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Niemand will die Abschiebung riskieren

In Costa Rica hilft die Gewerkschaft papierlosen Plantagenarbeitern, sich gegen die Ausbeutung zu organisieren

Von Knut Henkel, San José *

Ausländische Arbeiter ohne gültige Papiere haben es überall schwer, ihre Rechte am Arbeitsplatz durchzusetzen. In Costa Rica sind es die Arbeiter aus Nicaragua, die Bananen, Kaffee und Ananas unter prekären Bedingungen von den Feldern holen. Dagegen regt sich zunehmender Widerstand. Immer mehr der Erntearbeiter treten einer Gewerkschaft bei und hoffen auf bessere Arbeitsbedingungen.

»Die Schlange reichte bis weit über den Hof hinaus. Etliche Dutzend Arbeiter aus der Bananen- und Ananasproduktion waren gekommen, um ihre Papiere in Ordnung zu bringen«, erklärt Ramón Barrantes. Die Gewerkschaftszentrale in einem Hinterhof von Puerto Viejo de Sarapiquí platzte aus allen Nähten, denn die allermeisten der nicaraguanischen Arbeiter, die in der im Nordosten Costa Ricas liegenden Region auf den Plantagen schuften, haben eben keine gültigen Papiere. »Sie sind über die grüne Grenze eingewandert und daher bieten wir diesen Service alle paar Wochen an. Das nächste Mal werden wir mit dem Team der Botschaft von Nicaragua Anfang Juni in Sixaola unterwegs sein«, schildert der Vorsitzende der Gewerkschaft der Landwirtschaftsarbeiter von Heredia (Sitagah) die Situation.

Arbeiten ohne Papiere ist die Regel

Gültige Papiere sind alles andere als normal auf den Bananen- und Ananasplantagen Costa Ricas. Von Jahr zu Jahr sinkt der Anteil der costaricanischen Arbeiter auf den weitläufigen Plantagen, die sich vorwiegend im Norden und Nordosten des kleinen mittelamerikanischen Landes befinden.

Gerade noch zwanzig Prozent der Arbeiter auf den weitläufigen Plantagen von Chiquita, Dole, Del Monte und Fiffes, den vier großen Konzernen, die den Fruchtmarkt beherrschen, kommen aus Costa Rica. Der große Rest wird von den Migranten abgedeckt, die in erster Linie aus dem Nachbarland Nicaragua kommen, das im Norden an die Schweiz Lateinamerikas angrenzt. So wird Costa Rica immer wieder gern genannt, weil der kleine Staat politisch und ökonomisch stabil ist und ein funktionierendes Sozial- und Bildungssystem aufweist.

Das ist auch der Grund, weshalb Juan Morales nach Costa Rica kam. »In Nicaragua gab es keine Arbeit, keine Perspektive, da bin ich hierher gekommen«, erklärt der 45-jährige Familienvater. Er hat sich heute freigenommen, um sich vom Gewerkschaftsmann Barrantes beraten zu lassen. »Mein Kind macht in ein paar Wochen das Abitur. Doch das geht nur, wenn es einen gültigen Ausweis hat und deshalb muss ich nun alle Papiere meiner Familie in Ordnung bringen«, klagt Morales.

Der stämmige Mann, dessen tiefbraune Haut von der Sonne gegerbt ist, hat seine Unterlagen in einer Mappe bei sich und lässt den Gewerkschaftsmann einen Blick darauf werfen. Barrantes, ein großer, schwergewichtiger Mann mit graumelierten Haaren hat früher selbst auf einer Plantage des Dole-Konzerns geschuftet und Bananen zur Verpackung geschleppt. Heute versucht der 53-Jährige denen zu helfen, die keine andere Wahl haben als ihre Arbeitskraft an einen der vier großen Fruchtkonzerne zu verkaufen, die allesamt in Costa Rica Plantagen betreiben.

Juan Morales ist einer von rund 80 000 Arbeitern, die in Costa Ricas Fruchtsektor arbeiten. Eigentlich ist er sicher, dass die Visite beim mobilen Konsulat nicht ausreicht. »Wahrscheinlich muss ich in meine Heimatstadt nach Matagalpa fahren und dort meine Geburtsurkunde vorlegen, um endlich richtige Papiere zu bekommen«, stöhnt der Mann und fährt sich mit der rechten Hand durch den pechschwarzen Haarschopf.

So wie ihm geht es vielen der Arbeiter auf den Obst-Plantagen Costa Ricas. Illegal, mit dem Traum, ein paar Jahre im Nachbarland zu arbeiten, um dann ein wenig Geld für ein Grundstück, ein Auto oder einen kleinen Laden zu haben, um sich eine ökonomische Basis in Nicaragua aufzubauen. Doch viele dieser Träume lösen sich nach und nach in Luft auf. »Ich habe nichts, kein eigenes Haus, keine Ersparnisse, mein Lohn geht voll und ganz für den Unterhalt meiner Familie drauf«, stöhnt Juan Morales. Ein Schicksal, das man so oder ähnlich immer wieder hört.

