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In Costa Rica herrscht Wechselstimmung

Linke Frente Amplio ist in der Schweiz Mittelamerikas im Aufwind

Von Markus Plate, San José *

In Costa Rica soll am Sonntag ein Nachfolger für die unbeliebte Präsidentin Laura Chinchilla gewählt werden. José María Villalta, Kandidat der linken Frente Amplio, liegt gut im Rennen.

Costa Rica ist nicht gerade als Hort der Linken jenseits der Sozialdemokratie bekannt. Umso überraschender, dass José Maria Villalta im diesjährigen Wahlkampf die Akzente setzt. In Umfragen ist der junge Präsidentschaftskandidat der linken Frente Amplio (Breite Front) dem Bewerber der formal sozialdemokratischen Regierungspartei Liberación, Johnny Araya, auf den Fersen. Die Liberación stellt mit Laura Chinchilla die Amtsinhaberin, die aus Verfassungsgründen nicht mehr antreten darf, sich aber ohnehin einer Beliebtheit im Sinkflug erfreut.

Bei den Regierenden schrillen seit Wochen die Alarmglocken. Eine schwere Krise der Sozialversicherung, fragwürdige Parteispenden, nicht abreißende Korruptionsskandale: Die Liberación bietet das Bild eines Wahlvereins, der nur noch an persönlicher Bereicherung und Machterhalt um jeden Preis interessiert ist.

So hat sich in Costa Rica Wechselstimmung breit gemacht. Und das frischeste Gesicht des Wandels ist das des 36-jährigen José María Villalta, Laut Montserrat Sagot, Soziologieprofessorin an der staatlichen Universität von Costa Rica, hat es Villalta geschafft, als fleißiger Parlamentarier und regelmäßiger Demonstrationsteilnehmer vor allem die junge urbane Generation für sich zu gewinnen: »Das sind Menschen mit großer Präsenz in sozialen Netzwerken, die die öffentliche Meinung in Zeiten des Internets maßgeblich prägen.«

Bei Facebook und Twitter hat Villalta deutlich mehr Anhänger als Araya. Villalta ist die Alternative, die anderen sind dieselben wie immer. Johnny Araya, seit 20 Jahren Bürgermeister der Hauptstadt San José, ist das Gesicht des als korrupt verrufenen Establishments.

Die Frente Amplio verfüge zwar längst nicht über die Mittel, um wie Liberación große Werbespots in den Massenmedien zu schalten, erklärt Villalta, »aber die sozialen Netzwerke sind uns einfach näher, weil wir hier mit den Menschen interagieren und sie zum Mitmachen und Mitgestalten einladen können. Das entspricht einfach auch unserem Politikverständnis.«

Lange ist der politischen Konkurrenz wenig eingefallen, um Villalta Paroli zu bieten. Man vergleicht ihn mit Venezuelas verstorbenem Präsidenten Hugo Chávez und den Castro-Brüdern in Kuba, schwingt die Kommunismuskeule. Dieses über Jahrzehnte in Costa Rica todsichere Mittel, einen politischen Gegner zu erledigen, wirke aber nur bedingt, sagt Montserrat Sagot, auch weil viele Menschen eingesehen hätten, dass die neoliberalen Konzepte der letzten Regierungen nur die Ungleichheit, die Armut und die Arbeitslosigkeit im Land vergrößert hätten.

Die Politologin Gina Silba weist darauf hin, dass all diejenigen hinter sich zu vereinigen versteht, die massiv gegen das Freihandelsabkommen zwischen Zentralamerika und den USA gestritten haben. Liberación hatte das Abkommen 2007 zusammen mit der politischen Rechten, seinerzeit unter Präsident Oscar Árias, durchgeboxt.

Aber auch Gewinner der wirtschaftlichen Öffnung zieht es diesmal nach links. Gerade junge, erfolgreiche Costaricaner wollen es nicht mehr hinnehmen, dass sich der Erzbischof im laut Verfassung katholischen Costa Rica in gesellschaftlichen Fragen wie Homoehe, Abtreibung oder künstliche Befruchtung in die Politik einmischt.

Vier Kandidaten liegen derzeit in den Umfragen über zehn Prozent. Hoffnungen auf den zweiten Wahlgang machen sich neben Araya und Villalta auch Guillermo Solís, der schwach gestartete Mitte-Links-Kandidat der bislang wichtigsten Oppositionspartei PAC, und Otto Guevara, Kandidat des rechtsliberalen Lagers. Über ein Drittel der Befragten ist jedoch noch unentschieden und eine Stichwahl gilt als wahrscheinlich. Es wäre erst die zweite in der Geschichte des Landes. Auch wenn längst nicht klar ist, ob es Villalta in eine solche zweite Runde schafft: Die Linke in Costa Rica ist in aller Munde, dürfte bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen deutlich zulegen und ist damit jetzt schon die große Gewinnerin.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. Januar 2014


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