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Harmonietreffen Merkel - Netanjahu

In Berlin gibt es heute die zweite gemeinsame deutsch-israelische Kabinettssitzung

Yahar Zohav (29) stammt aus Jerusalem. Der Fremdenführer ist Aktivist bei ICAHD, dem Israelischen Komitee gegen Hauszerstörungen.



ND: Heute treffen sich die Regierungen von Deutschland und Israel hier in Berlin ...

Zohav: Oh, das ist eine gute Nachricht! Dann kann hier niemand einen neuen Krieg anfangen. Sie sollten sie in Berlin für einige Zeit beschäftigen.

Halten Sie das Treffen für eine gute Idee?

Also, ich weiß nicht, ob so ein Treffen angesichts der israelischen Politik wirklich eine gute Idee ist. Diese Politik verletzt das Völkerrecht, die Menschenrechte und ignoriert UN-Entscheidungen. Sie ignoriert die Entscheidung der UN-Vollversammlung zum Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge, zur Verpflichtung Israels zu festen Grenzen. Nach der Entscheidung des Gerichtshofs in Den Haag ist der israelische Zaun zur Westbank illegal, es gibt den Goldstone-Bericht zu den Ereignissen in Gaza, und schließlich weiß man sehr wohl, obwohl es offiziell ein Geheimnis ist, dass Israel über Atomwaffen verfügt. Deutschland und andere Staaten wollen das iranische Atomwaffenprogramm stoppen, während Israel unter Bruch des Völkerrechts über atomare Waffen verfügt. Deutschland hat alle Abkommen unterzeichnet, die Israel verletzt, und trotzdem rollt man der israelischen Regierung auch noch den Roten Teppich aus. Sieht nicht so aus, als ob man Israel kritisiert und auffordert, sich an das Recht zu halten.

Was meinen Sie aus Ihrer Sicht als Aktivist gegen Hauszerstörungen, worüber sollten die beiden Regierungen sprechen?

Deutschland sollte Israel fragen, warum es sich nicht an das Völkerrecht hält; warum es die Entscheidung des Haager Gerichts, dass der Zaun in der Westbank illegal ist und entfernt werden muss, nicht umsetzt; warum es seine Grenzen nicht benennt, warum es den palästinensischen Flüchtlingen das Recht auf Rückkehr verweigert; warum es den Gaza-Streifen weiter blockiert.

Wäre das Treffen nutzlos, wenn darüber nicht gesprochen würde?

In jedem Fall ist es sehr nützlich für die israelische Regierung, die einmal mehr ihren Ehrenplatz am Tisch der internationalen Gemeinschaft behaupten kann. Und es ist sehr schädlich für jede Chance auf eine wirkliche Lösung und Frieden hier in der Region. Solange die Staaten Europas, die als Teil des internationalen Quartetts verantwortlich für Frieden im Mittleren Osten sind, die israelischen Rechtsbrüche ignorieren und das israelische Kabinett auch noch mit allen Ehren empfangen, so lange gibt es kaum eine Chance, dass Israel diese Politik stoppt.

Ist so ein Treffen vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nicht wichtig, um an den Holocaust zu erinnern?

Es ist immer wichtig, an die schrecklichen Dinge zu erinnern, die sich Menschen antun können. Die Deutschen haben richtigerweise daraus geschlossen, dass die wichtigste Botschaft dieser Vergangenheit die Einhaltung der universellen Menschenrechte sein sollte und dass Diskriminierung und Gewalt nie wieder geschehen.

Deutschland sollte dabei eine führende Rolle einnehmen und sagen, dass auch die Palästinenser Menschen sind und Rechte haben. Dass Israel sie hindert, in die Schule oder zur Arbeit zu gehen, ihnen das Wasser vorenthält, sie weder in der Welt noch in ihrem eigenen Land frei reisen lässt, sie daran hindert, eine eigene Wirtschaft zu entwickeln oder eine eigene Regierung zu wählen, all das sind Völkerrechtsverletzungen. Und es ist eine Beleidigung für das, was man aus der Vergangenheit lernen muss. Wenn Deutschland sich verantwortlich für die Geschichte fühlt, dann muss es dafür eintreten, dass alle Menschen hier die gleichen Freiheiten und die gleichen Rechte haben.

Fragen: Karin Leukefeld

Hintergrund: Deutsch-israelische Beziehungen

In Berlin gibt es heute deutsch-israelische Konsultationen auf Ebene der Regierungschefs. Es ist die - nachgeholte - zweite derartige Veranstaltung, die erste hatte im März 2008 stattgefunden. Im November hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu krankheitshalber abgesagt.

Kontroverse Diskussionen bezüglich der brennenden Probleme der Nahostregion werden von politischen Beobachtern nicht erwartet. Eher geht es wohl um die Sache an sich. Kanzlerin Angela Merkel möchte mit dieser protokollarisch außergewöhnlichen Form des politischen Umgangs mit einem anderen Staat den von ihr gewünschten besonderen Charakter der Beziehungen zu Israel herausstreichen.

Dies ist wohl auch der Grund, weshalb Muriel Asseburg von der Berliner Stiftung Politik und Wissenschaft meint, Strategie der Bundesregierung sei es, die Beziehungen zu Israel »unabhängig von Fortschritten im Friedensprozess« auszubauen. Impulse für letzteren sind folglich von der heutigen Begegnung kaum zu erwarten. Nach Meinung der vergangenen schwedischen als auch der begonnenen spanischen EU-Ratspräsidentschaft ist der gegenwärtige Stillstand im Friedensprozess hauptsächlich der israelischen Weigerung zu einem tatsächlichen Siedlungsbau-Stopp geschuldet. Dafür ist von Merkel keinerlei Druck zu erwarten. Auch die israelischen Atomwaffen sind für die deutsche Regierung tabu.

Druck gibt es eher von der israelischen Seite. So verlangt der Ex-Botschafter in Deutschland Shimon Stein ziemlich unverblümt eine antiiranische Stellungnahme, am liebsten den Abbruch sämtlicher Wirtschaftsbeziehungen. Doch wie gesagt: Die Zeichen stehen auf Harmonie. Roland Etzel



* Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2010


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