Gegen den Strich gebürstet
Wer spaltete Deutschland? – Dies fragte sich Herbert Graf
Von Klaus Blessing *
Obwohl von Hause aus nicht Historiker, sondern Staatswissenschaftler und Volkswirt, hat Herbert Graf eine bemerkenswerte Publikation über deutsche Nachkriegsgeschichte vorgelegt. Er hat umfangreiche Archivquellen erschlossen, wissenschaftliche Publikationen auf dem internationalen Buchmarkt sowie die Memoirenliteratur ausgewertet. Dem Leser wird ein fakten- und facettenreiches Panorama geboten, das sich vom dominierenden bürgerlichen Geschichtsbild abhebt.
Es geht Graf vornehmlich um den Einfluss der Großmächte auf die Entwicklung in beiden deutschen Staaten. Graf würdigt die Leistungen derer, die in diesem Spannungsfeld unter schwierigsten Bedingungen Verantwortung übernahmen. Er versteht sein Buch als Hommage für Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Walter Ulbricht und deren Weggefährten, die – in Antwort auf die titelgebende Frage – Deutschland nicht gespaltet hatten.
Graf erinnert daran, dass Zerstückelungspläne für Nachkriegsdeutschland von Politikern in Großbritannien und den USA stammten. Der Autor verweist auf Konferenz von Teheran der »Großen Drei« und die bei der Gelegenheit gebildeten »Europäischen Beratungskommission« (EAC), die am 12. September 1944 – was heute kaum noch in Erinnerung ist – die künftige Einteilung der Besatzungszonen in Deutschland vorgenommen und die spezielle Lösung für Berlin beschlossen hat.
Graf betont, was ebenfalls heute zumeist verdrängt ist, dass es auch in den Westzonen in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine breite antikapitalistische Interessenlage gab. Er weist nach, wie mit der seperaten Währungsreform der Westmächte 1948 die Bildung eines westdeutschen Staates eingeleitet und die deutsche Teilung vollzogen wurde. Anschaulich schildert er vor allem den speziellen US-amerikanischen Einfluss auf die Arbeit am Grundgesetz sowie die entsprechende psychologische und propagandistische Bearbeitung der westdeutschen Parteien und Gewerkschaften.
Graf benennt Ross und Reiter. Angesichts des bevorstehenden 50. Jahrestags des »Mauerbaus« ist sein Buch ein origniärer, gewichtiger Beitrag. Denn Graf macht deutlich: Ohne deutsche Spaltung und Kalten Krieg hätte es keine Mauer gegeben. Der Autor dokumentiert, dass die Entscheidung zur Schließung der Grenzen nicht in politischer Alleinverantwortung der DDR lag, sondern letztlich in Moskau getroffen wurde. Und diese Entscheidung ergab sich nicht allein und vordergründig aus inneren Problemen der DDR. Mit dem 13. August 1961 konnten die politischen und militärischen Spannungen, einschließlich der realen Gefahr eines thermo-nuklearen Krieges, reduziert werden.
Graf widmet sich den Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR. Von Anfang an standen sich hier nicht zwei Partner gleichberechtigt und auf Augenhöhe gegenüber. Die schließliche Preisgabe der DDR hat ihre Wurzeln in geostrategische Interessen der Großmacht UdSSR, die es nicht nur in deren Endphase unter Michael S. Gorbatschows gab. Graf eröffnet dem Leser auch einen Blick auf die geheimdienstlich geprägte West-Ost-Achse, über die hinter dem Rücken der DDR über deren internationalen Status, deren Rechte beim Zugang der Westmächte nach Westberlin und später auch über deren Existenz gekungelt wurde.
Hier wird also kräftig gegen den Strich gebürstet. Am Wahrheitsgehalt des hier Dargelegten ist angesichts der belegten Fakten kaum zu zweifeln, vielleicht hier und da an zu prononcierten Wertungen. Wer sich mit deutscher Nachkriegsgeschichte befasst, wird dieses anspruchsvolle und interessante Buch mit Gewinn lesen.
Herbert Graf: Interessen und Intrigen. Wer spaltete Deutschland? Edition Ost: Berlin 2011, 288 S., br., 14,95 €.; ISBN-13: 9783360018182
* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2011
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