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In Costa Rica wächst die Wut

Proteste gegen Korruption und Repression. Linke spürt Aufbruchstimmung

In Costa Rica wächst die Wut Proteste gegen Korruption und Repression. Linke spürt Aufbruchstimmung Von Torge Löding, Mexiko-Stadt *

Sieben von zehn Costa-Ricanern würden heute keine politische Partei wählen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Universität von Costa Rica. Zahlreiche Korruptionsskandale haben seit 2010 bereits 14 hohe Regierungsvertreter der rechtssozialdemokratischen »Partei der Nationalen Befreiung« (PLN) von Präsidentin Laura Chinchilla das Amt gekostet. Zudem wächst die Wut wegen der zunehmenden Repression und Kriminalisierung der sozialen Bewegungen in dem kleinen zentralamerikanischen Land. Aktuellstes Beispiel ist der Tod des Umweltschützers Jairo Mora Sandoval, der Ende Mai von Unbekannten ermordet worden war, als er die Gelege von Meeresschildkröten verteidigte. Die sozialen Netzwerke sind voller Entsetzen und Beileidsbekundungen. Viele Costa-Ricaner sehen eine Mitschuld von Chinchilla, die in einer Ansprache im November 2010 zum »Kampf« gegen »radikale Umweltschützer« aufgefordert hatte.

Proteste gegen das herrschende Modell in Politik und Wirtschaft haben seit Chinchillas Regierungsübernahme vor vier Jahren stark zugenommen. Allein im Jahr 2011 wurden 632 Protestmärsche gezählt, so viele wie seit 1995 nicht – Tendenz steigend. Und obwohl eine bewußte Koordinierung dieser Proteste fehlte, haben die sozia­len Bewegungen in Costa Rica in den vergangenen vier Jahren entscheidende Erfolge erzielt, was auch auf die Schwäche der Regierungspartei zurückzuführen ist. Führende PLN-Vertreter wie Johnny Arraya, Präsidentschaftskandidat für die Wahlen im Februar 2014, setzt sich langsam von der amtierenden Präsidentin ab. Der Fraktionschef erklärte sogar, daß Chinchilla nicht die Interessen der PLN vertrete.

Für Costa Ricas Linke könnte der Urnengang indes einen wichtigen Durchbruch bringen. Bei früheren Wahlen konnte sie wiederholt nur einen einzigen der insgesamt 57 Parlamentarier stellen, nun hofft die Linkspartei »Breite Front« (FA) auf eine echte Oppositionsfraktion im nächsten Parlament. In Umfrageergebnissen kam ihr Präsidentschaftskandidat José Maria Villalta sogar auf zweistellige Ergebnisse. »Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir einen Präsidentschaftskandidaten«, sagte Patricia Mora, Listen-Spitzenkandidatin und Witwe des 2012 verstorbenen FA-Politikers José Merino, gegenüber jW. Villalta ist der scheidende Abgeordnete der FA und darf aufgrund des Wahlrechts nicht unmittelbar für eine weitere Legislaturperiode kandidieren. In den vergangenen vier Jahren nutzte er das Parlament für zahllose Initiativen gegen Korruption, für einen Mindestlohn und gegen diverse Megaprojekte. Das Verhältnis der Partei zu sozialen Bewegungen verbesserte er entschieden und trug dazu bei, eine neue Basis für die FA aufzubauen, die derzeit im ganzen Land wächst. Das ist für eine Partei, die sich sozialistisch nennt und auf Traditionen der Kommunistischen Partei beruft, im stark antikommunistisch geprägten Costa Rica eine Neuheit.

Interessant ist auch die Entwicklung in der sozialdemokratisch orientierten »Partei der Bürgeraktion« (PAC). Erstmals könnte dort der Technokrat und Parteigründer Ottón Solís, dessen Vorbild die US-amerikanischen »Demokraten« sind, das interne Rennen um die Präsidentschaftskandidatur verlieren. Sein Gegner Juan Carlos Mendoza steht für einen Dialog mit der sozialen Bewegung und lehnt das CAFTA-Freihandelsabkommen mit den USA ab. Mendoza hat auch deshalb gute Karten, weil seine parteiinterne Strömung »Bewegung der Hoffnung« die PAC inzwischen dominiert und durchsetzen konnte, die Wahl des Präsidentschaftskandidaten für alle wahlberechtigten Costa-Ricaner zu öffnen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. Juni 2013


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