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Eine Spurensuche

Erika Schwarz beleuchtet in einer Studie das Leben des jüdischen Bankiers Siegfried Bieber

Von Manfred Weißbecker *

Wer war der Mann? Habe ich seinen Namen schon einmal vernommen? Welche Rolle spielte er? Weshalb verdient die Biographie Siegfried Biebers, dem Dunkel entrissen zu werden? So wird mancher Leser fragen, nimmt er das hier vorzustellende Buch oder auch nur diese Rezension zur Kenntnis. Unwissend war auch der Verfasser, sehr dankbar indessen für bemerkenswerte Aufklärung nach der Lektüre von rund 170 Seiten – alle prall gefüllt mit detaillierten Schilderungen des Lebensweges eines jüdischen Bankiers und seiner Familie, aus der 34 Angehörige den faschistischen Mördern zum Opfer fielen. Das von der Kulturstiftung Liechtenstein geförderte Buch liefert das Bild einer Tragödie – eines von Millionen ...

Ganzheitlicher Ansatz

Die Historikerin Erika Schwarz – sie trat bereits mit mehreren Publikationen in Erscheinung und verfolgte zuletzt die Spur des Hans Globke im Gedächtnis von Überlebenden der Shoah (siehe jW vom 14./15.11.2009) – legt nun das Ergebnis einer zehnjährigen und nahezu kriminalistisch zu nennenden Arbeit vor. Veranlaßt sah sie sich dazu, als sie sich mit dem Außenlager Dahmshöhe des KZ Ravensbrück befaßte. Vor Ort begegneten ihr vage Erzählungen, ein Jude habe das Schloß erbauen lassen, der zwar emigriert, aber in einem KZ zu Tode gekommen sei. Im einleitenden Abschnitt »Spurensuche« berichtet sie, welche Wege sie für ihre Untersuchungen beschritt, wie Schwierigkeiten überwunden werden konnten, welche Hilfe ihr gewährt, welche verweigert worden ist.

Man könnte von einem ganzheitlichen Ansatz sprechen, den Schwarz ihrer Darstellung von Biebers Lebensweg (1873–1960) zugrundelegt. Während Wikipedia für ihn nur die Begriffe »Bankier« und »Kunstsammler« nennt, verwendet sie deren vier: Da wird nicht allein der Beruf benannt, sondern auch auf seine jüdische Herkunft, auf seine soziale Stellung und nicht zuletzt auf sein politisches Schicksal verwiesen. Das unmittelbar Biographische, das sich ja über mehrere und dazu noch recht unterschiedliche Phasen deutscher Geschichte erstreckt, wird in diese eingebettet und/oder aus ihr abgeleitet. Individuum und Gesellschaft, Lebenschancen und Karriere, Familie und menschliche Solidarität sowie Brüche und Ausgrenzung – all das scheint im ungewöhnlichen Lebensweg auf, den Schwarz sorgfältig beschreibt.

Die Darstellung gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten werden zunächst die in Westpreußen liegenden Wurzeln des 1873 Geborenen aufgespürt. Seine »Lehrjahre« verbrachte er in Danzig und Berlin, seit 1892 arbeitete er in Hamburger Kaufmannshäusern, von 1896 bis 1900 in London, danach in New York. Der junge, aufstrebende Bankangestellte sah sich dank seiner Fähigkeiten und Leistungen rasch anerkannt und gefördert. 1911 führte der Weg wieder nach Europa, wo man Bieber die Leitung der Londoner Filiale der Banca Commerciale Italiana übertrug. Schmerzhaft unterbrach der Krieg die Tätigkeit auf internationalem Parkett, doch danach erleichterten ihm offensichtlich gerade die im Ausland gewonnenen Erfahrungen den Aufstieg an die Spitze der Berliner Handels-Gesellschaft. Von dieser wird mitgeteilt, daß sie weniger das aufwendige Geschäft mit Kleinkunden betrieb und sich eher auf das Aktien- und Devisengeschäft konzentrierte. Sie gehörte zu den acht Instituten, die insgesamt 87 Prozent des deutschen Bankkapitals auf sich vereinigten.

Ende einer Karriere

Biebers offensichtlich gewinnbringende Tätigkeit wird im zweiten Kapitel beschrieben. Darzustellen, wie dies finanztechnisch funktionierte und wie dies in die Politik hinein wirkte, gehörte nicht zum Untersuchungsgegenstand. Es lag wohl auch außerhalb der Möglichkeiten. Ausführlich wird indessen belegt, in welchem Wohlstand der begüterte Bankier leben konnte, sei es in Berliner Hotels, im 1923 bezogenen 35 Räume umfassenden Dahlemer Haus oder seit 1930 auf dem Gut Dahmshöhe. Wie wenig er sich mit Politischem befaßte, läßt sich aus der kurz erwähnten Tatsache erkennen, daß sein schloßartiges Gebäude ausgerechnet der deutsch-völkische Architekt Paul Schultze-Naumburg erbauen durfte. Dieser hatte 1928 seine Anschauungen unter dem Titel »Kunst und Rasse« präsentiert und reinigte 1930 im Auftrag des Naziministers Wilhelm Frick Weimarer Kultureinrichtungen von »kunstbolschewistischen« Tendenzen.

