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Deutsche Industrie

Annegret Schüle hat die Geschichte der Ofenbauer von Auschwitz aufgeschrieben

Von Jürgen Tremper *

Dienstag, 19.Februar 1946, Oberjustizrat Lew Smirnow enthüllt am 62. Tag des Nürnberger Prozesses gegen 24 Hauptkriegsverbrecher eine verhängnisvolle Verflechtung von SS und Industrie: »Die Konstruktion von neuen, mächtigen Krematorien wurde der deutschen Firma Topf & Söhne in Erfurt übertragen, die unmittelbar mit der Konstruktion von vier mächtigen Krematorien und Gaskammern in Birkenau begonnen hat. Aus Berlin hat man ungeduldig um Beschleunigung der Arbeiten ersucht, die anfangs 1943 beendet sein sollten. In den Kanzleien des Lagers Auschwitz fand man eine umfangreiche Korrespondenz zwischen der Verwaltung des Lagers und der Firma Topf & Söhne ...«

Leichenverbrennung

Beinahe 65 Jahre danach rekonstruiert Annegret Schüle (Jahrgang 1959) auf 376 Seiten die Historie der Erfurter Firma Topf & Söhne zwischen 1878 und 1963. Sie deckt beispielhaft auf, welche Schlüsselrolle private Wirtschaftsunternehmen bei der Massenvernichtung der Juden im »Dritten Reich« gespielt haben.

Die Unternehmensgeschichte schildert im ersten Kapitel den unaufhaltsamen Aufstieg der thüringischen Firma zum Weltmarktführer für Malzdarren zur Bierherstellung. In der Weimarer Republik konzentrierte sich das Unternehmen auf den Bau von Öfen für Feuerbestattungen. Nach 1939 lieferte die Erfurter Firma im profitablen Geschäft mit der SS unter Leitung von Ernst Wolfgang und Ludwig Topf – der dritten Unternehmergeneration – Leichenverbrennungsöfen an Konzentrationslager. Nach Angaben der Autorin entwickelte, baute und installierte Topf & Söhne mindestens 25 Krematoriumsöfen mit 76 Brennkammern für Konzentrationslager der Nazis. Das Buch schildert eindringlich, wie »der Holocaust durch ein normales Wirtschaftsunternehmen mitten in der deutschen Gesellschaft ermöglicht und getragen wurde«. Es ist präzise recherchiert und brillant erzählt. Annegret Schüle untersucht differenziert die Rolle der Firmeninhaber, Ingenieure, Monteure und anderer Mitarbeiter beim Bau der Leichenverbrennungsöfen und bei den Geschäften mit der SS. So assistierte die Firma der verbrecherischen Organisation, als sich die SS nach einer Ruhrepidemie im KZ Buchenwald wegen der Beseitigung der Leichen an Topf & Söhne wandte. Ingenieur Prüfer konstruierte einen fahrbaren Verbrennungsofen, wie er bis dahin nur für die Vernichtung von Tierkadavern verwendet wurde. Ingenieur Fritz Sander erdachte einen »kontinuierlich arbeitenden Leichenverbrennungsofen für Massenbetrieb«. Er sei sich darüber klar, schrieb er an die Geschäftsleitung, »daß ein solcher Ofen als reine Vernichtungsvorrichtung anzusehen ist, daß also die Begriffe Pietät, Aschetrennung sowie jegliche Gefühlsmomente vollständig ausgeschaltet werden müssen«.

Sander reagierte mit seinem monströsen Plan auf die Leichenberge in Auschwitz. Topf & Söhne hatte inzwischen den Auftrag bekommen, die Öfen für das Vernichtungslager zu bauen. Doch dabei blieb es nicht. Das Unternehmen lieferte auch Lüftungstechnik für die Gaskammern. Damit, so die Historikerin Schüle, habe die Mittäterschaft der Firma eine neue Qualität erreicht. »Sie wirkte jetzt daran mit, das Töten selbst zu optimieren.« Unerklärlich bleibt diese Bereitwilligkeit, es gab weder Zwang noch eine besondere Gewinnsituation für die Firma durch die SS-Aufträge.

Einerseits machten diese Öfen nur knapp zwei Prozent des Umsatzes in den Kriegsjahren aus, andererseits schufen die Anlagen die Voraussetzungen für den Massenmord. Immer wieder gibt Annegret Schüle fundierte, aber schmerzhafte Antworten auf sehr schwierige Fragen. So behandelt sie souverän den Umgang mit der Schuld von Topf & Söhne in Ost- und Westdeutschland nach 1945. Sie konfrontiert die Leser mit ihren gründlichen Fragen nach den Tätern und vor allem ihren Motiven.

Die Ingenieure der Firma tragen nach ihrer Auffassung für die moralischen Folgen ihrer technischen Leistungen Verantwortung. Ihnen ging es nur noch darum, »in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen so brennstoffsparend und spurlos wie möglich verschwinden zu lassen«, wie es Volkhard Knigge, Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald, einmal formulierte. Es ist nicht überliefert, daß die beteiligten Ingenieure das Gewissen plagte.

Mittäterschaft

Die Bedeutung dieser wertvollen historischen Untersuchung reicht weit über »Topf & Söhne« und Thüringen hinaus. Die Firmengeschichte belegt en detail die Mittäterschaft der privaten Wirtschaft am Massenmord in den faschistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern. Kein Einzelfall. So lieferte auch der Berliner Konkurrent Kori Dutzende KZ-Öfen. Doch die Geschichte von Kori, so Historikerin Schüle, »ist noch nicht erzählt« ebenso wie die Geschichte von elf weiteren Unternehmen, die ebenfalls an den Verbrechen in den Krematorien von Auschwitz-Birkenau beteiligt waren.

Annegret Schüle: Industrie und Holocaust - Topf & Söhne: Die Ofenbauer von Auschwitz. Wallstein Verlag, Göttingen 2010, 464 Seiten, 29,90 Euro

* Aus: junge Welt, 18. April 2011


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