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Weltmachtillusionen 1940

Geschichte. Deutsche Politik von Compiègne bis zur "Weisung Nr. 21 (Fall Barbarossa)"

Von Dietrich Eichholtz *

Im Sommer 1940, nach der katastrophalen Niederlage Frankreichs (siehe jW-Thema vom 7.Juni), sah sich der deutsche Imperialismus, zu Lande unbedroht, im trügerischen Glanz der Unbesiegbarkeit des »größten Feldherrn aller Zeiten«, als ungefährdeter Herr über Kontinentaleuropa. Das eigene Volk wartete auf Friedenszeiten, zu großen Teilen auf ein Wohlergehen auf Kosten anderer hoffend. »Was bekam des Soldaten Weib aus der Lichterstadt Paris?« (Brecht)

In Wirklichkeit waren Wehrmacht und Naziführung in ihren Entschlüssen nur scheinbar frei und sahen sich in einer außerordentlich komplizierten Situation, allein schon wegen ihrer in der Welt allmählich bekannten Untaten in den besetzten Ländern und wegen des Widerstands der Völker dort.

Ehe sich die strategischen Probleme Hitlers und der deutschen Führung heillos verwirrten und die »Weisung Nr. 21« am 18. Dezember 1940 den Weg zum Vernichtungskrieg gegen die UdSSR vorzeichnete, verging ein halbes Jahr interner Diskussionen und Auseinandersetzungen im »Dritten Reich«. Allein über diese Zeit sind von Historikern Tausende von Seiten geschrieben, unzählige Dokumente studiert und veröffentlicht worden, ohne daß alle Quellen bisher bekannt sind oder auch nur gebührend gewürdigt wurden.

Strategische Dilemmata

Seit Juni/Juli 1940 sahen die Planungen der Wehrmacht die »Niederwerfung Englands« vor, wenn nicht durch freiwillige Unterwerfung unter deutsches Diktat, dann mittels Okkupation der britischen Insel. Es dauerte einige Zeit, bis Hitlers erklärte Absicht, sich mit Großbritannien auf eine »Teilung der Welt« zu verständigen, sich als Illusion erwies; noch länger währte es, bis die militärischen Planungen einer Invasion (Codename »Seelöwe«) wegen der Befürchtung untragbaren Aufwands und Risikos schließlich Ende 1940 auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Der beherrschende Einfluß der britischen »Appeasement«-Politiker war seit ihrer historischen Niederlage auf dem Kontinent gebrochen. Churchill als neuer Regierungschef zeigte sich als entschlossener Gegner Nazideutschlands, bereit, mit der Unterstützung der USA bis zum gemeinsamen endgültigen Sieg über Hitler zu kämpfen.

Die nächsten strategischen Entschlüsse zu fassen, schien der deutschen Führung nach dem Sieg über Frankreich noch nicht allzu schwierig. Allerdings mußte das Reich mit zwei Weltreichen als Gegner (Großbritannien; USA) und dazu, als künftigem Gegner, mit der UdSSR rechnen. Das wirtschaftliche Potential des deutsch beherrschten Kontinents war, den Zahlen nach, imponierend. Vichy-Frankreich, immer noch koloniale Großmacht, zeigte sich kollaborationswillig. Seine Herrschaft über das gewaltige Kolonialreich in Afrika, im Nahen und Fernen Osten, das später die Beute Hitlerdeutschlands werden sollte, erwies sich aber als außerordentlich unsicher gegen britische Angriffe.

Die Auslöschung der UdSSR und der von ihr inspirierten revolutionären Arbeiterbewegung war und blieb für Hitler stets das prinzipielle, übergeordnete Ziel des Krieges. Eben diese Zielsetzung vertrat der Kern der herrschenden Klasse. Es fehlen heute unabhängige Untersuchungen hierüber fast vollständig. Doch ist hier die Haltung der Wehrmachtführung, besonders der Heeresleitung, aufschlußreich. Für die Heeresleitung, ebenso wie für Kreise der Marine- und Luftwaffenführung, war der Sowjetstaat, dem auch ihre alte Feindschaft gegen Kommunisten, Juden und Slawen galt, nach wie vor eine erstrangige Gefahr für die deutsche Kriegführung. Besonderen Haß erregte ihnen die Barriere, die 1939/40 die UdSSR dem deutschen Expansionsdrang in Galizien (Lemberg), im Baltikum, in der Bukowina und in Bessarabien entgegensetzte.

