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Strategische Partnerschaft

Geld spielt keine Rolle beim Einstieg von Gazprom bei RWE

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die Nachricht vom Einstieg des russischen Gaskonzerns Gazprom beim Stromkonzern RWE vom Wochenende hat in der Bundesrepublik Besorgnis über die Unabhängigkeit des Landes ausgelöst. In Russland dagegen frohlocken Medien, Politik und Wirtschaft.

Eine Bastion könnte schon bald durch russische Investoren geschleift werden: Die im Dax notierten Konzerne, die das Rückgrat der Wirtschaft bilden. Deutsche Energiekonzerne müssten sich nach dem erzwungenen Ausstieg aus der Atomenergie, der mit Milliardenverlusten zu Buche schlagen werde, nach neuen finanzkräftigen Partnern im Ausland umtun, kommentierten russische Analysten die Sondierungsgespräche am Wochenende in Paris. Dort war über eine möglichen Beteiligung des staatsnahen Monopolisten Gazprom an dem Essener Stromriesen RWE verhandelt worden. Der Konzern hat in den vergangene Wochen rund 13 Mrd. Euro an Wert verloren und will Gazprom daher neben eigenen Aktien auch die von Konzerntöchtern anbieten.

Beide Seiten, so russische Medien, strebten bei der Zusammenarbeit kein Intermezzo, sondern ein langfristiges Engagement an. Und Gazprom, um dessen Geld inzwischen auch RWE-Erzrivale E.on buhlt, bekommt mit der Offerte eine reale Chance, sich seine Uralt-Träume von einer Beteiligung am lukrativen Geschäft mit Endkunden auf dem westeuropäischen Markt zu erfüllen. Bei Gas wie bei Strom.

Und das ist womöglich erst der Anfang. Denn auch auf Bahn, Telekommunikation und den europäischen Luft-und Raumfahrtkonzern EADS haben die Russen seit langem ein Auge. Sie wollen sich dadurch Zugriff auf modernes Knowhow zum Dumping-Tarif verschaffen, was in den vergangenen zwei Jahren bereits vor allem beim Gerangel um Beteiligungen an deutschen Autobauern zu besichtigen war.

Präsident Dmitri Medwedjew und Premier Wladimir Putin machten daraus keinen Hehl, weil damit das Modernisierungsprogramm, das sie der russischen Wirtschaft verordneten, steht und fällt. Auch ließen Gazprom und Co. schon des Öfteren durchblicken, dass sie die Rolle des Rohstofflieferanten satt haben und selbst bei den Endverbrauchern kassieren wollen.

Bisher legten sich allerdings sowohl die EU-Kommission in Brüssel wie auch das Bundeskartellamt quer. Weil Deutschlands Abhängigkeit von Russland, wo die Bundesrepublik schon jetzt 40 Prozent seines Gasbedarfs deckt, dadurch weiter wächst. Die Ängste sind durchaus begründet. Gazprom kontrolliert ein Sechstel der weltweiten Gasreserven und bekäme durch den Einstieg bei RWE oder E.on auch Zugriff auf deren Pipelinesystem. Widerstand aus Berlin, so hiesige Branchenkenner, sei daher programmiert, letztendlich werde die Bundesregierung jedoch klein beigeben müssen. Genüsslich zitiert die Nachrichtenagentur RIA nowosti dazu RWE-Chef Jürgen Großmann mit den Worten, jedem ausländischen Unternehmen stehe es grundsätzlich frei, einer deutschen Gesellschaft ein Übernahmeangebot zu machen. Gazprom, mit dem RWE seit Jahren gute und verlässliche Geschäfte mache, dürfe dabei nicht diskriminiert werden. Auch dessen Vorstandschef Alexei Miller schwärmte bereits von einer neuen Qualität der Beziehungen zu den Partnern in Deutschland.

Zwar dürfte der Deal, so er zu Stande kommt, nicht billig werden. Doch Geld spielt offenbar nur eine Nebenrolle: Gazprom will in die eigene Expansion künftig bis zu 30 Milliarden Euro pro Jahr investieren. Und sich per Aktientausch mit dem italienischen Staatskonzern ENI unter anderem auch in die Ölraffinerie in Schwedt an der Oder einkaufen. ENI hält an dieser rund 8,3 Prozent, Hauptaktionär sind die Ruhr Öl GmbH und Shell Deutschland mit Beteiligungen von jeweils rund 37 Prozent. ENI und Gazprom unterzeichneten bereits 2006 ein Abkommen über strategische Partnerschaft. In Anwesenheit von Putin und Italiens Premier Silvio Berlusconi, mit dem der russische Präsident noch dicker befreundet ist als mit Altkanzler Gerhard Schröder.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2011


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