Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Untilgbare deutsche Schuld

Hans Frank, der "Schlächter" von Juden und Polen, und der geschändete Wawel

Von Kurt Schneider *

Der Wawel in Krakau, benannt nach dem gleichnamigen Hügel, auf dem er entstand, ist ein Gebäudeensemble mit Königsschloss und Kathedrale. Ab 1076 war Krakau das politische und bald auch das intellektuelle Zentrum des Landes, ab 1320 wurden mehr als 30 polnische Könige und Königinnen auf dem Wawel gekrönt und zu Grabe getragen. Drei Teilungen des Landes (1772, 1793 und 1795) gingen auch an Krakau nicht spurlos vor-über; die letzte währte 123 Jahre, bevor 1939 die vierte Teilung erfolgte. Dieter Schenk hat sich der Krakauer Burg – wie der Wawel unter dem Hakenkreuz offiziell benannt wurde – als Machtzentrale des Generalgouvernements angenommen.

Zwei Wochen nach dem Überfall Deutschlands auf Polen erhielt Hans Frank am 15. September von Hitler den Auftrag, die zivile Verwaltung in den von Deutschland besetzten polnischen Gebieten, soweit sie nicht in das Deutsche Reich eingegliedert wurden, zu übernehmen. Am 8. Oktober bestimmte der deutsche Aggressor das zentralpolnische Gebiet zum Generalgouvernement, eine Art Kolonialgebiet ohne Völkerrechtsstatus. Krakau wurde zur Hauptstadt erklärt und Frank, bislang Minister ohne Geschäftsbereich, mit Wirkung ab 26. Oktober 1939 zum Generalgouverneur bestellt. Am 7. November zog er in die Krakauer Burg ein und verkündete triumphierend, dass »nun die Hakenkreuzfahne für alle Zeiten über der Burg wehen werde«. Ob seiner Prunksucht bald »König von Polen« genannt, versuchte er, aus dem Generalgouvernement einen »Staat« zu machen und sich selbst als »Staatsoberhaupt« zu stilisieren.

Das Generalgouvernement zählte nahezu 17 Millionen Einwohner und umfasste fast 37 Prozent der polnischen Staatsfläche. Es sollte als Umschlagplatz für die Deportation von polnischen und deutschen Juden aus dem Reichsgebiet dienen und zugleich Deutschland mit rechtlosen Arbeitsklaven versorgen. Zudem war es als Aufmarschgebiet für den Überfall auf die Sowjetunion vorgesehen.

Die Krakauer Burg sollte eine »Insel der Kultur und der feinen Bildung inmitten der slawischen Barbarenwelt« werden. »Dabei setzte sich Frank kaltlächelnd über den Widerspruch hinweg«, schreibt Schenk, »dass seine geliebte Burg ein Werk der von ihm so verachteten ›slawischen Barbaren‹ war«. Krakau sollte das »Nürnberg des Ostens« werden. Schenk berichtet, wie öffentliche Gebäude umfunktioniert wurden. In der Bergakademie hatten die Regierung, die oberste SS-Führung, die Hauptabteilung Innere Verwaltung und das Amt für Gesetzgebung ihren Sitz. Das polnische Nationalmuseum wurde als Staatskino mit einem Restaurant für Regierungsmitglieder missbraucht. Deutsche Gaststätten schossen wie Pilze aus dem Boden, die Zahl der Hotels unter deutscher Bewirtschaftung wuchs. Straßen wurden umbenannt, so in Adolf-Hitler-Platz, Straße der Wehrmacht und Straße der Bewegung. Eine der größten Bausünden Franks war, den prachtvollen Senatorensaal im Königsschloss in ein Kino umbauen zu lassen.

Schenk sieht im Wirken von Frank, der sich als »Kunstliebhaber« pries, Pianist und Wagner-Fan war, sich an der Vorbereitung der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 maßgeblich beteiligt hatte und fanatisch für die Umsetzung ihrer Festlegungen im Generalgouvernement sorgte, Grausamkeit, Zynismus und Menschenverachtung vereint. Beifallumtost proklamierte jener im Lemberger Theater: »Wir können dem Führer gar nicht genug dafür danken, dass er mit seinem Entschluss, dieses alte Judennest, diese verwahrloste Burg von Raubrittern der Straße und der Gasse, dieses Polackensiedlungsheim endlich deutschen Fäusten anvertraut hat, die mit der Schaufel in der Hand, mit Insektenpulver und sonstigem dafür gesorgt haben, dass sich ein deutscher Mensch wieder hier aufhalten kann.« Und ein knappes Jahr später verkündete er: »Mit den Juden, das will ich Ihnen ganz offen sagen, muss so oder so Schluss gemacht werden.«

Zur mörderischen Bilanz der faschistischen Besatzungsmacht unter Frank gehörten 2,8 Millionen in Ghettos, Zwangsarbeits- und Vernichtungslagern gestorbene oder ermordete polnische Juden. Schenk belegt, dass Frank auch eine »Endlösung der Polenfrage« anstrebte, eine »völkische Flurbereinigung«, bei der 80 bis 85 Prozent der Polen »vernichtet oder vertrieben« werden sollten. Allein 1942 ließ er 17 386 »Banditen« hinrichten, darunter viele Angehörige der polnischen Intelligenz. Insgesamt wurden fast sechs Millionen Polen Opfer der deutschen Okkupation.

Im August 1944 hatte die Rote Armee bereits zwei Drittel des Generalgouvernements besetzt. Frank ließ eilig einen großen Teil der von ihm in Polen geraubten Kunstgegenstände in zwei Eisenbahnwaggons verladen und nach Seichau in Oberschlesien zum Schloss des Grafen Manfred von Richthofen transportieren. Am 17. Januar 1945 holte er die Hakenkreuzfahne, die »ewig über der Burg wehen« sollte, angeblich selbst ein und verließ mit einer Wagenkolonne Krakau; am 4. Mai wurde er von einem Leutnant der 7. US-Armee festgenommen. Im Nürnberger Prozess zum Tode verurteilt, erfolgte am 16. Oktober 1946 die Vollstreckung des Urteils am »Schlächter von Polen«.

Dieter Schenk, der bereits eine Biografie über »Hitlers Kronjuristen und Generalgouverneur« (S. Fischer, 2006) verfasst hat, legte nunmehr erneut ein Buch vor, das an die schwere deutsche Schuld gegenüber Polen 1939 bis 1945 erinnert. Angesichts derzeitiger Vorgänge um die »Vertriebenenstiftung« kommt dieser Veröffentlichung eine höchst aktuelle Bedeutung zu.

Dieter Schenk: Krakauer Burg. Die Machtzentrale des Generalgouverneurs Hans Frank 1939-1945. Ch. Links Verlag, Berlin 2010. 206 S., geb., 29,90 €.

* Aus: Neues Deutschland, 11. November 2010


Zurück zur Deutschland-Seite

Zur Seite "Faschismus, Rassismus, Antisemitismus"

Zur Polen-Seite

Zurück zur Homepage