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Der Wind weht künftig aus China

Chinesischer Produzent kauft Vestas-Werk und gewinnt Brückenkopf

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Der Aufkauf eines von Schließung bedrohten Vestas-Werkes eröffnet dem chinesischen Konzern Titan die Möglichkeit, auf den europäischen Markt zu kommen.

Die Mitarbeiter der Vestas-Produktionsstätte im dänischen Varde durchlebten in diesem Jahr bereits Wochen zwischen Hoffen und Bangen: Vestas, immer noch weltgrößter Produzent von Windrädern, hatte im Januar mitgeteilt, im Zuge eines Sparplans sollen Fabriken geschlossen und 2300 Mitarbeiter weltweit entlassen werden. Darunter auch die 350 Beschäftigten, die Türme von Windkraftanlagen zusammenbauen.

Doch gute Produktionskapazitäten, qualifizierte Mitarbeiter und die Möglichkeit, den europäischen Markt zu betreten, ließen den größten chinesischen Windradproduzenten Titan zum Scheckbuch greifen. Wie viel genau gezahlt wurde, blieb ein Geheimnis zwischen Käufer und Verkäufer. Für Titan war die Gelegenheit überaus günstig, denn das Unternehmen hat Ambitionen, auf den Offshore-Markt zu kommen, wo die Varde-Fabrik ihre Stärken hat. Titans Direktor Aaron Lee unterstrich bei der Vertragsunterzeichnung, dass sein Unternehmen weitere Segmente des europäischen Windmarktes erobern will. Er nannte als Beispiel die Produktion und Montage der Fundamente von Offshore-Windrädern, wofür großes Fachwissen gebraucht wird. Dänische Unternehmen sind auf diesem Gebiet Vorreiter.

Aber auch die Produktion spezialisierter elektronischer Komponenten, die oft in kleinen Unternehmen vor sich geht, dürfte für den chinesischen Wettbewerber von Interesse sein. Mit geringen Investitionen ließe sich so ein wesentlicher Teil der erprobten Wissens- und Wertschöpfungskette gewinnen. Titan unterstrich bei der Vertragsunterzeichnung, dass man die Produktion in Europa fortsetzen wolle. Als wichtigsten Vorteil gegenüber europäischen Rivalen nannte Lee den Zugang zu billigem Stahl. Für Titan wird es darauf ankommen zu beweisen, dass man sowohl mit einer Fabrik in Europa Geld verdienen, als auch qualitätsmäßig mit erfahrenen europäischen Unternehmen konkurrieren kann.

Titan ist mit vier Fabriken und etwa 1000 Beschäftigten Chinas größter Windradproduzent. Im Gegensatz zu Vestas, das in den letzten Jahren Verluste schreiben musste, konnte Titan im Vorjahr Gewinne in Höhe von etwa 15 Millionen Euro verzeichnen bei einem Eigenkapital von etwa 120 Millionen Euro.

In den dänischen Medien wird seit längerer Zeit darüber spekuliert, ob der gesamte Vestas-Konzern zum Verkauf ansteht. Der niedrige Aktienkurs macht einen Aufkauf für einen kapitalstarken Investor interessant. In diesem Zusammenhang werden oft chinesische Unternehmen genannt.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. Juni 2012


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