»Die Situation hat sich in den letzten Jahren noch verschärft, denn die Unternehmen versuchen, die Löhne der Arbeiter weiter zu drücken, lasten ihnen bei unveränderter Bezahlung immer mehr Arbeiten auf und unterlaufen unsere Bemühungen, die Arbeiter zu organisieren, mit allen miesen Tricks«, klagt Barrantes. Rund 1300 Mitglieder zählt seine Gewerkschaft, nahezu achtzig Prozent sind Nicaraguaner, und auf den Plantagen werden die organisierten Arbeiter oft diskriminiert, weiß auch Daniel López Castro. Der 25-Jährige, der in Nicaragua zur Welt kam, aber in Costa Rica aufgewachsen ist, hat schon mit dreizehn Jahren auf der Corsicana-Plantage der Collin Street Bakery angefangen zu arbeiten. Auf der Ananasplantage schuften rund 350 Leute, aber auf dem Feld, wo Daniel López heute mit seinen Kollegen arbeitet, gibt es nicht einmal einen Unterstand, wo die Arbeiter ihr Mittagessen im Schatten einnehmen könnten.

»Wir organisierten Arbeiter werden von den Vorarbeitern bei der Vergabe von Extraarbeiten und so bei Zusatzeinkommen meist übergangen«, klagt López. Die rund dreißig Arbeiter kämpfen sich in kleinen Teams in der gleißenden Sonne durch die Abschnitte des weitläufigen Feldes. Die Mehrheit dieser Gruppe ist Mitglied in der Sitagah, der Gewerkschaft von Barrantes, der heute in der Mittagspause vorbeigekommen ist, um mit den Organisierten zu sprechen. Auf die Plantage darf er nicht und so muss er sich vor dem Zaun mit Arbeitern wie Daniel López unterhalten.

Eine Situation, die exemplarisch ist für das Verhältnis zwischen Unternehmen und Gewerkschaften. »Gewerkschaften sind schlicht nicht erwünscht, wir gelten als Nestbeschmutzer«, erklärt ein Kollege von López, der ebenfalls aus Nicaragua kommt und seit zehn Jahren hier arbeitet. Seit sieben Jahren ist er Mitglied in der Sitagah. »Die sorgt immerhin dafür, dass das Unternehmen ein Teil der Arbeitskleidung zahlt und mit uns nicht alles machen kann«, sagt William Ortega. Der ist Mitte dreißig, die harte Arbeit hat ihm Spuren ins Gesicht gezeichnet. Das gilt auch für Héctor Giraldo Vásquez, einen der wenigen Arbeiter aus Costa Rica auf der Plantage.

Wer sich organisiert, wird separiert

»Wir organisierten Arbeiter werden von den anderen oft separiert«, berichtet der 45-jährige Familienvater, der mit seinem Lohn kaum die eigene Familie ernähren kann. Die Arbeiter klagen, dass ihr Lohn mit den realen Lebenshaltungskosten nicht Schritt hält. 90 000 Colones, umgerechnet 150 US-Dollar, bräuchte Héctor Giraldo Vásquez pro Woche, um halbwegs anständig über die Runde zu kommen. »Doch wir erhalten oft nur die Hälfte«, klagt der Mann, der sich mit einer große Sonnenbrille, Baseballkappe und einem Tuch gegen die brennende Sonne schützt. Für sie ist die Gewerkschaft die einzige Hoffnung, fairer behandelt und bezahlt zu werden.

Das ist auf den Ananas-Plantagen genauso wie auf den Bananenfincas von Chiquita und Co., erzählt Barbero Enrique Vocal. Er arbeitet für Chiquita auf der Bananenplantage Cafin und klagt, dass sich trotz aller Versprechungen des US-Konzerns an den Arbeitsbedingungen nichts Wesentliches geändert hat. »Um hier weiter zu kommen, brauchen wir mehr internationale Aufmerksamkeit«, erklärt der 38-jährige Familienvater mit dem modischen Kinnbart.

Und um sich auch öffentlich zu äußern, brauchen die Arbeiter aus dem Land, das neben Honduras zu den ärmsten Ländern der Region gehört, gültige Papiere, denn schließlich will niemand die Abschiebung riskieren. Auch ein Grund, weshalb Juan Morales nun seinen Pass für sich und seine Kinder haben will. Bei der Beratung von Barrantes ist herausgekommen, dass er sich die Reise nach Nicaragua sparen kann – das mobile Konsulat soll die Angelegenheit lösen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. August 2011


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