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Union verteidigt das Abendland

Bundesinnenminister Friedrich erhält für islamfeindliche Äußerungen Beifall aus CDU und CSU *

Gehört der Islam zu Deutschland? Darüber wird derzeit wieder eifrig diskutiert. Auslöser war eine Äußerung des neuen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Dieser hatte betont, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Dafür gab es am Wochenende Beifall von den Parteikollegen. Trotz heftiger Kritik nahm Friedrich seine umstrittenen Äußerungen nicht zurück, zeigte sich aber gegenüber Muslimen gesprächsbereit.

Die Union fürchtet um ihr christliches Abendland. Nach der teils heftigen Kritik an seiner Islam-Äußerung hat der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich betont, den Dialog mit den Muslimen in Deutschland voranbringen zu wollen. »Die Einladung für die nächste deutsche Islamkonferenz am 29. März steht«, sagte der CSU-Politiker am Wochenende in Berlin. Friedrich hatte am vergangenen Donnerstag gesagt, die in der Bundesrepublik lebenden Menschen islamischen Glaubens gehörten zu Deutschland. »Aber dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.« Für diese Äußerungen hatte der Ressortleiter viel Schelte einstecken müssen. Und das nicht nur von Opposition und muslimischen Verbänden, sondern auch vom Koalitionspartner FDP.

Am Wochenende bekam der Minister nun Schützenhilfe aus den eigenen Reihen. »Der Islam hat unsere Gesellschaft nicht geprägt und prägt sie auch heute nicht. Der Islam gehört damit nicht zu Deutschland«, behauptete etwa Unionsfraktionschef Volker Kauder in der »Passauer Neuen Presse«. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) begrüßte die von Friedrich angestoßene Debatte. Zwar sei die Religionsfreiheit für ihn »natürlich« selbstverständlich, »prägend für uns in Deutschland soll aber nach meiner Überzeugung stets das christliche Menschenbild sein, das auch Grundlage unserer Verfassung ist«, sagte Mappus der »Leipziger Volkszeitung«.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ging noch weiter: Es müsse klar sein, »dass sich in Deutschland lebende Muslime unserer freiheitlichen Rechtsordnung anpassen müssen, nicht aber Deutschland dem Islam«, sagte Herrmann der Onlineausgabe der »Mitteldeutschen Zeitung«. Allerdings wollten sich nicht alle Unionskollegen in den Kampf der Kulturen stürzen. So bekräftigte Bundespräsident Christian Wulff (CDU) seine Äußerungen aus dem Vorjahr, wonach der Islam ein Teil von Deutschland sei.

Kritik an Friedrich übten die Vertreter muslimischer Verbände. Friedrich habe die Islamkonferenz, für die er zuständig ist, in Verruf gebracht, sagte der Vorsitzende des deutschen Islamrats, Ali Kizilkaya, der »Bild«-Zeitung. Der Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte dem Blatt, man wolle auch mit dem neuen Innenminister Dialog. Aber: »Wenn der Innenminister den Streit sucht, wird er ihn bekommen.« SPD, Grüne und LINKE hatten Friedrichs Äußerung ebenfalls scharf kritisiert. So sagte Jan Korte, Mitglied im Vorstand der Bundestagsfraktion der LINKEN, am Sonntag: »Wer so wie Friedrich erst vier Millionen Muslimen in Deutschland signalisiert, dass sie für ihn nicht dazugehören, um dann ein Gesprächsangebot nachzuschieben, hat noch nicht begriffen, dass er nicht mehr irgendwelche imaginären bayerischen Interessen vertritt, sondern allen Menschen im Land zu dienen hat.«

* Aus: Neues Deutschland, 7. März 2011


Hier und jetzt

Von Regina Stötzel **

Es mag die Unionskollegen nicht gefreut haben, dass der neue Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) als erste Amtshandlung die nächste Debatte über den Islam angezettelt hat. Verteidigt werden muss er dennoch gegen den Bundespräsidenten und seine Multi-Kulti-Bande, sind die Argumente auch noch so dümmlich. Denn nach dem, was eine Gesellschaft prägt, ausschließlich in der »Historie« zu suchen, wie es Friedrich tat, und nicht im Hier und Jetzt, ist nun einmal nicht intelligent zu nennen. Ob es einem gefällt oder nicht: Zur Kultur in Deutschland zählen auch Heidi Klum und andere beliebte Abgründe des Fernsehprogramms, obwohl sich dafür in der Historie keine Belege finden lassen. Gesellschaften und ihre Kulturen verändern sich – sei es aufgrund von Migration; sei es, weil eine in ihrer Zusammensetzung weitgehend unveränderte Gesellschaft Erfindungen hervorbringt oder Kriege führt.