Es kann keine Rede davon sein, wie Historiker heute noch behaupten, daß der Vernichtungsfeldzug gegen die UdSSR stets das Aushilfsmittel für Hitler oder auch nur für seine militärischen Strategen war. Im Gegenteil, er bildete den Fixpunkt ihrer Vorstellung vom großen Krieg, bevor er noch anfing (siehe die frühen Stellungnahmen von Generalstabschef Franz Halder im April 1939 oder von Göring im Februar 1940). Halder sammelte während des Krieges gegen Frankreich Material über die militärische Stärke der Sowjetunion und suchte zuverlässige Offiziere dafür aus, erste Pläne für einen Überfall zu entwerfen. Ende Juli 1940 autorisierte Hitler diese vorausschauenden Planungen und bekundete seine Entschlossenheit, die UdSSR »in einem Zug schwer (zu) zerschlagen«.

In der akuten Situation des Jahres 1940 lagen die Dinge nach dem Waffenstillstandsdiktat von Compiègne allerdings keineswegs einfach für die deutschen Strategen. Es erwies sich als zunehmend kompliziert und überforderte sie in grotesker Weise, das besetzte und beherrschte Europa – West-, Nord-, Südosteuropa – zu verdauen, den Krieg gegen Großbritannien weiter- und zu Ende zu führen, gleichzeitig den »Ostkrieg« vorzubereiten, ferner den unberechenbaren italienischen Verbündeten zu bändigen und den Schaden seiner militärischen und diplomatischen Eskapaden im Mittelmeerraum, in Südosteuropa und in Afrika zu begrenzen.

Nach monatelangem Hin und Her setzte der »Führer« am 5. Dezember 1940 schließlich die Termine der Unternehmungen »in den nächsten Monaten« fest:
  1. Beginn des Luftkrieges gegen die britischen Flottenteile, See- und Luftstützpunkte im östlichen Mittelmeer am 15. Dezember (Alexandria, Suez-Kanal);
  2. Angriff auf den Felsen von Gibraltar Anfang Februar, Ende vier Wochen später;
  3. Beginn des Unternehmens »Marita« (Besetzung Griechenlands gemeinsam mit den seit Oktober dort erfolglosen Italienern) Anfang März, zu beenden Ausgang März/Anfang April;
  4. Beginn der Ostoperationen frühestens Mitte Mai.
Anfang 1941 wurde ferner klar, daß Italien in Libyen schnelle deutsche Hilfe – Panzertruppen und Panzerabwehrverbände – benötigte, wenn nicht ganz Libyen an die Briten verlorengehen sollte.

Keines dieser Unternehmen ließ sich nach Hitlers Vorgaben erfüllen. Die Eroberung von Gibraltar, die den Briten den westlichen Zugang zum Mittelmeer sperren sollte, war monatelang erwogen und vorbereitet worden. Sie fand nicht statt, weil Spanien – wie auch Portugal – eine Mitwirkung am Krieg gegen Großbritannien aus guten Gründen ablehnte. Die deutsche Luftwaffe, geschwächt seit der »Luftschlacht über England« im Herbst 1940, war in Griechenland und schließlich auch mit der Anlandung (Februar 1941) und dem Schutz des deutschen Afrikakorps deutlich überfordert. Auf Kreta führte sie noch bis Ende Mai 1941 verlustreiche Kämpfe gegen griechische und britische Truppen.

Am 18. Dezember 1940 unterschrieb Hitler die »Weisung Nr. 21 (Fall Barbarossa)«. Die ungeheuerliche Fehleinschätzung der Stärke der sowjetischen Armee, die nach der Weisung Nr. 21 in einem »schnellen Feldzug« niederzuwerfen war, des Volkswiderstands und der wirtschaftlichen und moralischen Ressourcen der UdSSR beruhte auf der fatalen Überzeugung von der deutschen Überlegenheit über die slawischen »Untermenschen« und von der Unfähigkeit der kommunistischen Führung.

Interne Differenzen

Die Entschlußvollmacht in allen militärischen und politischen Fragen lag zu dieser Zeit ausschließlich beim »Führer«, der von der Idee besessen war, daß Deutschland mit einem Sieg über die UdSSR über »alle Möglichkeiten« verfüge, »in Zukunft auch den Kampf gegen Kontinente zu führen«; Großbritannien werde dann aufgeben, die USA würden auf eine Kriegsteilnahme verzichten müssen. Das war es schließlich, was sich aus der strategischen Konfusion des zweiten Halbjahres 1940 herausschälte und letztlich von allen Beteiligten akzeptiert wurde.

