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"Das PKK-Verbot muß aufgehoben werden"

Kurdische Vereine fordern Gleichstellung mit anderen Migrantengruppen in der BRD – und das Ende eines Generalverdachts. Ein Gespräch mit Yüksel Koc *


Yüksel Koc ist Vorsitzender der Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland, YEK-KOM e.V.

Die Föderation kurdischer Vereine in Deutschland hat am 1. August eine Kampagne für die Anerkennung der Kurden als eigenständige Migrantengruppe in der BRD gestartet. Vielen Deutschen ist zwar die allgemeine Benachteiligung von Menschen ohne deutschen Paß oder EU-Staatsbürgerschaft bewußt, aber nicht, wodurch Kurden in der BRD gegenüber Türken benachteiligt sind. Warum ist diese Kampagne dringend nötig?

Migrantinnen und Migranten fordern seit Jahren gleiche Rechte für alle Menschen, die in Deutschland leben. Natürlich ist das auch unsere Haltung. Aber die verschiedenen Migrantengruppen sind nicht homogen. Sie haben zwar auch gemeinsame Probleme, aber es gibt Unterschiede. Die in Deutschland lebenden Türken und Griechen haben jeweils einen Staat im Hintergrund. Hier lebende Kurden oder Tamilen haben das nicht. Sie werden anderen Staaten zugeordnet. Die Tamilen kennen das Problem, daher unterstützt auch der Volksrat der Eelam-Tamilen in Deutschland die Kampagne. Allerdings haben sich auch türkische Gruppen solidarisiert. Kurden gelten in Deutschland offiziell als Türken, Syrer, Iraner oder Iraker, weil sich historisch betrachtet ihr Lebensraum über diese vier Staaten erstreckt.

Wie reagieren deutsche Behörden darauf?

Ein Beispiel: Wenn eine kurdische Familie aus der Türkei, die seit 20 oder 30 Jahren in Deutschland lebt, einem Kind einen kurdischen Namen geben will, sagt das Standesamt: Wir haben hier eine Liste vom türkischen Konsulat mit türkischen Namen. Kurdische Namen mit Buchstaben, die im türkischen Alphabet nicht vorkommen, wie etwa das W und das X, sind nicht dabei. Sie werden nicht anerkannt. Mir ist ein Fall bekannt, in dem eine Familie von anerkannten Flüchtlingen versucht hat, dem Standesamt zu erklären, daß sie mit dem türkischen Staat nichts mehr zu tun haben. Die Auseinandersetzung dauerte zwei Jahre – erst dann hatte das Kind offiziell einen Namen und einen Ausweis.

Wir fordern die Anerkennung kurdischer Namen, auch mit den genannten Buchstaben. Immerhin leben in der BRD rund 800000 Kurdinnen und Kurden, das ergab eine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke. Somit sind wir die zweitgrößte Migrantengruppe in Deutschland, aber beim alljährlichen »Integrationsgipfel« der Bundesregierung nicht mal durch einen eigenen Dachverband vertreten, sondern lediglich indirekt durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, BAGIV e.V.

Ein wichtige Forderung Ihrer Kampagne ist die Ausweitung des muttersprachlichen Unterrichts für kurdische Kinder auf alle Bundesländer. In welchen Ländern wird dieser Unterricht bisher angeboten?

In Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Berlin. Das begrüßen wir sehr, aber es reicht nicht. Dasselbe gilt für muttersprachliche Beratungs­angebote, die es unzureichend auf Kurdisch gibt. Für andere Migrantengruppen, wie Türken oder Griechen, gibt es Beratung und Informationsmaterial über Arbeits- und Sozialrechts- oder Kindergeldfragen in deren Muttersprache; sie können sich auch ohne perfekte Deutschkenntnisse über ihre Rechte informieren.

Der Auswärtige Ausschuß des Bundestages hat bereits 1991 festgestellt, daß »in der Bundesrepublik eine große Gruppe von Kurden lebt und auch ihnen die Möglichkeit zur Bewahrung und Entfaltung ihrer kulturellen Identität gegeben werden« solle. Warum hat sich in 20 Jahren so wenig getan?

Dafür gibt es zwei Gründe: Die BRD hat sehr enge politische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu Staaten, in denen die Kurden als nationale Minderheit unterdrückt werden. Der zweite Grund ergibt sich zum Teil aus den engen Beziehungen zur Türkei – 1993 wurde in der BRD das Verbot der linksgerichteten kurdischen Arbeiterpartei PKK erlassen. Die Kriminalisierung betraf und betrifft auch immer wieder kurdische Vereine, die als »Vorfrontorganisationen« verdächtigt werden. Wir sagen: Das PKK-Verbot muß aufgehoben werden, denn dadurch stehen Kurdinnen und Kurden, die sich für Ihre Rechte einsetzen und die Türkeipolitik der Bundesregierung kritisieren, unter Generalverdacht.

Interview: Claudia Wangerin

* Aus: junge Welt, 23. August 2011


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