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Gefährliche Parallelen

Fehlende Konzepte gegen Massenarbeitslosigkeit nach 1929 und heute wieder?

Von Reiner Tosstorff *

Die politischen Diskussionen um Eindämmung der durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 entstandenen Massenarbeitslosigkeit weisen erstaunliche Parallelelen zur aktuellen Situation in der Bundesrepublik auf.

Unlängst bedauerten US-Gewerkschaftslinke, dass innerhalb der internationalen Gewerkschaftsbewegung in Vergessenheit geraten sei, dass man bereits während der Weltwirtschaftskrise nach 1929 einen Plan zu ihrer Bekämpfung gehabt habe. Die Kritiker beziehen sich auf die Forderungen des beim Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) tätigen Ökonomen Wladimir Woytinsky nach einem umfassenden internationalen Programm für öffentliche Arbeiten. Daraus war 1932 der nach den Initialen seiner Initiatoren – daneben noch SPD-Agrarexperte Fritz Baade und der Holzarbeitergewerkschaftschef Fritz Tarnow – benannte »WTB-Plan« des ADGB entstanden.

Der Plan sah die Schaffung von einer Million Arbeitsplätzen durch Aufbringung von zwei Milliarden Reichsmark vor. Zweifellos hätte seine Umsetzung deutliche Auswirkungen zur Folge gehabt, denn auf der Massenarbeitslosigkeit von sechs Millionen, wahrscheinlich aber mindestens acht Millionen Menschen, beruhte die Wirksamkeit der Nazi-Propaganda. Warum aber konnte dieser Plan nicht verwirklicht werden?

Die Regierung unter Reichskanzler Brüning hatte durch ständigen Sozialabbau und Lohnsenkungen die Krise verschärft. An dieser Politik hielt sie fest mit Verweis auf die nach dem Weltkrieg auferlegten Reparationsverpflichtungen. Allerdings ermöglichte es die Krise zudem, mit allen sozialstaatlichen Errungenschaften Schluss zu machen – mit dem »Gewerkschaftsstaat«, wie es damals schon seit Jahren unverhohlen bei den Unternehmern hieß.

Woytinsky forderte ein kreditfinanziertes staatliches Programm zur Durchführung öffentlicher Arbeiten vor allem im Infrastrukturbereich. Er formulierte damit einen Ansatz, für den später der Ökonom Keynes bekannt wurde. Allerdings ging Woytinsky damit nicht die grundlegende Krisenanfälligkeit der kapitalistischen Wirtschaft an. Das wurde ihm auch sofort vor allem von führenden SPD-Politikern entgegengehalten. Ein solches Programm schüre Illusionen in den Kapitalismus, hieß es ausgerechnet aus der SPD-Reichstagsfraktion. Dazu schließe es die Gefahr einer Inflation ein, fügte man ganz systemimmanent hinzu.

Stimmen für die Nazis

Die sozialdemokratische Linke mit großem Einfluss auf die damals in einem eigenen Bund zusammengeschlossenen Angestelltenverbände versuchte, diesen Gegensatz aufzulösen, indem sie die Arbeitsbeschaffung mit der Forderung nach einem »Umbau der Wirtschaft« verband. Die Schlüsselsektoren sollten vergesellschaftet, vor allem der Finanzsektor einer zentralen Steuerung und die gesamte Wirtschaft einer Planung unterworfen werden.

Im April 1932 nahm ein Sonderkongress des ADGB das Arbeitsbeschaffungsprogramm an, im Juli wurde es dann nach Diskussionen mit der SPD-Fraktion zum Umbauprogramm erweitert. Nun waren Initiativen zur Umsetzung gefragt. Doch statt eine politische Kampagne zu beginnen, klopfte man bei der Regierung an. Die aber blieb hart. Die fehlende Entschiedenheit angesichts der Spannungen zwischen Gewerkschaften und SPD in der Grundsatzfrage war offenkundig.

Die Handlungsunfähigkeit auf Seiten der Arbeitervertreter wiederum führte zu einem bedeutenden Stimmenzuwachs für die Nazis. Für die Reichstagswahlen im Juli 1932 stellten sie ein vom WTB-Plan weitgehend abgeschriebenes Arbeitsbeschaffungsprogramm in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs. Dies bescherte der NSDAP mit der Verdoppelung ihrer Mandate ihren größten Wahlerfolg.

Allerdings wurde das Programm anschließend so schnell fallengelassen, wie es aus dem Hut gezaubert worden war. Nicht nur, weil es merklichen Unmut bei den großbürgerlichen Sympathisanten gegeben hatte wegen damit verbundener »sozialer Töne«. Vor allem enthielt das Programm in Anlehnung an den ADGB-Plan nur zivile Projekte. Hitler dagegen sah als den Sinn von »Arbeitsbeschaffung« die Aufrüstung für den »Revanchekrieg«.

Und die KPD? Ihr verhängnisvoller Kurs des »Hauptkampfs gegen die sozialfaschistische SPD« hatte sie ins politische Aus manövriert. Dabei hatte sie schon früher, am 29. Mai 1931, ein eigenes Arbeitsbeschaffungsprogramm vorgelegt. Ähnlich wie der spätere WTB-Plan sah auch dieses neben drastischer Arbeitszeitverkürzung umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen vor, blieb damit sozusagen systemimmanent. Radikal war es vor allem in der Finanzierung: durch massive Heranziehung der Vermögenden, durch konsequente Streichung aller Militärausgaben. Trotz offenkundiger Berührungspunkte führte man vor allem eine »Entlarvungskampagne« gegen den ADGB, statt diesen zu einem gemeinsamen Kampf aufzufordern. Damit war die Chance zum Aufbau einer tatsächlichen Bewegung des Drucks in dieser Frage vertan.

Und auch der ADGB selbst schlug einen immer verhängnisvolleren Kurs ein, als er nach dem Wechsel in der Regierung, zu Franz von Papen Anfang Juni, dann zu Kurt von Schleicher Anfang Dezember 1932, nun auf neue Töne hoffte. Man schloss jetzt sogar die Unterstützung einer Regierung unter Einschluss des »linken« Flügels der Nazis nicht grundsätzlich aus. Sie hätte nur Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ankündigen müssen.

Tödliche Konsequenzen

Bei diesen Plänen erwies sich wieder einmal, dass ein Programm nur so viel wert ist, wie es in Politik umgesetzt wird. Zu einer Mobilisierung dafür hätte aber nicht zuletzt die Organisierung und Einbindung der Arbeitslosen gehört, die damit ein Stück aus ihrer Isolierung und politischen Apathie herausgeholt worden wären. Erst dann hätte sich auch eine Chance auf die Forderung nach Weitergehendem ergeben – nach einem Umbau der Wirtschaft. Es war zweifellos illusorisch, ausgerechnet von der Rechten in Deutschland eine auch nur ansatzweise ernsthafte Umsetzung eines Arbeitsbeschaffungsprogramms zu erwarten. Im Gegenteil hätte eine Kampagne darum genau gegen sie und vor allem gegen die Nazis ihre Bedeutung gehabt, um deren Massenbasis zu unterminieren. Die Erfahrung aus dem Ende der Weimarer Republik hat schließlich gezeigt, dass das Problem der Massenarbeitslosigkeit zur gefährlichen, ja tödlichen Waffe in den Händen rechtsradikaler Demagogen wurde, weil ein entschiedenes Vorgehen und konkrete Programme zur Beschäftigungssicherung fehlten.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2009


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