Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kuupik Kleist - Ein Sieg für Grönland

Von Reinhard Wolff

Während Europa nach rechts rutscht, setzen die GrönländerInnen auf links: Ein neuer sozialistischer Regierungschef soll das Land in die Unabhängigkeit vom Mutterstaat Dänemark führen.

Als «Grosser Vorsitzender» mit der Mao-Bibel in der Hand landete er auf dem Titelbild des grönländischen Satiremagazins «Flaske Posten» (Flaschenpost): Kuupik Kleist, der künftige Regierungschef Grönlands und Vorsitzende der sozialistischen Partei Inuit Ataqatigiit (IA).

Links der IA gibt es in der grönländischen Parteienlandschaft nichts mehr. Der Erdrutschsieg bei den Wahlen am Dienstag vergangener Woche, bei der Kleists Partei ihren Stimmenanteil auf 44 Prozent nahezu verdoppelte, mischte das parteipolitische System Grönlands auf wie nie zuvor. Bisher waren die Machtverschiebungen bei Wahlen klein. Nun gehören 14 der 31 Sitze im grönländischen Parlament der Inuit Ataqatigiit.

Neue Autonomie

Diesen Sieg habe Grönland verdient, verkündete der 51-jährige Kleist in der Wahlnacht ganz unbescheiden vor seinen AnhängerInnen. Der ausgebildete Sozialarbeiter versprach, dass er Grönland in eine neue Zeit führen werde. Als er dann auch noch mit rauchiger Stimme einen Song von seiner vor zehn Jahren erschienenen CD anstimmte, geriet das Publikum endgültig aus dem Häuschen. Kleists Auftritte als Hobbysänger gehören jedoch der Vergangenheit an. Heute ist er nur noch Politiker.

Die anderen Parteien machten ihm den Sieg allerdings auch einfach. So waren die bisherigen Regierungsmitglieder in Korruptionsskandale verwickelt. Wie ihre KollegInnen in Britannien missbrauchten sie öffentliche Gelder für private Zwecke. Gleichzeitig wurden Missstände im Gesundheits- und Bildungssystem offenkundig. Das Uno-Kinderhilfswerk Unicef warf Grönland gar vor, seine Kinder und Jugendlichen zu vernachlässigen und gegen die Uno-Kinderkonvention zu verstossen: Zu wenig würde das Land gegen Jugendarbeitslosigkeit und Alkoholismus unternehmen.

IA löst die sozialdemokratische Siu­mut-Partei ab, die in Grönland seit der teilweisen Autonomie von Dänemark 1979 alle Regierungschefs stellte. Die neue Regierung unter Kuupik Kleist ist nun die erste, die Grönland in die nächste Etappe der erweiterten Selbstständigkeit führt, über die Grönlands WählerInnen im November 2008 entschieden haben. Ab dem 21. Juni 2009 garantiert ein neues Autonomieabkommen den GrönländerInnen mehr Kontrolle über ihre natürlichen Ressourcen sowie mehr Selbstständigkeit im Justizbereich.

Kuupik Kleists Lebensweg ist eng verbunden mit Grönlands Weg in die Unabhängigkeit und dem Verhältnis seines Landes zu Dänemark. Am 31. März 1958 wurde er im kleinen nordgrönländischen Qullissat geboren. Dort baute der dänische Staat seit Anfang des letzten Jahrhunderts Kohle ab. Als sich der Abbau nicht mehr lohnte, wurden die Zechen 1972 geschlossen. Die dänische Regierung siedelte die verbliebenen 1500 BewohnerInnen zwangsweise um. Kopenhagen wollte die teure Infrastruktur und die Siedlungen nicht mehr aufrechterhalten.

Viele soziale Probleme, mit denen Grönland heute noch kämpft, haben ihren Ursprung in der dänischen Umsiedlungspolitik. Viele der Entwurzelten ringen mit Alkoholproblemen und Depressionen. Würde Grönland in internationalen Statistiken nicht in Dänemark integriert, hätte die Insel die höchste Selbstmordrate Europas. Doch die Zwangspolitik liess eine politische Bewegung erstarken, die sich gegen die Fremdbestimmung aus Kopenhagen wehrte. Hier lagen auch die Wurzeln der 1978 gegründeten Inuit-Ataqatigiit-Partei, deren Name übersetzt «Gemeinschaft der Menschen» bedeutet.

«Ich bin kein Engel»

Nach Besuch von Volks- und Real­schule zog Kleist wie alle grönländischen Jugendlichen, die eine höhere Ausbildung absolvieren wollen, von Grönland nach Dänemark. Dort machte er 1978 Abitur und studierte an der Universität Roskilde Soziale Arbeit. Danach arbeitete er bei verschiedenen grönländischen Regierungsstellen, etwa als Direktor der Behörde für Schule und Ausbildung oder beim Amt für die Aussenkontakte der Selbstverwaltungsregierung. Von 1988 bis 1991 war er Rektor der Journalistenschule in Nuuk. Ab 2001 war er sieben Jahre lang einer von zwei grönländischen Abgeordneten im dänischen Parlament.

Die dänische Regisseurin Anne Wivel hat Kuupik Kleists Karriere jahrelang für einen Dokumentarfilm über Grönland auf dem Weg zur Selbstständigkeit be­gleitet. In «Menneskenes land - min film om Grönland» (Land der Men­schen -­ Mein Film über Grönland) zeigte sie, wie­ verschiedene Generationen von Grön­länderInnen mit Zwangsumsiedlun­gen, wirtschaftlichen Problemen und der zunehmenden Unabhängigkeit von Dänemark umgehen. «Kuupik ist ein Politiker, der sehr menschlich wirkt. Er stammt vom Land und nicht wie die übrige Politikerelite aus der Hauptstadt Nuuk», erklärt die Filmemacherin Kleists Erfolg. Sie hält es für bezeichnend, dass seinen politischen Gegner­Innen im Wahlkampf nichts anderes einfiel, als ihm Marihuana- und Alkoholmissbrauch vorzuwerfen - Angriffe, die Kuupik Kleist locker parierte: «Ich bin kein Engel. Wir sind alle nur Menschen, und es gibt tatsächlich wenig, worin ich keine Erfahrung habe.»

Kleist gehört zu einer jungen Politikergeneration, die vor der Aufgabe steht, die grönländische Politik neu auszurichten. Diese Politik wird auch weiblich geprägt sein: Acht der vierzehn IA-Abgeordneten sind Frauen. Neben der Unabhängigkeit von Dänemark will sich die IA vorwiegend Umweltfragen widmen, denn um Grönlands natürliche, noch unberührte Ressourcen buhlen viele: Öl-, Gas- und Uranvorkommen locken internationale Bergbau- und Energiekonzerne. Aluminiumunternehmen zieht zudem die Aussicht an, ihre Schmelzwerke mit billigem Wasserkraftstrom betreiben zu können. Die bislang regierende Koalition aus Sozial­demokratInnen und Konservativen stand dem Ausverkauf der Bodenschätze positiv gegenüber. Die IA dagegen hofft, dass ihr Land in Zukunft von umweltfreundlicheren Industrien wie dem Tourismus leben kann.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 11. Juni 2009


Zurück zur Dänemark-Seite

Zurück zur Homepage