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Im Schatten des Kalten Krieges

Geheimdienstskandal in Dänemark: Prominentestes Opfer war Rudi Dutschke. Sozialdemokraten bespitzelten KP

Von Andreas Knudsen *

Kein dänischer Bürger darf allein wegen seiner Mitgliedschaft in einer legalen politischen Bewegung observiert werden, hatte 1968 die damalige Mitte-Rechts-Regierung Dänemarks erklärt, als bekannt geworden war, dass der Geheimdienst des Landes, PET, umfassende Personenarchive angelegt hatte. Ein Abonnement der kommunistischen Zeitung »Land und Volk« oder eine Touristenreise nach Osteuropa waren Grund genug für die Registrierung. Mit der Regierungserklärung schien der Handlungsspielraum der Geheimdienstler nun begrenzt, doch die vom Justizministerium bestätigten internen Richtlinien setzten weite Grenzen. Das kann jetzt in einem 16-bändigen Bericht nachgelesen werden, den die sogenannte PET-Kommission nach zehn Jahren Arbeit Justizminister Brian Mikkelsen übergab.

Begonnen hatte alles 1998, als zwei Fernsehjournalisten aufdeckten, dass der Geheimdienst bis zum Ende des Kalten Krieges alle linken Parteien und Bewegungen und auch rechtsextreme Gruppen genauestens überwachte. Maulwürfe wurden eingeschleust, Computer durchleuchtet, Büros heimlich durchsucht usw. – alles, was ein Geheimdienst üblicherweise tut. Und keine Spur von gemütlichen, leicht vertrottelten Polizisten à la Olsenbande. Prominentestes Überwachungsopfer war Rudi Dutschke, der seine letzten Lebensjahre im dänischen Århus verbrachte und trotz schlechten Gesundheitszustandes geheimdienstlichem Misstrauen unterlag.

Bis weit in die 70er Jahre hinein, so beschreibt es die fünfköpfige Kommission, bestand eine Arbeitsteilung, bei der die sozialdemokratisch gesteuerte »Arbeiter Informations Centrale« (AIC) die Überwachung vor Ort, oft an Arbeitsplätzen, übernahm. Die Sozialdemokraten wollten genau wissen, was die Kommunistische Partei Dänemarks innerhalb der Gewerkschaften plante, wo sie über zahlreiche Vertrauensleute verfügte und scharfer ideologischer Kampf zwischen beiden ausgetragen wurde. AIC gab gern ihre Informationen weiter, bis sie nach Aufdeckung ihrer illegalen Tätigkeit aufgelöst werden musste und der Geheimdienst die Schmutzarbeit nun allein weiterführte.

Die PET-Kommission bestätigte darüber hinaus, dass Mitglieder der Dänischen Kommunistischen Partei vertrauliche Informationen insbesondere an die diplomatischen Vertreter der Sowjetunion und DDR weitergaben. Widerlegen konnte sie hingegen, dass Kommunisten 1948 einen Putsch vorbereiteten, was ihnen jahrzehntelang vorgeworfen worden war und als Anlass zur Überwachung gedient hatte.

Für die breite dänische Öffentlichkeit war überraschend, in welch großem Umfang PET gewerkschaftliche Aktivitäten und insbesondere langwierige Arbeitskämpfe überwachte. Hier betrieb man eine Art vorbeugende Rasterfahndung, um herauszufinden, welche Personen das Potenzial hatten, Sabotageakte während eines bewaffneten Konfliktes auszuführen. Das könnte vielleicht noch mit Kalter-Kriegs- Hysterie erklärt werden, doch die Kommission fand Beweise, dass die Observation noch bis in die 90er Jahre stattfand. Ähnlich ging es der Friedens- und Frauenbewegung. PET war immer an allem interessiert.

Der Geheimdienst fand viele Mauselöcher, um seine Archive behalten bzw. weiterführen zu können. Die überlaufenden Archive der 50er und 60er Jahre, in der bis zu 300 000 Dänen registriert worden waren, sollten nach dem 1968er Regierungsbeschluss vernichtet werden. Groß war jedoch die Überraschung bei den verantwortlichen Politikern, als sie einige Jahre später erfuhren, dass der damalige PET-Chef eine heimliche Kopie auf Mikrofilm anfertigen und in der dänischen Botschaft in Washington aufbewahren ließ.

Das Mandat der PET-Kommission war auf die Zeit des Kalten Krieges beschränkt. Im Ergebnis ihrer Arbeit haben bisher nur zu linke Parteien gefordert, die parlamentarische Kontrolle zu verstärken und eventuell betroffenen Bürgern ein Klagerecht einzuräumen. Einige der damals überwachten Personen habennun Zugang zu den eigenen Akten und eine generelle Öffnung der Archive gefordert, doch momentan sind die Erfolgschancen schlecht. Eine parlamentarische Mehrheit dafür gibt es nicht. Und auch die oppositionellen Sozialdemokraten haben wenig Interesse an umfassender Archivöffnung – wegen ihrer eigenen »Dreckwäsche« und weil sie eine Reihe Justizminister als oberste Verantwortliche für den Geheimdienst gestellt hatten.

Vermuten kann die Öffentlichkeit nur, dass die Überwachung weiter geht, wenn auch mit verändertem Fokus: vor allem auf muslimische Gruppierungen mit vermeintlichem Terrorpotenzial, aber weiterhin auch auf linke Gruppierungen. Die seit 2001 verabschiedeten Antiterrorgesetze geben dafür ausreichend Handhabe.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Juli 2009


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