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Volksabstimmung in Grönland

Der Weg zur angestrebten Unabhängigkeit bleibt steinig

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Grönland gerät üblicherweise nur in die Schlagzeilen, wenn es um Robbenjagd oder um schmelzende Gletscher geht. Die heutige Volksabstimmung könnte der größten Insel der Welt andersartige Aufmerksamkeit einbringen -- sollte sie sich für ein neues Autonomiegesetz und damit für größere Unabhängigkeit von Dänemark entscheiden.

Bisher genießt Grönland »Selbstverwaltung in inneren Angelegenheiten«. Sie wurde den Inuit, den ursprünglichen Inselbewohnern, 1979 vom dänischen Parlament gewährt. Der Folketing in Kopenhagen kann sie aber auch jederzeit wieder aufheben. Die Außenpolitik und alle wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen liegen ohnehin in dänischer Hand. Mehrere Jahre lang beriet eine gemischte Kommission über die Zukunft der Insel, in diesem Frühjahr legte sie Empfehlungen für einen neuen Autonomiestatus Grönlands vor.

Viele der 56 000 Einwohner wollen mehr sein als nur halbautonome Partner Kopenhagens. Die Debatte drehte sich deshalb auch weniger um die Frage, ob Autonomie die richtige Entscheidung wäre, als vielmehr um das Wann und Wie. Denn es geht nicht nur um neue Rechte in der Justiz, bei der Rohstoffverwaltung und beim Schiffsregister oder darum, dass Grönländisch nun offizielle Landessprache wird. Es geht auch um Pflichten und Kosten.

Die meisten Parteien auf der Insel sind für die Autonomie, und eine Mehrheit der Bevölkerung wird sich dem anschließen. Der neue Status würde am nächsten Nationalfeiertag, dem 21. Juni 2009, in Kraft treten. Die Außen- und Sicherheitspolitik, die Arbeit der dänischen Nationalbank und die Rolle des Königshauses blieben davon allerdings unberührt. Beim Ausbau der US-Militärbasis Thule zur Radaranlage für Washingtons umstrittenes Raketenabwehrsystem haben die Grönländer zwar ein Mitsprache-, aber kein Vetorecht.

Ob Grönlands Weg tatsächlich irgendwann in die angestrebte staatliche Unabhängigkeit mündet, wird davon abhängen, ob vor den Küsten genügend Öl gefunden wird. Nur in diesem Fall könnte sich die Insel wirtschaftlich vom Mutterland unabhängig machen. Noch hängt Grönland am dänischen Tropf. Die jährlichen Zuschüsse aus Kopenhagen betragen 3,2 Milliarden Kronen (rund 430 Mio. Euro) -- knapp die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts. Künftig sollen diese Zahlungen nur noch inflationsbedingt angepasst werden, die Grönländer müssen weitere erforderliche Mittel selbst erwirtschaften. Allein die Kosten für Polizei, Justiz und Fischereikontrolle -- wichtig für die Insel, da Fischereierzeugnisse 90 Prozent der Exporteinnahmen sichern -- belaufen sich beispielsweise auf 40 Millionen Euro jährlich. Der Haushaltsentwurf 2009 weist jedoch ein Minus von rund 20 Millionen Euro auf. Und die für den Haushalt so wichtige Krabbenfischerei leidet unter fallenden Weltmarktpreisen. Probleme gibt es auch im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich, wo 300 der rund 1300 Lehrerstellen nicht besetzt sind.

In der Debatte vor dem Referendum wurde daher immer wieder kritisiert, dass die Kosten unterschätzt, die künftigen Einnahmen aus der Rohstoffgewinnung dagegen überschätzt würden. Es mangelt an einheimischen Fachkräften, die Kosten des Abbaus sind hoch, schwarze Zahlen wird man sobald nicht schreiben. Zudem muss man künftige Gewinne mit Kopenhagen »teilen«: Für je zwei Kronen Einnahmen wird der dänische Zuschuss um eine Krone reduziert. Übersteigen die Gewinne eines Tages 4,6 Milliarden Kronen, fällt das Geld aus Dänemark ganz weg, und über die Verteilung weiterer Einkünfte müsste neu verhandelt werden. Der Weg zur Unabhängigkeit bleibt also steinig.

* Aus: Neues Deutschland, 25. November 2008


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