Es gelang aber keineswegs, alle die verschiedenen Standpunkte, die in den Führungskreisen des Regimes vertreten und diskutiert wurden, von vornherein und widerstandslos auf die »Barbarossa«-Strategie einzuschwören. Den Krieg mit größtmöglichem Gewinn und in absehbarer Zeit zu Ende zu bringen, war allgemeines Ziel, das aber nach Meinung zahlreicher Militärs, Diplomaten und hochgestellter Politiker auf verschiedenen Wegen zu erreichen wäre. Die Strategie eines Zwei-Fronten-Krieges, auf die die oberste Führung jetzt verfallen war, galt seit dem Ersten Weltkrieg als tabu, ja als tödlich gefährlich. Breitere Führungskreise standen ihr durchaus nicht unkritisch gegenüber.

Dazu gehörten – mit geringerem Gewicht – inzwischen abgehalfterte Kritiker wie Hjalmar Schacht, Generaloberst Ludwig Beck und Fritz Thyssen, die prinzipiell einen Krieg gegen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges für nicht gewinnbar, wohl aber gegen die Sowjetunion für denkbar und führbar hielten. Einflußreicher war jene Richtung in politisch-diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Kreisen, die Großbritannien als vordringlich zu bekämpfenden, gefährlichsten, aber auch angeschlagenen und überwindbaren Gegner sahen, der vor allem hatte, was Deutschland fehlte: Kolonien und Rohstoffreichtümer im Nahen Osten, in Asien und Afrika, darunter das, was seit Versailles Beute der Siegermächte geworden war, ferner Machtzentren und Stützpunkte, vor allem militärische, zu Wasser und zu Lande rings in der Welt.

Vertreter dieser Kräfte waren Gruppen von Diplomaten mit Rückendeckung von Außenminister Joachim von Ribbentrop, die Führung der Kriegsmarine, hohe Militärs im Wehrmachtführungsstab, auch Vertreter der Großwirtschaft in Görings Bereich. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Erich Raeder, vertrat Hitler gegenüber seit den frühen Junitagen 1940 die Strategie, man solle unter Ausnutzung der neutralen Haltung der UdSSR Großbritannien als aktuellen Hauptfeind bekämpfen, umfassend auch die Peripherie dieses Weltreichs vom Nord- und Mittelatlantik über den »afrikanisch-mittelmeerischen Bereich«, West- und Ostafrika bis nach Indien und Indonesien angreifen. Noch Ende des Jahres, in Kenntnis des »Barbarossa«-Plans, betonte er erneut, »daß straffe Konzentration unserer gesamten Kriegsmacht gegen England als unseren Hauptgegner das dringende Gebot der Stunde sei«, und äußerte »schwere Bedenken gegen Rußlandfeldzug vor Niederringung Englands.« Generaladmiral Rolf Carls, einer der führenden Schreibtisch-Admirale der Seekriegsleitung am Tirpitz-Ufer, forderte als Kernpunkt weltumspannender Kriegsziele, daß Großbritannien »alle Rechte im Persischen Golf und die persisch-englischen Ölanlagen« an Deutschland abzutreten habe. Eben diese Forderung fand sich zur gleichen Zeit (Ende Mai/Juni 1940) bei den Planern in Ribbentrops Auswärtigem Amt (Carl Clodius/Karl Ritter) und bei Görings industrieller Entourage.

All diese Kräfte stimmten später ohne erkennbaren Dissens in den euphorischen Jubel über den Vormarsch der Wehrmacht in der UdSSR und über die anfänglichen Erfolge des Afrikakorps in seinem Feldzug gegen Ägypten und den Suez-Kanal ein.

Real-Imperialismus

Die antibritischen Planungen von 1940 erschienen um so phantastischer, je fester sich das politische und Waffenbündnis zwischen London und Washington knüpfte, besonders seit der Wiederwahl von Präsident Roosevelt (5. November 1940). Inzwischen war aber seit Jahr und Tag der Raubzug des deutschen Großkapitals auf dem europäischen Kontinent im Gange. Ausführlich genug zwar von marxistischen Wissenschaftlern dokumentiert, ist diese Art von brutaler »Neuordnung« von der gängigen Geschichtswissenschaft kaum wahrgenommen worden.

