"Naturschutz" nur für Reiche
50 000 Küstenbewohner in Costa Rica von Vertreibung bedroht / Investoren bevorzugt
Von Torge Löding, San José *
Laut Umweltgesetzgebung muss in Costa Rica bei der Bebauung 200 Meter Mindestabstand zum
Strand eingehalten werden. Das könnte nun die Existenz von einigen Fischerdörfern bedrohen, doch
die kündigen Widerstand an.
Der kleine hellhäutige Mann hat tiefe Ränder unter den Augen. Ein Schluck Kaffee genügt und er ist
wieder munter: »Wir in Ostional leben in Einklang mit der Natur und haben ein weltweit einzigartiges
Modell entwickelt. Das steht nun auf dem Spiel!«, sagt Gilberth Rojas Araya, Vorsitzender des
kommunalen Entwicklungskomitees von Playa Ostional, einem Ort an der Pazifikküste des
zentralamerikanischen Costa Rica. Auf Anordnung des Umweltministeriums (MINAET) droht den
mehreren hundert Bewohnern des seit drei Generationen bestehenden Ortes die Vertreibung, ohne
dass ihnen ein Ersatzort zur Besiedlung angeboten wird.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat es das kleine Fischerdorf zu bescheidenem Wohlstand
gebracht. Diesen verdankt es den Meeresschildkröten (»Tortugas Loras«, Bastardschildkröte), die
das ganze Jahr über einmal pro Monat zu zehntausenden an den Strand kommen, um ihre Eier im
Sand zu vergraben. Schildkröteneier gelten in Mittelamerika als Delikatesse. In Playa Ostional
kümmert sich die Gemeinschaft um deren Schutz und die kontrollierte Kommerzialisierung eines
Bruchteils davon. »In einer Nacht vergraben die Schildkröten mehr als eine Million Eier. Die Gelege
auf sieben Kilometern unseres Strandes rühren wir nicht an, nur auf dem achten Kilometer
entnehmen wir einen Teil«, erläuterte Rojas. Rund 30 Prozent aus dem Erlös geht in das
kommunale Projekt zur Bezahlung des Biologen und der Strandwächter, einer Rente für ältere
Anwohner, Stipendien für Schüler und Sozialprojekte.
Das Problem von Ostional ist, dass sich der gesamte Ort in einer Zone von weniger als 200 Meter
vom Strand entfernt befindet und sich laut der seit 30 Jahren bestehenden Umweltgesetzgebung
nicht hier befinden darf. Die aktuelle Regierung des Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias hat
Durchgreifen angekündigt in fünf Dutzend Fischerdörfern mit mehr als 50 000 Einwohner in ganz
Costa Rica. »Das ist ein Skandal. Das Umweltministerium betreibt damit keinen Naturschutz,
sondern eine Vertreibungspolitik zugunsten von touristischen Megaprojekten. Die Hügel hinter
Ostional wurden von ausländischen Investoren aufgekauft, unser Dorf versperrt ihnen den direkten
Weg zum Strand«, empört sich Rojas. Doch Ostional hat Verbündete, denn Wissenschaftler der
Universität von Costa Rica (UCR) begleiten das Schildkrötenprojekt und Gilberth Rojas hat bei
mehreren Abgeordneten in der Hauptstadt San José vorgesprochen. Deshalb hat er auch Feinde.
Bereits zweimal schoss ein Unbekannter aus dem Hinterhalt auf ihn, als er nachts als
Schildkröteneier-Wächter am Strand patrouillierte. Beim letzten Mal verletzte ihn eine Kugel am
Bein, aber die Polizei schlug seine Anzeige wegen Nichtigkeit nieder.
Wer am Playa Pelada wenige Kilometer südlich spazieren geht oder in den natürlichen Pools an
dem malerischen Pazifikstrand badet, ahnt nichts von der Verzweiflung der Fischergemeinde. Nur
ein paar Meter hinter einem Waldflecken leben sie hier seit über einem Jahrhundert. Die meisten
Hütten sind heruntergekommen, denn das Umweltministerium verbietet ihnen, auch nur einen Nagel
zur Reparatur einzuschlagen. »Für die Öffentlichkeit sind wir unsichtbar. Vielleicht haben wir uns
bisher nicht laut genug beschwert«, sagte Harry Duarte Rojas, Sprecher der örtlichen Bürgerinitiative
gegen die drohende Vertreibung. Auch ihnen wird kein Ausweichort zur Besiedlung angeboten.
Was für ein Kontrast: Während die Einheimischen um ihre Existenz fürchten, leben die
wohlhabenden Bewohner eines umzäunten Luxusdomizils gleich nebenan unbehelligt. Vor weniger
als zwei Jahren erhielten die finanzstarken US-Investoren die Baugenehmigung für das Anwesen
»Las Palmas«, neue Gebäude sollen entstehen, direkt neben den Hütten der Alteingesessenen. Das
Beispiel belegt, dass in Costa Rica mit zweierlei Maß gemessen wird und das Umweltministerium
bei Großinvestoren nicht nur beide Augen zudrückt, sondern ihnen auch bei der Vertreibung
unliebsamer Nachbarn hilft. Fischer berichten, dass sie von Patrouillen des Ministeriums mit
vorgehaltener Flinte daran gehindert werden ein undichtes Dach zu reparieren, während nur fünf
Meter weiter die Eigentümer von »Las Palmas« unbehelligt den gesamten Wald im gleichen
Schutzgebiet roden konnten, damit die Residenzen Meeresblick haben.
»Die Vertreibung der Küstenbewohner ist ein Beispiel für die politische Realität der Regierung
Arias«, sagte Gabriel Rivas von der Umweltschutzorganisation »Amigos de la tierra«. Diese gebe
sich einen ökologischen Anstrich, indem sie Projekte wie »Frieden mit der Natur« initiiere. Für die
Umweltschützer ist das nicht mehr als eine Fassade für eine soziale und ökologische
Kahlschlagpolitik im Interesse von Konzernen und großen Investoren.
Im Moment hoffen die bedrohten Küstenbewohner auf eine Lösung. Sie konnten eine große Zahl
von Abgeordneten aller Fraktionen von einem Gesetzentwurf überzeugen. Dieser sieht die
Anerkennung der bestehenden Gemeinden vor, bezieht sie in Naturschutzprojekte ein und garantiert
freien Zugang zum Strand für Besucher aus den Städten oder dem Ausland. Von Präsident Oscar
Arias erwarten sie eine Antwort bei seinem nächsten Besuch: Angekündigt hat er sich in der Provinz
Guanacaste für eine große Feier am kommenden Samstag, den 24. Juli. »Wenn er uns erneut
übergeht, müssen wir zu Plan B übergehen«, sagte Harry Rojas. Dann würden landesweit Straßen
besetzt werden und Proteste organisiert.
* Aus: Neues Deutschland, 21. Juli 2009
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