Bei Politikern wie Volker Kauder und Alexander Dobrindt, die zwar die Muslime, nicht aber ihre Religion zu Deutschland zählen möchten, hört man die abschätzige Haltung gegenüber den »Gastarbeitern« heraus, die das Bruttosozialprodukt mehren, aber dann wieder nach Hause fahren sollen, ohne Spuren jenseits der Dönerbude zu hinterlassen. Zuwiderhandlungen werden sofort mit Abschiebung bestraft.

Wie sehr der Islam die deutsche Einwanderungsgesellschaft prägt, beweist allein schon die Debatte darum.

** Aus: Neues Deutschland, 7. März 2011 (Kommentar)


Volksfremd

Friedrich heizt Islam-Debatte an

Von Werner Pirker ***


Gleich zum Auftakt seiner Tätigkeit als deutsche Innenminister hat sich Hans-Peter Friedrich als Scharfmacher unrühmlich in Szene zu setzen gewußt. Mit seiner seltsam formulierten Behauptung: »Daß der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen läßt«, hat er dem Islam die ihm vom Bundespräsidenten bescheinigte Aufenthaltserlaubnis entzogen und die in Deutschland lebenden rund vier Millionen Muslime zu volksfremden Elementen erklärt. Zwar gestand er ihnen zu, Teil der gesellschaftlichen Realität in Deutschland zu sein, was sich als Tatsache ja auch kaum bestreiten läßt. Dies müsse aber mit dem »Bewußtsein für die christlich-abendländische Herkunft unserer Kultur« in Verbindung gebracht werden. Damit hat der CSU-Mann erneut eine Debatte angestoßen, deren Zweck in der Verschärfung des ideologischen Anpassungsdruckes auf den muslimischen Bevölkerungsteil besteht.

Unionsfraktionschef Volker Kauder, der sich hinter Friedrich stellte, unterschied zwischen dem Islam, der nicht zu Deutschland gehöre, und den hier lebenden Muslimen, die zu Deutschland gehörten. Das bedeutet in der Konsequenz, daß nur der deutschen Leitkultur unterworfene und der Herkunftskultur entfremdete Muslime zu Deutschland passende Muslime seien. Dabei schien sich die »Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland«-Debatte eigentlich bereits erledigt zu haben. Haben doch die Umsturzbewegungen in der arabischen Welt eine Verschiebung im westlichen Mainstreamdiskurs bewirkt. Islamische Gesellschaften, hieß es nun, seien keineswegs so demokratieresistent wie bisher angenommen. Der Aufbruch der Facebook-Generation überall in Arabien zeige vielmehr, daß die westlichen Werte universeller Natur seien.

Die Gleichsetzung der westlichen mit den universellen Werten konterkariert keineswegs den Leitkultur-Chauvinismus. Sie entspricht ihm vielmehr. Nur sich mit dem westlichen Wertesystem verbunden fühlende muslimische Revolutionäre sind gute muslimische Revolutionäre. Da meinte man auch großzügig darüber hinwegsehen zu können, daß diese Revolutionäre Potentaten stürzten, die mit dem Westen aufs engste verbunden waren. Es wird sich noch herausstellen, ob die Annahme, daß die gegenwärtigen Umstürze eine Anschlußbewegung an die westliche Wertegemeinschaft sind, richtig ist, oder ob nicht vielmehr die arabischen Massen es nicht mehr hinnehmen wollen, daß die Demokratie ein den westlichen Ländern und Israel vorbehaltenes Privileg bleibt, während sie ihnen aus Gründen der imperialistischen Herrschaftsicherung verwehrt wird.

Gut möglich, daß die nun in Deutschland wieder angestimmten antiislamischen Tiraden auf der Annahme letzteren Szenarios beruhen. Die einer pluralistischen Gesellschaft eigentlich Hohn sprechende Festlegung einer Leitkultur könnte man auch als eine Art ideologischer Aufstandsprävention verstehen.

*** Aus: junge Welt, 7. März 2011 (Kommentar)


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