Schon dort, wo 1938/39 die NS-deutsche Herrschaft errichtet worden war, fand das Beutemachen in bis dahin nicht dagewesenem Maßstab statt. In Österreich, in Tschechien und in Polen stürzten sich die deutschen Großfirmen und Großbanken auf die lukrativen bzw. konkurrierenden Objekte. Solche »treuhänderische« Übernahme fremden Eigentums größten Stils ist unter nicht unähnlichen Umständen erst wieder aus der jüngsten Gegenwart bekannt.

In unserem Zusammenhang wird klar, daß, anders als alle möglichen militärstrategischen Pläne, diese imperialistische Übernahme als endgültig, als nicht mehr reversibel angesehen wurde.

Hier sollen einige der wichtigsten Fälle aus dem Jahr 1940 genannt werden, darunter nur solche, die unmittelbar der Initiative der Großwirtschaft entsprangen. Unberücksichtigt bleiben geplante Annexionen und Aufteilungen von besetzten Ländern, etwa von Belgien, der vorgesehene Raub ihrer Kolonien, die erwähnten Pläne der Marineleitung, die eigentliche deutsche Kolonialplanung, die staatlich angeordnete Kommissarwirtschaft in bestimmten Unternehmen der besetzten Länder.

Der IG-Farben-Konzern folgte der kämpfenden Truppe mit »Sachverständigen« schon im Mai 1940 nach Holland und Belgien und begann Tage später mit seinen berüchtigten »Friedensplanungen« und der Anfertigung der »Länderberichte« für Frankreich, Belgien und Luxemburg, Holland, Dänemark, Norwegen und mit Vorarbeiten für den England-Bericht (einschließlich Empire). Zeichneten die IG-Länderberichte bis ins Detail den Industrieraub und die Konkurrenzvernichtung in den einzelnen Ländern Europas vor, so enthielt der »Allgemeine Teil« (August 1940), den die IG-Chefs ihnen voranstellten, ihre weltweite generalstabsmäßige Strategie. Sie forderten und planten darin ausdrücklich, das alte Weltmonopol wieder aufzurichten, das die deutsche Industrie vor 1914 auf führenden Gebieten der Chemie besessen hatte, in noch umfassenderem Sinne. In Frankreich beispielsweise geriet der führende Chemie-Großkonzern Francolor, nach Plan der IG und unter massivem Druck der deutschen Besatzungsorgane gegründet, mit 51 Prozent seiner Aktien (408 Millionen französische Francs) in die Hand des deutschen Konzerns.

Die deutschen Montankonzerne legten Hand auf die lothringisch-luxemburgische Stahlindustrie, die nach dem Ruhrgebiet und den sowjetischen Metallurgiezentren größte eisenmetallurgische Basis des Kontinents. Binnen eines halben Jahres hatten sie – unter heftiger, von Staats wegen mißtrauisch beobachteter Konkurrenz – die Beute unter sich aufgeteilt und wurden im Januar 1941 als »Treuhänder« über die Werke eingesetzt, versehen mit dem Vorkaufsrecht für die Zeit »nach Eintritt friedensmäßiger Wirtschaftsverhältnisse«.

Die Gruppe der sechs mächtigsten Ruhrmontankonzerne unter Führung der Vereinigten Stahlwerke, der sich der Röchling-Konzern und die von Göring besonders protegierte Flick-Gruppe anschlossen, erhob ihre Forderungen schon Anfang Juni 1940, über zwei Wochen vor dem deutsch-französischen Waffenstillstand, als die Kämpfe in Frankreich noch jegliche Inbetriebnahme der französischen Werke verhinderten. Es war wesentlich der gleiche Kreis von Konzernen, der sich im Ersten Weltkrieg seines schwerindustriellen Besitzes in Lothringen und Luxemburg sicher gefühlt hatte und der schon damals für die angrenzende Erzbasis von Briey und Longwy »zehn Jahre länger Krieg führen« wollte (Albert Vögler; 29.8.1917). Diesmal zogen sich die Auseinandersetzungen um die etwa drei Dutzend großen französischen Hüttenwerke seit dem Juni 1940 über das ganze Jahr hin. Diesmal erstreckten sich die deutschen Wünsche noch weiter als jemals bisher nach Westen (Erzbecken von Briey-Longwy) und nach Süden (Nancy). Verhandlungsführer Ernst Poensgen, Vorstand der Vereinigten Stahlwerke, erklärte im Reichswirtschaftsministerium am 18. Dezember 1940 hochbefriedigt, »Deutschland habe nun in ­Europa eine dominierende Stellung. Internationale Kartelle seien nicht mehr nötig. Mit England und Amerika könne man sich auf dem Weltmarkt schon auseinandersetzen.«

