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Unter Terrorismus-Verdacht

Männer und Frauen der Revolution von 1848/49

Von Kurt Wernicke *

Die Revolution von 1848/49 nimmt in der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts einen zentralen Platz ein: Zu ihr führte seit 1815 alles hin, und von ihr ging bis zur Vollendung der nationalstaatlichen Einigung Deutschlands alles aus. Das wollten verschiedene politische Kräfte, voran die Konservativen, keinesfalls eingestehen. Darum wurde diese Revolution verhöhnt, delegitimiert und als »tolles Jahr« diskreditiert. Als herausragendes Ereignis des 19. Jahrhunderts wurde an ihre Stelle die Reichsgründung von 1871 gesetzt. Allein Deutschlands politische Linke verweigerte sich dieser Geschichtsfälschung, wie etwa der Sozialdemokrat Wilhelm Blos mit seiner »Geschichte der Deutschen Revolution 1848«, die zum 50. Jahrestag erschien. Er würdigte sie als einen großen hoffnungsvollen Aufbruch, trotz aller Schwächen, und sah im Wilhelminischen Kaiserreich keineswegs den Gipfel nationaler Geschichte erreicht.

Mit dem Ende der Hohenzollernherrschaft durch die Novemberrevolution von 1918 setzte eine Umbewertung der Ereignisse von 1848/49 auch jenseits linker Historiografie ein. Und die 1949 aus der Taufe gehobenen beiden deutschen Staaten sahen sich in deren Traditionslinien: die Bundesrepublik in parlamentarischer, die DDR in sozialpolitischer.

1973 erschien in der DDR ein Übersichtswerk mit dem Anspruch, beide Traditionslinien zu verzahnen: eine »Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution 1848/49«, erarbeitet von einem Forscherteam unter der Leitung von Walter Schmidt von der Akademie der Wissenschaften. Die Arbeit daran hatte eine Fülle von Fakten und Details zum Anteil einzelner Akteure zu Tage gefördert, die beim Blick auf »das große Ganze« gemeinhin vernachlässigt werden. So konnte das Schmidt-Kollektiv denn bis 1987 noch zwei Bände über »Männer der Revolution von 1848« vorlegen.

Schmidt, dessen Ruf als Altmeister deutschsprachiger Forschung zu »1848« durch die »Abwicklung« seines Akademieinstituts nach der deutschen Vereinigung von 1990 nicht beschädigt werden konnte, sammelte hernach einen Kreis von ausgewiesenen DDR-Historikern um sich, in dem vorurteils-, aber keineswegs standpunktlose Diskussionen zur Überwindung früherer einseitiger Sichtweisen geführt wurden. Deren Ergebnisse schlugen sich im Sammelband »Demokratie, Liberalismus und Konterrevolution« (FIDES 1998) nieder. Das freundliche Echo auf diesen motivierte den Schmidtschen »Arbeitskreis 1848« zur Weiterführung der biografischen Bände. Einbezogen wurden jetzt auch weibliche Protagonisten. An der neuen, zweibändigen Edition unter verändertem Titel - »Akteure eines Umbruchs« - waren nun auch Autoren aus den alten Bundesländern beteiligt.

Jetzt präsentiert der Arbeitskreis einen dritten Band mit 16 Biografien von Männern und Frauen, in deren Leben die Revolution von 1848/49 einen bedeutenden Platz einnahm. Die Bandbreite ist wieder parteienübergreifend; vom radikalen Demokraten Adam von Itzstein bis zum reformorientierten Konservativen Josias (von) Bunsen werden unterschiedlich involvierte und motivierte Akteure vorgestellt. Dass unter den erfassten Persönlichkeiten jene vom linken Spektrum deutlich stärker vertreten sind, erklärt sich nach wie vor aus dem Nachholebedarf beim Wissen um den demokratischen Flügel.

Schmidt selbst hat einen 48er der Vergessenheit entrissen, der in der deutschen Medizingeschichte einen besonderen Platz als Lungenarzt einnimmt, ohne dass je die in der Revolution angelegten Wurzeln seines sozialpolitischen Engagements befragt wurden: den schlesischen Radikaldemokraten Herrmann Brehmer. Heinz Warnecke erinnert an den renommierten Mediziner Paul Börner, der 1848 auf dem äußersten linken Flügel der Berliner Studentenschaft stand. Der zu früh, im vergangenen Jahr verstorbene Berliner Historiker Rolf Dlubeks hinterließ seine Forschung zu Julius Standau, einen völlig vergessenen Organisator und Agitator der frühen Demokratie- und Arbeiterbewegung. Marion Freund (Bonn) bringt dringend nötige Wahrheit über Emma Herwegh, einer Avantgardistin der Emanzipation. Ein Kabinettsstück liefert Rüdiger Hachtmann: Er bettet die Biografie des Berliners Adolf Streckfuß in einen bis dato unbeachteten Prozess vom September 1851 ein, in dem der populäre Literat als erster Deutscher vor einem deutschen Gericht mit einer Anklage wegen »Terrorismus« (den er propagiert haben sollte) konfrontiert wurde. Der Leser zieht unweigerlich eine Parallele zwischen der nachrevolutionären Reaktionsperiode ab 1849 und der seit dem Angriff auf die New Yorker Twin-Towers 2001 regierungsamtlich beförderten Terrorismushysterie. Ein Beispiel, wie aktuell geschichtliche Ereignisse mitunter sind.

Dem anspruchsvollen biografischen Unternehmen ist weiterhin viel Glück zu wünschen. Ein vierter Band wird bereits konzipiert.

Walter Schmidt (Hg.): Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49. Bd. 3. FIDES Verlag, Berlin 2010. 783 S., geb., 68,50 €.

* Aus: Neues Deutschland, 26. August 2010


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