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Thorning-Schmidt rotiert

Dänische Ministerpräsidentin bildete Regierung um / Keine Festlegung auf Datum für EU-Referendum

Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Die dänische Regierung will Stärke demonstrieren. Eine Ministerrochade soll neuen Auftrieb vor Kommunalwahlen und dem weiter zur Diskussion stehenden EU-Referendum geben.

Schlechte Werte bei Meinungsumfragen, Druck bevorstehender Kommunalwahlen und Minister, die offen Konflikte mit Spitzen in ihren Verantwortungsbereichen austragen, machten für die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt unlängst eine Regierungsumbildung in Dänemark unumgänglich.

Die größte Überraschung war dabei, dass der ehemalige Vorsitzende der Sozialistischen Volkspartei (SF), Villy Søvndal, das Amt als Außenminister behielt. Seine Entlassung hätte in der Partei neue Wunden aufgerissen. Seine Nachfolgerin an der Spitze der SF, Annette Vilhelmsen, bekam das für sie maßgeschneiderte Sozial-, Kinder- und Integrationsministerium, das ihren Wählern wesentlich näher steht als das Wirtschaftsministerium, das sie bisher geleitet hatte. Schon jetzt wird es allerdings als Kramladen gehandelt, der nach dem nächsten Ministerwechsel erneut umgebaut wird. Zudem muss Vilhelmsen integrationspolitische Maßnahmen durchsetzen, die in ihrer Partei unpopulär sind.

Das Wirtschafts- und Wachstumsministerium war hingegen Wunschziel des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten, Henrik Sass Larsen. Die dänischen Medien benannten das ganze Manöver sehr schnell nach ihm, denn ein wichtiges Ministeramt für einen der führenden Sozialdemokraten war das Ziel der Regierungschefin. Sass Larsen konnte nach dem knappen Wahlsieg vor zwei Jahren keine Sicherheitsbestätigung bekommen. Gegen ihn lagen Vorwürfe über Verbindungen in das Rockermilieu vor. Dies scheint nun Vergangenheit zu sein. Thornings Hoffnung ist es, dass der energische Sass Larsen einige drängende ökonomische Reformen durchsetzen kann, um den Wählern zum nächsten nationalen Urnengang in zwei Jahren eine gesunde Ökonomie präsentieren zu können.

Enttäuscht wurden hingegen Nick Hækkerup und Nikolaj Wammen, die ihre Ministerposten tauschen. Hækkerup war bisher Verteidigungsminister und machte sich durch seine Herangehensweise, Sparpläne und Umstrukturierungen durchzusetzen, äußerst unpopulär. Der Austausch mit Wammen muss als Versuch gesehen werden, die Gemüter zu besänftigen. Doch der ehrgeizige Wammen hatte auf den Außenministerposten gehofft. Seine Rolle als Feuerwehrmann im Verteidigungsministerium wird der ausgesprochen zivile Wammen zweifellos als Degradierung betrachten, zumal größere militärische Engagements im Ausland vorläufig nicht in Sicht sind.

Nachdem Thorning-Schmidt mit der Ministerrochade mehr Ruhe in ihre Regierung gebracht hat, muss sie sich zum Ende der Sommerpause wieder mit dem heiklen Thema EU-Referendum befassen. Der Chef der oppositionellen Liberalen Partei und frühere dänische Premier Lars Lokke Rasmussen sprach sich einem Interview mit der »Politiken« dafür aus, dass Dänemark Ausnahmeregelungen in den Bereichen Verteidigung und Justiz gegenüber der EU aufgibt. Ein entsprechendes Referendum hatte Thorning-Schmidt vor rund einem Jahr zurückgezogen.

Dänemark wurden im Rahmen des Maastricht-Vertrags vier Ausnahmeregelungen zugestanden, auf deren Grundlage die dänische Bevölkerung 1993 in einer Volksabstimmung dem Vertrag zustimmte. Die Opposition fordert nun, ein Referendum zur Annäherung an Brüssel mit den Europawahlen im Mai 2014 abzuhalten. Während die Parlamentarier sich einig sind, belegen Umfragen immer wieder eine Weigerung in der dänischen Bevölkerung gegenüber der Aufgabe der Ausnahmeregelungen. Insbesondere ein Beitritt zum Euro wird abgelehnt. Die Regierung reagierte daher prompt: Es sei zu früh, jetzt ein Datum für eine Abstimmung festzulegen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 16. August 2013


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