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Gaddafi-Knarren – kein Thema für Merkel

Deutsche G36-Sturmgewehre illegal in Libyen / Staatsanwälte finden keinen Anfangsverdacht

Von René Heilig *

Bereits seit März gibt es den Verdacht, dass deutsche G36-Sturmgewehre illegal an Gaddafi geliefert wurden. Seit Ende August ist belegt, dass die Kriegswaffen in Deutschland produziert wurden. Trotz Anzeigen ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft noch immer nicht. Untätig bleibt die Regierung, samt Kanzlerin.

Nicht zum ersten Mal vagabundieren Waffen von Heckler & Koch aus Oberndorf (Baden-Württemberg) illegal durch die Welt. Man entdeckte sie bei georgischen Spezialeinheiten im Krieg gegen Russland, man begegnet ihnen in mexikanischen Unruheprovinzen. Jüngst holten libysche Rebellen G36-Sturmgewehre samt Handbüchern und Munition aus Gaddafis Arsenalen. Die Bundesregierung und Hersteller schwören, dass man sie nicht dorthin geliefert habe. Wer dann?

»Ich möchte Sie bitten, unverzüglich eine umfassende Untersuchung in die Wege zu leiten, alle notwendigen Informationen dem Bundestag so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen und den Vorwürfen über frühzeitige Informationen des BND – und damit möglicherweise auch der übergeordneten Stellen im Kanzleramt – nachzugehen«, forderte Gregor Gysi, der Fraktionschef der LINKEN, in einem an Angela Merkel persönlich gerichteten Brief. Weder sie noch ihr Kanzleramt fühlen sich in der Pflicht, zu antworten.

Heckler & Koch hat, so wie Rüstungsexportgegner um Jürgen Grässlin, Strafanzeige gegen unbekannt gestellt und tat vor Wochen kund, man werde eigene Fachleute zur Aufklärung des Falls nach Libyen schicken. »Gern würde ich dieses Expertenteam vor Ort begleiten, um zu einer unabhängigen und transparenten Aufklärung des Sachverhalts beizutragen«, schrieb der Linksabgeordnete Jan van Aken an die Firma. Ohne Zweifel ist der einstige UN-Waffeninspektor qualifiziert, doch die Geschäftsführung lehnte seine Mithilfe ab.

Und was macht die Stuttgarter Staatsanwaltschaft? Bei ihr gingen die Anzeigen zum Fall Libyen ein, sie müsste eigentlich sturm(gewehr)erprobt sein, da sie bereits im G36-Schmuggelfall nach Mexiko ermittelt. Besser: ermitteln soll, denn auch der Fall wird verschleppt. Man zeigt sich nicht einmal geneigt, einem Kronzeugen zweckdienliche Fragen zu stellen. Die Staatsanwälte prüfen seit Monatsbeginn, ob es im Fall Libyen überhaupt einen Anfangsverdacht gibt, der ein Ermittlungsverfahren rechtfertigen würde. Absurd. Nicht einmal Beweisstücke lässt man sichern, die – trotz herausgefräster Waffennummern – Rückschlüsse auf Lieferwege zulassen würden.

Was unternimmt das Bundeswirtschaftsministerium? Schließlich hat jemand wider das ministerielle Export- und Re-Exportverbot eine Straftat mit schweren Auswirkungen für die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland begangen. Über Erkenntnisse und Schlussfolgerungen des Rösler-Ministeriums erfährt man: »Die Frage nach Handlungskonsequenzen für die Bundesregierung ist verfrüht, solange keine verlässlichen Erkenntnisse über den tatsächlichen Ablauf des Geschehens vorliegen.« Sobald möglich, werde man vor Ort mit den neuen Behörden Klärung suchen, hieß es. Dabei blieb es.

Neben dem Wirtschaftsministerium sind auch das Verteidigungs- und das Bundesinnenministerium sogenannte Genehmigungsbehörden, sagt das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG). Man weiß, dass die Gaddafi-Gewehre 2003 beim Beschussamt Ulm getestet wurden. Dort muss es Dokumente geben. Der Hersteller führt zudem ein Waffenbuch, das, so das Wirtschaftsministerium, »in regelmäßigen Abständen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr (BAFA) als zuständiger Überwachungsbehörde kontrolliert wird«.

Man kann also feststellen, wer im fraglichen Zeitraum was bei H & K empfangen hat und ob alles noch da ist, wo es hingehört. Empfänger könnte nach dem KWKG auch eine »Behörde oder Dienststelle im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit« gewesen sein. Beispielsweise der in Gysis Brief erwähnte Bundesnachrichtendienst. Nicht zum ersten Mal wäre der – auftragsgemäß – in illegale Rüstungsgeschäfte verstrickt. Man hat sogar schon mal eine eigens dafür gegründete Tarnfirma dem Gaddafi-Regime übereignet.

* Aus: Neues Deutschland, 26. September 2011


Unbequemes Rätsel

Von René Heilig **

Die Deutsche Botschaft in Tripolis wurde heute auf Weisung von Außenminister Westerwelle wieder eröffnet«, teilte dessen Ministerium gestern mit. Gut so, dann können sich die wieder eingereisten Diplomaten – gemeinsam mit ihren Büronachbarn von BKA und BND – um die Lösung eines Rätsels kümmern, das weder Kanzleramt noch Staatsanwälte bislang aufklären wollten. Wie kamen deutsche G36-Sturmgewehre ins Gaddafi-Land? Heckler & Koch hat nicht geliefert, das Wirtschaftsministerium keine Lieferungen genehmigt, Drittstaaten dürfen nicht liefern ... Dennoch sind die Mordwerkzeuge nach Tripolis gelangt und leisten nun den mit NATO-Hilfe siegreichen Rebellen grausame Dienste.

Kleinwaffen, also auch die G36, sind die vollkommensten Mordwerkzeuge weltweit. Wer sie – zudem noch illegal – exportiert, wer so ökonomische und politische Profite macht, verstößt nicht nur gegen Menschlichkeit und Moral, sondern ist kriminell und verweist die angeblich restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik einmal mehr ins Märchenreich.

Also noch ein paar Gesetze, noch ein paar Aufsichtsgremien schaffen? Nein, um illegale Exporte zu verhindern, gibt es nicht nicht zu wenige, sondern zu viele Normen, Rechtbestimmungen und Verfahrensvorschriften. Zu viele Behörden dürfen miteinander kungeln, ganz zu schweigen von denen, die ihren Job im Geheimen, jenseits parlamentarischer Aufsicht ausüben. Nur eines würde helfen: das Verbot aller Rüstungsexporte.

* Aus: Neues Deutschland, 26. September 2011 (Kommentar)


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