfreich und gut: Sie dient erklärtermaßen als »Türöffner« für deutsche Unternehmen und fließt somit direkt an diese zurück. Die an die Implementierung von »Entwicklungsprojekten« gekoppelten Freihandelsabkommen haben in zahlreichen afrikanischen Staaten bereits zur Zerstörung der einheimischen Märkte durch deutsche Billigimporte geführt.

Deutschland, das von den internationalen Ausbeutungsbeziehungen überproportional profitiert, hat selbstverständlich ein existenzielles Interesse daran, diese aufrechtzuerhalten und nach Möglichkeit zu perpetuieren – wenn nötig mittels Krieg. Bereits 1992 bezeichneten die vom damaligen Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) verkündeten »Verteidigungspolitischen Richtlinien« die Bundeswehr als Instrument zur »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt«. Die hierin zum Ausdruck kommende militärpolitische Doktrin wurde seither von allen Bundesregierungen fortgeschrieben. Parallel dazu erfolgte die schrittweise »Transformation« der deutschen Streitkräfte von einer Armee der Landesverteidigung zu einer global agierenden Interventions- und Besatzungstruppe. Gauck hat auf diesem Gebiet also keine »bisher nur angelehnte Tür« aufgestoßen, wie Krämer schreibt, sondern lediglich öffentlich Vollzug gemeldet. So und nur so ist der tosende Applaus bürgerlicher Politiker und Massenmedien für die Präsidentenrede bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu verstehen.

Wie soll vor diesem Hintergrund nun der von Krämer am Ende seines Beitrags angemahnte linke »Gegenentwurf zur Rolle Deutschlands in der Welt« aussehen? Ein solcher müsste die Kritik des deutschen Militarismus und Imperialismus an die erste Stelle setzen. Die Militarisierung der Gesellschaft ist nämlich keine abstrakte »Gefahr«, wie Krämer suggeriert, sondern – da für die Kriegsführung unabdingbar – bereits bittere Realität: Universitäten forschen für das Militär, Schulen bieten »Jugendoffizieren« eine Propagandaplattform, Arbeitsagenturen fungieren als verlängerter Arm der Armeewerber. Es gilt, Widerstand zu organisieren – Widerstand gegen dieses Deutschland.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Februar 2014


Silete Theologi!

Raimund Krämer über die Großmachtfantasien des Bundespräsidenten und eine notwendige außenpolitischen Diskussion in der politischen Linken **

»Silete Theologi! – Schweigt, Ihr Theologen!« rief Ende des 16. Jahrhunderts der italienische Jurist Alberico Gentili, als es um die Frage des Krieges gegen die Türken ging. Die Mehrheit der Theologen jener Zeit befürwortete ihn mit Verve, denn es sei ja ein »gerechter Krieg«. Nun hat sich wieder ein Prediger zu Krieg und Frieden gemeldet und das Hohelied auf die Verteidigung der »gerechten Sache« gesungen. Er tat es nicht von einer Kanzel und nicht als Pastor. Es geschah zu München auf einer privaten Sicherheitskonferenz, und er sprach als Präsident der Bundesrepublik.

Es sei die Zeit gekommen, dass sich Deutschland der Welt zuwende – war es doch in den vergangenen Jahren völlig im selbstvergessenen Winterschlaf. Das Staatsoberhaupt raunte von Verwerfungen unserer Zeit, vernetzter Welt, Terrorismus und neuen Weltmächten. Ja und von Afrika, was in den vergangenen Tagen ins Visier auch anderer Politiker geraten ist. Und um Interessen ging es: um »Kerninteressen«, »wichtigste Interessen« und »eigene Interessen«.

Handeln und nicht Zurückhaltung sei das Gebot der Stunde: »früher, entschiedener und substanzieller«. Letzteres konkretisierte er: Einsatz des Militärs. Sicherlich: als »ultimo ratio« und nur mit Ermächtigung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, wie beim Kosovo-Krieg schon einmal mit Erfolg durchgespielt. Damals hatte ein gewisser Joseph Fischer, ehemals katholischer Messdiener, seine »historische Rolle« gespielt und das Undenkbare möglich gemacht: dass deutsche Flugzeuge wieder Belgrad bombardieren. Jetzt ist es an dem ehemaligen protestantischen Pfarrer Joachim Gauck, Deutschland die bisher nur angelehnte Tür zur globalen Interventionsmacht ganz aufzustoßen.

Gewiss kann man in der Rede vieles lesen, was bekannt ist, und manchem kann man auch zustimmen: Deutschland zukunftsfähig machen, sich für friedliche Lösungen weltweit engagieren, mehr über internationale Politik an unseren Hochschulen diskutieren. Was sollte man dagegen einwenden? Man könnte der Rede ankreiden, dass sie für Außenpolitiker wenig Substanzielles oder gar Neues bietet. So hätte ja der Bundespräsident beim Waffenexport oder bei Konflikten – wie dem in der Ukraine – konkrete Schritte anmahnen können. Von all dem nichts. Dagegen sind Geschichtsvergessenheit und moralische Hybris mit Händen zu greifen. Das Jahr 1914 wird völlig verdrängt und gegen eine vermeintliche Instrumentalisierung der deutschen Schuld für den 2. Weltkrieg polemisiert Gauck – vier Tage nach der Rede von Daniil Granin im Bundestag über die Verbrechen der Deutschen in Leningrad.

Erschrecken lässt der Subtext dieser Rede. Texte verbergen oft Entscheidendes und deshalb, so der Philosoph Walter Benjamin, gilt es herauszulesen, was »zwischen den Zeilen« verborgen ist. Das ist bei dieser Rede so schwer nicht. Bereits dem ausgesuchten Publikum im »Bayerischen Hof«, das nur die wohlgesetzten Worte hörte, ergossen sich gewiss große Mengen an Adrenalin in die Adern. Das konservative Lager hatte sofort begriffen, was die Worte Gaucks bedeuten. Der Jubel war entsprechend, sei es in der »Welt« oder in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«: Eine Rede, die »in all ihrer Klarheit« herausragend und erinnerungswürdig sei; es sei eine »geistige Wende«, denn es würden die Dinge ausgesprochen – »und politisch gerechtfertigt«.

Auch die politische Linke verstand die Botschaft und reagierte umgehend. Sie verweist auf die Mehrheit der Deutschen, die ein militärisches Auslandsengagement der Bundeswehr ablehne, und sieht die Gefahr der Militarisierung der deutschen Gesellschaft. Sicherlich besteht diese Gefahr, wenn nun in der »Zivilgesellschaft« über militärische Interventionen palavert wird und somit der kriegsmüde deutsche Michel fit für globale Einsätze gemacht werden soll. An den Universitäten laufen ja bereits die Programme, und dies mit Erfolg! Dem berechtigten »Empört euch!« auf diese Rede muss jedoch unser Gegenentwurf zur Rolle Deutschlands in der Welt folgen. Die Linke sollte diese Gelegenheit beim Schopfe packen und ihre außenpolitische Agenda in der Öffentlichkeit breit diskutieren, und somit dieses Land in einer multipolaren und weiterhin instabilen Welt tatsächlich zukunftsfähig machen. Noch ist die Mehrheit der Deutschen für unsere Argumente offen. Noch.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. Februar 2014


Zurück zur Deutschland-Seite

Zur Deutschland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Seite "deutsche Außenpolitik"

Zur Seite "deutsche Außenpolitik" (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage