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Kurs Fernost

BRD und EU wollen ihre militärpolitische Zusammenarbeit mit den Ländern Asiens ausbauen. Letztlich hat man dabei den Konkurrenten China im Blick

Von Jörg Kronauer *

Angela Merkel und Shinzo Abe hatten es angekündigt. Als die Bundeskanzlerin und der japanische Ministerpräsident am 30. April 2014 in Berlin zusammentrafen, da überschütteten sie sich zunächst gegenseitig mit Lob. »Deutschland ist ein Land, das wirklich sehr aktiv einen Beitrag für die Weltsicherheitspolitik leistet«, schmeichelte Abe. »Ich begrüße, dass Japan im UN-Rahmen einen größeren sicherheitspolitischen Beitrag leisten möchte«, gab Merkel die Freundlichkeiten zurück. Was folgt, wenn zwei Staaten, die in den großen globalen Konflikten prinzipiell auf derselben Seite stehen, jeweils außen- und militärpolitisch offensiver werden wollen? »Wir sollten unseren sicherheitspolitischen Dialog weiter intensivieren«, schlug Abe letztes Jahr in Berlin vor. »Wir sind bereit, auf diesem Feld sehr eng mit Japan zusammenzuarbeiten«, stimmte Merkel zu. Sie waren sich einig, und ihre Ansage war klar.

Bis zum heutigen Dienstag ist die Bundeskanzlerin nun in Tokio zu Besuch – und sie spricht mit dem Ministerpräsidenten Japans in der Tat nicht zuletzt über einige Kriege der Gegenwart, besonders über die Lage in Syrien und im Irak und darüber, wie man dort enger zusammenarbeiten kann. Die außen- und militärpolitische Kooperation zwischen Deutschland und Japan wird, wie angekündigt, intensiviert – in einer Zeit, in der Berlin sich auch sonst um engere Kontakte zu den Streitkräften Ost- und Südostasiens und zum militärpolitischen Establishment dort bemüht. Nicht nur zu Japan, auch zu anderen Staaten der Region baut die Bundesrepublik entsprechende Beziehungen aus, zu Australien beispielsweise und zu Singapur. Und nicht nur Deutschland wird diesbezüglich aktiv, sondern auch die EU, die NATO ohnehin. Kooperiert wird regelmäßig mit solchen Ländern, die entweder schon auf der Seite des Westens stehen wie Japan und Australien oder die einen ernsten Konflikt mit China haben, weshalb man meint, sie für sich gewinnen zu können, etwa Vietnam.

Amerikas Präsenz

Die militärpolitischen Verbindungen der BRD und der anderen NATO-Mitglieder in diese Region des asiatischen Kontinents werden von den Allianzen der USA bestimmt. »Hub and spokes«, »Nabe und Speichen« – so wird das System jener bilateralen Bündnisse gern bezeichnet, die das US-Zentrum (»hub«) strahlenförmig mit Japan, Südkorea, Australien, den Philippinen und Thailand verbinden. Die ersten drei der fünf »Speichen« sind wohl die wichtigsten. Das Militärbündnis Washingtons mit Tokio nimmt eine herausragende Stellung ein. Die Vereinigten Staaten unterhalten außerdem eine Militärbasis auf Guam, auf der mehr als 5.000 Soldaten stationiert sind; hinzu kommt noch der Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean mit über 500 US-Militärs. Nicht zuletzt kooperieren die USA sehr eng mit Taiwan und vor allem mit Singapur. Der kleine Stadtstaat ist nicht nur ein wichtiges Glied der Bündniskette, die Washington um die Volksrepublik China gelegt hat. Er befindet sich auch direkt an der Straße von Malakka, einer Meerenge, durch die rund 30 Prozent des gesamten maritimen Welthandels und rund 25 Prozent sämtlicher Öltransporte per Schiff geleitet werden – darunter vor allem ein Großteil der chinesischen Rohstoffimporte und des chinesischen Warenexports. Schon im Jahr 2003 hatte der damalige chinesische Staatspräsident Hu Jintao deshalb von Chinas »Malakka-Problem« gesprochen: Die Wirtschaft der Volksrepublik ist an der Meerenge durch mögliche Blockaden extrem verwundbar.

In den letzten Jahren hat, die US-Militärbeziehungen in die Region ergänzend, auch die NATO die Zusammenarbeit mit einigen Ländern Ost- und Südostasiens ausgebaut – so etwa mit Südkorea und mit Australien. So wurde der südkoreanische Außenminister Ban Ki-Moon im Dezember 2005 in Brüssel empfangen. Die Kooperation wurde systematisch intensiviert und mündete 2012 in die Unterzeichnung eines »Individual Partnership and Cooperation Programme«, das insbesondere die Interoperabilität, die Fähigkeit, gemeinsame Kriegseinsätze zu führen, verstärkt. Die südkoreanischen Streitkräfte hatten schon zuvor begonnen, in Afghanistan und am Horn von Afrika mit der NATO zu kooperieren. Mit Australien lief es ähnlich. Das Land hatte eines der größten Kontingente unter den nicht paktgebundenen Staaten am Hindukusch gestellt und unterstützt das Kriegsbündnis auch am Horn von Afrika. Es hat 2012 eine »Gemeinsame Politische Erklärung« mit der NATO und 2013 ein »Individual Partnership and Cooperation Programme« unterzeichnet. Die Zusammenarbeit läuft problemlos.

Zu den NATO-Partnern rings um China gehört mit Japan auch Washingtons zentraler Verbündeter in der Region. Offiziell hat die Kooperation mit Tokio bereits am 2. Juli 1990 begonnen; an jenem Tag empfing der damalige bundesdeutsche NATO-Generalsekretär Manfred Wörner den japanischen Außenminister zur ersten »NATO-Japan-Konferenz« in Brüssel. Unterstützte Tokio die Kriege des Militärpakts in den 1990er Jahre gegen Jugoslawien lediglich finanziell, so kamen in den 2000er Jahren logistische und technische Hilfen für die ISAF in Afghanistan hinzu. Außerdem begann die japanische Marine, sich am Kampf gegen die Piraten vor dem Horn von Afrika zu beteiligen. Am 15. April 2013 folgte schließlich eine Gemeinsame Politische Erklärung, in der die NATO und Japan die Pläne für ihre künftige Zusammenarbeit bekräftigten. Der Annäherungsprozess mündete am 6. Mai 2014 in ein »Individual Partnership and Cooperation Programme« ganz wie im Falle Südkoreas und Australiens. Freilich hängt die Weiterentwicklung der Militärkooperation noch davon ab, dass es Japans Ministerpräsident Shinzo Abe gelingt, die japanische Verfassung zu ändern. Gegenwärtig lässt sie keine Kriegseinsätze im Ausland zu.

Europas Bemühen

Seit geraumer Zeit bemühen sich auch die EU und ihre drei größten Mitgliedsstaaten um eine stärkere eigenständige Militärpräsenz in Ost- und Südostasien. Neben der NATO, die ohnehin ihre Aktivitäten in der Region ausdehnt? Genau das. Eine eigene Präsenz sei unbedingt anzustreben, erklärt die regierungsnahe Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer aktuellen Analyse. »Die EU und einzelne europäische Staaten« wären »sowohl in ihren Wirtschaftsinteressen als auch in ihren (globalen) ordnungspolitischen Vorstellungen massiv betroffen, sollten die Konflikte in der Region eskalieren«, heißt es in der zu Jahresbeginn publizierten Studie. Sie sollten deshalb in Ost- und Südostasien »zwar deutlich machen, welche Interessen sie mit den USA teilen (etwa Freiheit der Schiffahrt)«, sich aber gleichzeitig »um ein eigenständiges Profil bemühen«. »Eine gewaltsame Konflikteskalation im Ost- oder Südchinesischen Meer mag unwahrscheinlich sein«, heißt es weiter, »trotzdem müssen die EU und ihre Mitglieder darauf vorbereitet sein«. Und dazu braucht es laut der SWP eben auch eine Militärpräsenz unabhängig von der NATO – eigene bewaffnete Kräfte an Ort und Stelle, wie sie gegenwärtig auf nationaler Ebene allenfalls Frankreich und Großbritannien aufweisen können.

Die SWP-Studie listet die Fakten dazu sorgfältig auf. »Frankreich hat militärisches und ziviles Personal (ca. 2.500 Personen) in Neukaledonien und Französisch-Polynesien im südlichen Pazifik stationiert«, heißt es in dem Papier. »Es verfügt dort über zwei Fregatten, Patrouillenboote, Seeüberwachungs- und andere Militärflugzeuge.« Großbritannien hingegen »besitzt – seit der Rückgabe Hongkongs an China 1997 – nur noch eine Garnison in Brunei mit ca. 900 Personen Besatzung, einigen Hubschraubern und einem Ausbildungszentrum sowie in Singapur ein großes Treibstofflager und Schiffsanlegeplätze«. Beide arbeiten militärpolitisch mit einer Reihe von Staaten in der Region zusammen. 2013 haben sie begonnen, auch ihre Kooperation mit Japan zu intensivieren. Im Juli 2013 unterzeichneten London und Tokio ein Rüstungsabkommen und ein weiteres über Informationssicherheit. Paris und Tokio hielten im Januar 2014 ein großangelegtes Treffen ihrer Außen- und Verteidigungsminister ab, bei dem es ebenfalls um eine gemeinsame Waffenproduktion ging. Großbritannien kümmert sich zudem um begleitende sicherheitspolitische Debatten: Das Londoner »International Institute for Strategic Studies« (IISS) führt seit 2002 in Singapur unter dem Titel »Shangri-La Dialogue« eine regelmäßig prominent besetzte Konferenz durch, bei der hochrangige Staatsvertreter, Politiker und Militärs aus ganz Ost- und Südostasien außen- und militärpolitische Fragen diskutieren – wenn man so will, eine Art Münchner »Sicherheitskonferenz« für Asien.

Deutschlands Begehr

Und Deutschland? Selbstverständlich würde auch die Bundesrepublik in Ost- und Südostasien gern eine wichtigere Rolle spielen, durchaus auch militärisch. Schon Ende 2004 – die EU steckte damals noch nicht in der Krise, hatte sich gerade nach Osten erweitert und im Vorjahr ihren ersten weit entfernten Militäreinsatz im Kongo absolviert – erklärte beispielsweise die SWP, Brüssel müsse nun auch »militärische Kapazitäten zur Förderung [seiner] fernöstlichen Interessen« bereitstellen. Einen ersten Schritt unternahm die Bundesrepublik Anfang 2005, als sie nach dem Tsunami im Indischen Ozean den Einsatzgruppenversorger »Berlin« an die Küste der furchtbar verwüsteten indonesischen Provinz Aceh schickte. Hilfsmaßnahmen für die Katastrophenopfer waren der Anlass, das im April 2001 in Dienst gestellte Kriegsschiff, das als Logistikplattform für fern von Europa operierende deutsche Interventionstruppen vorgesehen ist, in einen ersten Praxistest nach Südostasien zu schicken. Es folgte die »Aceh Monitoring Mission« der Europäischen Union: Von September 2005 bis Dezember 2006 wurden EU-Einheiten – darunter deutsche Soldaten – in Aceh stationiert, um den Friedensprozess zwischen der Regierung Indonesiens und den Separatisten zu überwachen. Im März 2007 teilte der Leiter der EU-Delegation in Südostasien öffentlich mit, der soeben beendete Aceh-Einsatz dürfe »in der Region als Hinweis betrachtet werden, dass wir die Verantwortung schätzen und bereit sind, Hilfe zu leisten«. Die Vorstöße hatten allerdings keinen Erfolg. Auch der Versuch, nach der Unwetterkatastrophe in Myanmar im Frühjahr 2008 eine »humanitäre Intervention« in dem Land zu erzwingen, scheiterte.

Was tun? Berlin hat in den vergangenen Jahren begonnen, seine militärpolitische Zusammenarbeit mit mehreren Staaten Ost- und Südostasiens systematisch auszubauen. Tokio, US-Hauptverbündeter und NATO-Kooperationspartner, ist ein Beispiel dafür. 2009 reiste der deutsche Heeresinspekteur nach Japan, um dort die Möglichkeiten für gemeinsame Aktivitäten auszuloten. Nach einem Gegenbesuch des Oberbefehlshabers der japanischen Landstreitkräfte in Deutschland 2012 und einer weiteren Japan-Reise im Jahr 2013 hieß es: »Das Deutsche Heer steht bereit für eine engere Kooperation mit den japanischen Landstreitkräften.« Auch die Luftwaffe streckt ihre Fühler aus. Sie entsandte im April 2014 eine Delegation ihrer Offiziersschule, die »Fach- und Expertengespräche« auf der Hamamatsu Air Base führte. Zudem wird die Zusammenarbeit der Kriegsmarinen beider Länder gestärkt, deren Schiffe im Rahmen des Antipiraterieeinsatzes am Horn von Afrika bereits Seite an Seite operieren. Ende 2014 führten eine deutsche Fregatte und zwei japanische Zerstörer dort etwa taktische Manöver durch, Schießübungen inklusive. Die Kooperation ist zwar noch begrenzt, doch sie nimmt zu.

Immer enger arbeiten hiesige Militärs mit dem von Singapur zusammen, das an der strategisch bedeutenden Straße von Malakka liegt. Die BRD beteiligt sich nicht nur an der Aufrüstung des Landes. Dieses zählte in den vergangenen Jahren regelmäßig zu den zehn größten Empfängern deutscher Rüstungsexporte überhaupt. In den ersten vier Monaten 2014 war es sogar die Nummer eins – noch vor den USA. Singapurs Heer besitzt seit dem Jahr 2007 »Leopard 2«-Panzer aus Beständen der Bundeswehr. Ihre Anzahl – sie wird offiziell geheimgehalten – wird aktuell auf rund 200 geschätzt. Seit 2009 werden singapurische Soldaten regelmäßig in Deutschland am »Leopard 2« ausgebildet. Zudem will »Thyssen-Krupp Marine Systems« für rund 1,7 Milliarden Euro zwei U-Boote liefern. Wie es heißt, sollen singapurische Soldaten bei der deutschen Marine trainiert werden. Grundlage des Ganzen ist eine Vereinbarung zur militärischen Zusammenarbeit, die der Stadtstaat 2005 mit der Bundesrepublik geschlossen hat. Beide Länder stehen im »sicherheits- und verteidigungspolitischen Dialog«. Ihre Verteidigungsminister haben am 22. April 2013 bekräftigt, sie wollten die »auf gemeinsamen Interessen und Sichtweisen aufbauenden verteidigungspolitischen Beziehungen« in Zukunft stärken.

Australien ist ein weiteres Land, mit dem die Bundesrepublik auch militärpolitisch immer enger kooperiert. US-Präsident Barack Obama hat im November 2011 angekündigt, Washington werde in Darwin im Norden des Kontinents mehr als 1.000 US-Marines stationieren – als Teil der Umorientierung der US-Außenpolitik hin zum Pazifik, sprich: zum Machtkampf mit China. Wieso in Australien? Nun, Fachleute weisen darauf hin, dass es in einer relativ sicheren Entfernung liegt: Darwin sei im Konfliktfall für chinesische Raketen deutlich schwerer zu treffen als die bestehenden US-Basen in Guam oder im japanischen Okinawa. Das ist der Hintergrund, vor dem die Bundesregierung in die »Berlin-Canberra-Absichtserklärung über eine strategische Partnerschaft« vom 28. Januar 2013 auch militärpolitische Passagen einbezogen hat. »Deutschland und Australien messen der Verstärkung des strategischen Dialogs über globale Fragen im Bereich Politik, Sicherheit und Verteidigung große Bedeutung bei«, heißt es darin. Und Plänen für eine allgemeine außenpolitische Abstimmung beider Seiten folgt die Festlegung: »Deutschland und Australien werden daran arbeiten, ihren Dialog und ihre Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich durch die Aufrechterhaltung eines Programms regelmäßiger Konsultationen und Besuche auf politischer, ziviler und militärischer Ebene zu vertiefen.« Natürlich kommt dabei die deutsche Rüstungsindustrie nicht zu kurz. Entsprechende Exporte nach Australien in zweistelliger Millionenhöhe sind die Regel. Gegenwärtig bemüht sich Berlin, einen Auftrag zur Lieferung von bis zu zwölf neuen U-Booten an Canberra für Thyssen-Krupp zu sichern. Das Volumen allein dafür wird mit 14 bis 17 Milliarden Euro beziffert.

Chinas Zwist

Militärpolitische Kooperationen gibt es inzwischen nicht nur mit Staaten, die ohnehin auf der Seite des Westens stehen, sondern auch mit Ländern wie Vietnam. Die Tatsache ausnutzend, dass Hanoi sich mit Beijing um Inseln im Südchinesischen Meer streitet, konnte Washington bereits 2011 ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit mit Vietnam unterzeichnen, gemeinsame Marinemanöver folgten. An der militärpolitischen Anbindung des Landes an den Westen beteiligt sich auch Berlin. Seit 2009 unterhalten die Sanitätsdienste der deutschen und der vietnamesischen Streitkräfte gedeihliche Beziehungen, aus deren Gestaltung die Bundeswehr bereits 2010 den Schluss zog, Deutschland sei »für die vietnamesische Seite der Wunschkandidat für eine noch intensivere Zusammenarbeit mit dem Westen«. Vietnam taucht in den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung inzwischen mit Käufen in Höhe von teils zweistelligen Millionensummen auf.

