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Im Zeichen der Autonomie

Vorgezogene Wahlen sollen in Grönland für Reformen sorgen

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Die sozialistische Inuit Partei soll laut Umfragen als Sieger aus Grönlands vorgezogenen Wahlen hervorgehen.

Wie schon mehrfach früher, ist auch diese Wahl zum Landsting, dem grönländischen Parlament, eine vorgezogene, da die Volksvertreter keine Einigung über notwendige Reformen und Einschnitte im Budget der Eisinsel erzielen konnten. Doch dieses Mal wird nur drei Wochen vor dem Inkrafttreten einer ausgeweiteten Autonomie von Dänemark abgestimmt.

Die Hoffnung ist weit verbreitet, dass jüngere Kräfte sich einen weitaus größeren Spielraum erkämpfen können als bisher gegeben. Die Wahl soll dem Parlament die notwendige Legitimität verleihen, die grönländische Gesellschaft auf die selbstgewählte Verantwortlichkeit umzustellen, die die Autonomie ihr gibt. Künftig trägt Kopenhagen nur noch für die Außen- und Sicherheitspolitik, die Nationalbank und das Königshaus die Verantwortung, während Nuuk verantwortlich nun für alle anderen Aufgaben zuständig ist und diese auch finanzieren muss.

Die Selbstverwaltung, die Grönland seit 1979 gehabt hat, wurde von wenigen Politikern dominiert, die auch dieses Mal wieder kandidieren. Viele von ihnen, auch Mitarbeiter und politische Kollegen, die ihnen nahestehen, mussten in den letzten Wochen allerdings erkennen, dass ihr Denkmalsstatus nicht länger hält. Eine grönländische Zeitung begann mit umfangreichen Enthüllungen über den Missbrauch öffentlicher Gelder und weit verbreiteten Nepotismus, der in seinen Grundzügen den Problemen des britischen Unterhauses gleicht. Vor diesem Hintergrund wird erwartet, dass die sozialdemokratische Siumut-Partei, die in der Vergangenheit meist die politische Verantwortung getragen hat und auch jetzt der führende Koalitionspartner ist, kräftig Verluste erleiden wird.

Umfragen erwarten die oppositionelle sozialistische Inuit Ataqatigiit Partei (Gemeinschaft der Inuit – IA) als Wahlsieger, die jedoch einen Koalitionspartner benötigen wird. Sie setzt sich prinzipiell für die volle Unabhängigkeit Grönlands von Dänemark ein. Die IA ist sich aber auch im Klaren darüber, dass die jetzt zu lösenden Aufgaben und die Übernahme von 32 weiteren Feldern der Politik alle Kräfte des Landes benötigen werden, bevor man über weitere Schritte diskutieren kann. Bis auf weiteres ist die Partei unter Josef Motzfelds Leitung die einzige, die nicht in den Missbrauchsskandal verwickelt ist.

Das neue Parlament steht vor einer Reihe schwieriger Aufgaben. Ökonomisch ist Grönland weiter abhängig von den dänischen Zuschüssen, die etwa die Hälfte des Staatshaushaltes decken. Die Erlöse aus der Fischerei, der wichtigsten Einnahmequelle, sind rückläufig, die Rohstoffgewinnung, die ökonomische Hoffnung der Zukunft, steckt in den Kinderschuhen und ist ein Zuschussgeschäft. Der Tourismus hat in Folge der Finanzkrise ebenfalls einen Einbruch erlebt.

Die Wirtschaft anzukurbeln ist so die eine Aufgabe, die andere besteht darin, Gesundheits- und Bildungswesen zu reformieren und die Standards wesentlich zu verbessern. Es mangelt an allen Ecken und Enden an grönländischen Fachleuten, die dänische Experten ersetzen können. Die Wahl muss die Weichen für eine neue Politikergeneration stellen, die den Anforderungen der ausgeweiteten Autonomie der Insel gerecht werden kann.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Juni 2009

Parlamentswahl in Grönland **

In der autonomen dänischen Region Grönland ist am Dienstag ein neues Parlament gewählt worden. Knapp 39.000 Stimmberechtigte waren dazu aufgerufen, über die Besetzung von 31 Mandaten zu befinden. Es war die letzte Wahl vor dem Inkrafttreten einer erweiterten Autonomie, die schließlich zur Unabhängigkeit der weltweit größten Insel führen könnte.

Erhebungen zufolge muss die seit rund 30 Jahren regierende konservative Siumut-Partei mit einer Schlappe rechnen. Mehrere ihrer Spitzenpolitiker sind der Korruption schuldig befunden worden, und auch ein innerparteilicher Machtkampf hat der Partei von Ministerpräsident Hans Enoksen geschadet. In Umfragen kommt Siumut gemeinsam mit dem liberalen Bündnispartner Atasut nur noch auf 38 Prozent. In Führung mit 44 Prozent liegt demnach die linksgerichtete Inuit-Partei Ataqatigiit.

Bei einem Referendum Ende November votierten 76 Prozent der Grönländer für eine Ausweitung der Befugnisse der einheimischen Regierung. Diese übernimmt nun unter anderem die Zuständigkeit für die Polizei, das Justizwesen und den Küstenschutz. Außerdem wird Grönländisch, die Sprache der Inuit, als offizielle Landessprache anerkannt. Angenommen wurden auch Richtlinien für die Aufteilung der erhofften Einnahmen aus Ölvorkommen vor der Küste Grönlands.

Darüber sollen noch in diesem Monat Verhandlungen mit Dänemark aufgenommen werden. Das Abkommen zur erweiterten Autonomie tritt am 21. Juni in Kraft. Die Regierung in Kopenhagen, die die grönländische Wirtschaft zu zwei Dritteln subventioniert, ist aber weiterhin zuständig für die Außen- und Verteidigungspolitik. Und die dänische Königin Margrethe bleibt das formelle Staatsoberhaupt Grönlands.

Die Insel ist etwa sechs Mal so groß wie Deutschland, rund 80 Prozent ihrer Fläche sind eisbedeckt. Mit dem Abschmelzen des Eises mehren sich die Hoffnungen auf die Entdeckung natürlicher Ressourcen.

** Quelle: AP, 2. Juni 2009




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