Wahlsieg der Freiheit
Grönland: Erdrutschartige Zugewinne für Inuit-Linkspartei stärken die Unabhängigkeitsbewegung
Von Raoul Wilsterer *
Auf Kalaallit Nunaat (Land der Menschen), wie die dänische Kolonie »Grönland« auf Inuit, der Sprache der Ureinwohner, heißt, wurde bis in die frühen Stunden des Donnerstags hinein gefeiert. Die Linkspartei Inuit Ataqatigiit (IA) verdoppelte mit 43,7 Prozent ihren Stimmanteil bei den Wahlen zum »Inatsisartut«, dem halbautonomen Parlament in Nuuk, und verfügt nun über 14 der 31 Abgeordnetensitze. IA-Vorsitzender Kuupik Kleist wertete den Erfolg als »historisch«, ließ aber zunächst offen, mit wem die Linke zukünftig zu koalieren gedenkt.
Die beiden stärksten Konkurrenten gehören zum Verliererlager: Die bisher regierende Koalition aus der sozialdemokratischen Siumit-Partei (26,5 Prozent) und den an Dänemark orientierten Neoliberalen der Atassut-Partei (10,9 Prozent) erhielt über 13 Prozent weniger Zuspruch als vor dreieinhalb Jahren. Beide Parteien gelten auch angesichts interner Zwiste und starker Verwicklungen in Korruptionsskandale als nicht mehr regierungsfähig. Die konservativen »Demokraten« brachen ebenfalls ein, landeten bei 12,7 Prozent und kommen als IA-Partner nicht infrage.
Mit der Inuit-Linken wird die einzige Partei, die für die vollständige Unabhängigkeit der größten Insel der Welt von Kopenhagen eintritt, zur führenden politischen Kraft. Ihr klarer Sieg unterstreicht die Forderung eines großen Teils der insgesamt annähernd 40000 Wahlberechtigten nach Selbstbestimmung. Bereits bei einem Referendum Ende November 2008 hatten 76 Prozent für eine Ausweitung der nationalen Rechte gestimmt.
Das neue Autonomiestatut soll in zwei Wochen, am 21. Juni, in Kraft treten. Als wichtigster, in der Präambel festgeschriebener Fortschritt gilt dabei die Anerkennung des Inuit-Volks und dessen Sprache. Zudem wird die Zuständigkeit der grönländischen »Selbstverwaltung« für bisher 17 Felder auf weitere 32 ausgedehnt – unter anderem in die Bereiche Justiz, Polizei und Gefängnisse. Allerdings bleibt »Kalaallit Nunaat« Teil des Königreiches Dänemark und Königin Margrethe II. das Staatsoberhaupt. Die 50000 Inuit der insgesamt 57000 Einwohner zählenden Bevölkerung werden weiterhin dänische Staatsbürger sein und mit dänischen Kronen bezahlen. Kopenhagen bestimmt im wesentlichen die Außen- und Wirtschaftspolitik der Insel.
Entscheidend für die Zukunft des Landes wird sein, wie die Aufteilung der möglichen Einnahmen aus dem Abbau von Edelmetallen ebenso wie aus der Förderung von Öl- und Gasvorkommen vor der Küste tatsächlich ausfallen wird. Zwar wird der Insel ein »Eigentumsrecht« an den Naturschätzen »eingeräumt«, doch dieses zugleich eingeschränkt. Die »Untergrundschätze« sind weitgehend ausgenommen, Einkünfte aus den Ressourcen werden grundsätzlich mit dänischen Finanzhilfen – »Subventionen« genannt – verrechnet, so daß Kopenhagen auch weiter mit beachtlichen Einnahmen rechnen kann.
* Aus: junge Welt, 6. Juni 2009
Historischer Linkssieg auf Grönland
Inuit Ataqatigiit triumphierte bei Parlamentswahl / Sozialdemokraten klare Verlierer **
Auf dem Weg in eine größere Unabhängigkeit von Dänemark haben Grönlands Wähler für einen historischen Machtwechsel gestimmt.
Kopenhagen (AFP/ND). Die linksorientierte Oppositionspartei Inuit Ataqatigiit (IA) entthronte bei der
Parlamentswahl laut den Ergebnissen vom Mittwoch die seit 30 Jahren regierenden
Sozialdemokraten (Siumut) mit einem überragenden Stimmengewinn von mehr als 20
Prozentpunkten. Nach Ansicht von Experten könnte die IA die Autonomie beschleunigen.
Die IA ging als klare Siegerin aus der Abstimmung hervor: Sie erzielte 43,7 Prozent der Stimmen
und konnte damit ein Plus von 21 Prozentpunkten für sich verbuchen. Die Siumut rutschte um knapp
vier Prozentpunkte auf einen Stimmanteil von 26,5 Prozent ab. Ihr bisheriger Koalitionspartner, die
liberale Atassut-Partei, büßte fast die Hälfte ihrer Stimmen ein und kam nur noch auf 10,9 Prozent.
Zu den großen Verlierern gehörten auch die oppositionellen Demokraten mit 12,7 Prozent.
»Mit der Hilfe von jedem können wir dieses Land vorwärts führen, in eine neue Ära«, sagte IA-Chef
Kuupik Kleist im Rundfunk. Noch am Mittwoch wollte die Partei erste Sondierungsgespräche mit
möglichen Koalitionspartnern führen. Kleist schloss dabei eine Zusammenarbeit mit den
Sozialdemokraten aus. »Die Wähler haben eine große Verantwortung auf unsere Schultern gelegt.
(...) Es wird keine Kooperation mit Siumut geben«, sagte er. Die IA war bis 2007 unter den
Sozialdemokraten an der Regierung der größten Arktis-Insel beteiligt. Premier Hans Enoksen, der
seit 2002 die Koalition führt, bot nach der Niederlage seinen Rücktritt als Siumut-Chef an. Nach
Ansicht von Beobachtern wurde die Partei wegen mehrerer Skandale von den Wählern abgestraft,
darunter auch eine Spesenaffäre ähnlich der in Großbritannien.
Enoksen hatte die Parlamentswahl um ein halbes Jahr vorgezogen, damit die neue Regierung im
Amt ist, wenn die Insel am 21. Juni eine neue Stufe auf dem Weg in die Unabhängigkeit von
Dänemark erreicht. Der neue Autonomiestatus sieht das Recht auf Selbstbestimmung, die
völkerrechtliche Anerkennung der Ureinwohner Grönlands und die autonome Kontrolle über die
Rohstoffe der Insel vor. Völlige Unabhängigkeit soll Grönland 2021 erlangen.
** Aus: Neues Deutschland, 6. Juni 2009
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