Noch im Mai 1940 setzte die Jagd auf die Ölinteressen der Briten, Franzosen, Belgier und Niederländer in Rumänien ein, bei der die Deutsche Bank führend war, die bis 1918 dort selbst Kapitalpositionen besaß. Im August erhielt die Bank die offizielle Genehmigung des Reichswirtschaftsministeriums zu Verhandlungen mit dem »Feind«. Hermann Josef Abs, Karl Kimmich und Kurt Weigelt vom Bankvorstand erzwangen in Paris und Brüssel Verkäufe zu Spottpreisen, so daß die deutsche Verfügungsgewalt schließlich von nahezu null auf 47 Prozent der gesamten rumänischen Rohölförderung hochschnellte.

Über die »Wirtschaftsgruppen der gewerblichen Wirtschaft« faßte schließlich der zentrale Unternehmerverband, die »Reichsgruppe Industrie«, die Beuteansprüche und Expansionswünsche der deutschen Industrie in »Länderberichten« zusammen. Das waren unfangreiche Kompendien für die Verwirklichung des »deutschen Führungsanspruchs« auf dem Kontinent – unter den Empfehlungen und Forderungen: »Grundlegende Arisierungsmaßnahmen« nach deutschem Vorbild; »Kapitalverflechtung«; »Organisation der Industrie nach deutschem Muster«; Stillegungen; Außenhandels- und Zollsystem »vorwiegend im deutschen Interesse«; deutsche Führung in internationalen Kartellen.

Die genannten Fälle betreffen einige wichtige unter hundert anderen. Der ganze Umfang des Themas läßt sich ohnehin nur erfassen, wenn der Vernichtungsfeldzug in der UdSSR einbezogen wird. Abgesehen von der Größe des dort unternommenen Beutezugs handelte es sich um die Zerstörung einer ganzen Gesellschaftsordnung mitsamt der ihr zugrunde liegenden sozialistischen Eigentumsverfassung.

Von Dietrich Eichholtz erscheint im August: Deutsche Ölpolitik im Zeitalter der Weltkriege. Studien und Dokumente, Leipziger Universitätsverlag, 584 S., 44 Euro (ISBN 978-3-86583-490-4), dann auch im jW-Shop erhältlich.

Dokumentiert. Aus zwei geheimen Denkschriften betr. »Sicherstellung des europäischen Erdölbedarfs«

»Die europäische Rohölversorgung ist heute völlig abhängig von den englisch-amerikanischen Großkonzernen und damit von der Einfuhr aus Nord- und Südamerika, dem Vorderen Orient und aus Niederländisch-Indien. (...) Die Selbstversorgung des europäischen Raumes ist aus europäischen Erdölfeldern gänzlich unmöglich. Zur Versorgung Europas mit Erdöl ist die Sicherstellung der Erdölreserven des Vorderen Orients unumgänglich notwendig.«
Alfred Bentz (Reichsstelle für Bodenforschung; Beauftragter für die Förderung der Erdölgewinnung), 24. Juli 1940

»Die [britische Erdölgesellschaft] Anglo Iranian sichert die völlige Beherrschung der iranischen Erdölvorkommen. (...) Maßgebender Einfluß auf die Erdölförderung in Rumänien, Irak und Ägypten kann nur durch eine Kontrolle der Royal Dutch Shell sichergestellt werden. In Verbindung mit der Übernahme der Anglo Iranian können beide Gesellschaften einen beherrschenden Einfluß auf die uns interessierenden Länder ausüben, (...) wenn es gelingen sollte, die beiden großen englischen Gruppen in unsere Hand zu bekommen.«
Ernst R. Fischer (IG Farben; Leiter d. Abt. Mineralöl im Reichswirtschaftsministerium), »Die Versorgung Europas mit Mineralöl (...)«, September 1940



* Aus: junge Welt, 18. Juni 2010


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