Die umfangreichsten Teile des Buches befassen sich mit dem erzwungenen Ende einer Karriere, dem Aufenthalt in Amsterdam und im schweizerischen Maroggia, dem Ringen um die Staatsbürgerschaft Liechtensteins und schließlich mit den verschlungenen Wegen, die aus Europa über Südamerika wieder in die USA führten. Der Leser erfährt an Biebers Beispiel, wie die Nazis und arische Konkurrenz konkret vorgingen, um jüdisches Kapital zu enteignen, in welcher Höhe »Fluchtsteuern« und viele andere schikanöse Gebühren erhoben wurden. Die Autorin informiert zugleich ausführlich, wie großzügig Bieber mit den ihm verbliebenen Geldern anderen Familienmitgliedern finanziell beistand. Ebenso unterstützte er viele jüdische Organisationen, ohne seine Hilfe von der Sympathie für diese oder jene Richtung des religiösen Judentums abhängig zu machen. Wie er generell zu seiner jüdischen Herkunft stand, ließ sich nicht ermitteln; es fehlen schlicht und einfach Quellen. Auf unschlüssige Annahmen und Vermutungen wollte sich Schwarz nicht einlassen.

Mit dem Gespür für Besonderes, ja Herausragendes geht die Autorin im letzten Teil den Schicksalen nach, die mehr als 70 Verwandte des Bankiers erlitten. Dabei spielt die zumeist finanzielle Beihilfe oft eine existenzsichernde Rolle. Das Bild der Familie wird abgerundet durch die Stammbäume der Biebers sowie der Familie, aus der seine Ehefrau Josephine stammte. Schwarz verfolgt schließlich nicht nur den Lebensweg des Ehepaares in der Nachkriegszeit bis zum Tod Siegfried Biebers im Jahre 1960 und dem seiner Frau zehn Jahre darauf, sondern auch die umfangreiche Spendentätigkeit zum Wohle zahlreicher Einrichtungen und Vereine. Zwei Exkurse gelten dem KZ-Außenlager Dahmshöhe und der Entwicklung des Schlosses bis zur heutigen Nutzung als Kinderkurheim.

Das Geleitwort Kurt Pätzolds bescheinigt der Autorin, in mehrfacher Hinsicht Außergewöhnliches geleistet zu haben. Und dies mit Recht!

Erika Schwarz: »... zu Lasten meines Conto’s« Siegfried Bieber - Jude–Bankier–Gutsbesitzer–Emigrant. Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2011, 176 Seiten, 29,90 Euro

Quelle: Zum Testament Siegfried Biebers

Den Menschen Bieber spiegelt das Testament wider, das er fast zwei Jahre vor seinem Tod am 16. Januar 1959 verfaßt und am 22. März 1960 mit einer Ergänzung versehen hatte. Er bestimmte Josephine zu seiner Haupterbin. Aus seinem Kunst- und Antiquitätenbesitz sollte sich das Metropolitan Museum of Art der Stadt New York die für seine Zwecke interessanten Stücke auswählen und übernehmen; eine Gabe, die als sein und Josephines gemeinsames Geschenk gelten sollte. Weiterhin bedachte er mehr als 30 Personen, Institutionen und Organisationen mit verschiedensten Teilen seines Nachlasses. Darunter waren Verwandte, die in den USA, Europa und in Israel lebten, wie die aus Josephines Familie in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Auch Freunde in den USA, sein ehemaliger Sekretär Franz Berends in Berlin sowie Angehörige seines Dienstpersonals in New York und Maroggia wurden bedacht. Finanzielle Unterstützung sollte ein Krankenhaus in New York mit der Auflage erhalten, die Pflege bedürftiger und an Krebs erkrankter Menschen zu verstärken. Eine Zuwendung von 20000 Dollar erhielt die »Infirmary for Woman and Children«, womit künftig ein Bett für einen an Krebs leidenden Patienten subventioniert werden sollte. Beträchtliche Dollarbeträge empfingen eine Jugendhilfseinrichtung, eine Organisation, die sich für soziale Gerechtigkeit und den Frieden in der Welt einsetzte, die Heilsarmee in New York und eine katholische Kirche. Als Testamentsvollstrecker und Treuhänder hatte Siegfried Bieber seine Frau und seinen Freund und Anwalt Rene Loeb benannt. In einem Zusatz zum Testament bestimmte er Zuwendungen für die Park East Synagoge (Congregation Zichon Ephraim), verbunden mit dem Wunsch, daß am Jahrestag seines Todes Gebete gesprochen würden.

Mit dem Blick auf sein Lebensende hatte Siegfried ein halbes Jahr vor seinem Tod, am 16. März 1960, gemeinsam mit Josephine eine Stiftung gegründet, die vor allem karitativen und kulturellen Zwecken dienen sollte. Der »Siegfried and Josephine Bieber Foundation« war der Rest des Hauptteils der Erbmasse zugedacht (...)

aus dem Buch von Erika Schwarz, a.a.O.



* Aus: junge Welt, 20. August 2011


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