Und die EU? Sie ist nach dem Ende der »Aceh Monitoring Mission« von 2005/2006 nicht so richtig in die Gänge gekommen. Mit Südkorea hat sie im Mai 2014 ein »Framework Participation Agreement« geschlossen, das, wie die SWP schreibt, »Seoul zum ersten Sicherheitspartner der EU in der Region macht«. Seine Wirkungen sind nicht auf Asien beschränkt; es schafft die Grundlage auch für eine Einbindung Südkoreas in Militäroperationen der EU. Deren Mitgliedsstaaten sind darüber hinaus, wie die SWP konstatiert, »zusammen noch vor den USA und Russland die größten Waffenlieferanten ins maritime Südostasien«. Gleichzeitig unterhält die EU – wie die Bundesrepublik und übrigens auch die Vereinigten Staaten – zwar auch eine gewisse Militärkooperation mit dem großen Rivalen China. Die Frage ist aber: Was geschieht, wenn sich die Spannungen zwischen Washington und Peking zuspitzen, vielleicht wegen des einen oder anderen Inselstreits? Werden die entsprechenden Beziehungen mit der Volksrepublik dann nicht genauso schnell eingestellt wie etwa die jüngsten Rüstungsexporte nach Russland?

Man muss es vermuten. Die Hamburger Körber-Stiftung hat im Sommer 2011 ein »Policy Game« durchgespielt, das einen Konflikt zwischen Washington und Peking simulierte. Das Szenario: Ein »Antiterrorkommando« der USA bombardiert einen Hafen in Pakistan, in dem es Terroristen vermutet, der aber zugleich für China strategische Bedeutung besitzt. Kurz danach kommt es zu einem »Zwischenfall«, bei dem ein US-Kreuzer ein chinesisches Schiff versenkt. Eine folgende Cyber-Attacke auf kritische Infrastruktur in den Vereinigten Staaten, die einen dramatischen Kurseinbruch an den Börsen Nordamerikas und Europas zur Folge hat, wird im Westen klar der Volksrepublik zugeschrieben. Der Konflikt zwischen Washington und Peking eskaliert, Berlin und Brüssel müssen sich entscheiden. Zwar entfalte »das Verhältnis zwischen den USA und Europa« prinzipiell »nicht mehr die gleiche Bindewirkung wie früher«, schreibt die Körber-Stiftung. Und es sei denkbar, dass Berlin prinzipiell versuche, im Sinne klassischer Schaukelpolitik »eine Politik der Äquidistanz gegenüber Washington und Peking zu verfolgen«. Das »Policy Game« habe jedoch gezeigt, »dass diese Politik bei einer Konflikteskalation zwischen China und den USA an ihre Grenzen stößt«. Wieso? Die Cyberattacke auf die USA habe wegen der überaus engen transatlantischen Verflechtungen Europa so »erheblich« geschädigt, dass das Bemühen um »Äquidistanz« nicht mehr haltbar gewesen sei und man sich »am Ende ohne Einschränkung mit den USA solidarisierte und eine klare Bündnisaussage machte«.

Derlei Einschätzungen finden ihren Niederschlag inzwischen in schriftlichen Festlegungen der EU, etwa in Richtlinien, die Brüssel für seine Ost- und Südostasienpolitik erstellt und zuletzt 2012 bestätigt hat. Darin heißt es: »Angesichts der großen Bedeutung der transatlantischen Beziehungen hat die EU ein starkes Interesse an Partnerschaft und Zusammenarbeit mit den USA bei außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen in bezug auf Ostasien.« Dem trägt die Ausweitung der militärpolitischen Aktivitäten der größten EU-Staaten, auch Deutschlands, in Ost- und Südostasien Rechnung. Sie stärkt die eigene Position – durchaus auch gegenüber den Vereinigten Staaten –, ohne sich aber in einen strategischen Gegensatz zu Washington zu begeben. Ein Schulterschluss ist im Konfliktfalle also jederzeit möglich. Die Voraussetzungen dafür schafft die Bundesregierung durch den Ausbau ihrer Kooperationen etwa mit Australien, Singapur und Vietnam – und in diesen Tagen durch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Japan.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 10. März 2015


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