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Preis des Wachstums

China setzt verstärkt auf Solar- und Windenergie. Dennoch erzwingt die rasante Expansion der Wirtschaft den immer häufigeren Einsatz fossiler Energieträger

Von Wolfgang Pomrehn *

Chinas Wirtschaft wächst weiter. Und mit ihr der Energiebedarf. Das stellt das Land vor enorme Umweltprobleme. Im Zentrum steht dabei der Verbrauch von Kohle, die trotz des rasanten Ausbaus der erneuerbaren Energieträger noch immer rund 80 Prozent des Stroms liefert. Und seit neuestem kommt auch der Bau von Anlagen zur Kohlevergasung hinzu.

Um 3,9 Prozent stieg 2012 der Energiebedarf des Landes. 2011 waren es gar sieben Prozent. Eine gewaltige Herausforderung, insbesondere wenn zugleich die Treibhausgasemissionen langfristig eingedämmt und der wachsenden Luftverschmutzung begegnet werden soll. Bei der Verbrennung von Kohle wird nämlich nicht nur das Kohlendioxid freigesetzt, sondern auch zahlreiche giftige Substanzen wie Quecksilber, Arsen, Cadmium, Schwefeldioxid sowie verschiedene Stickoxide. Die Schwermetalle gelangen in die Nahrungskette und werden zur Bedrohung für die Menschen. Andere Abgasbestandteile sind verantwortlich für sauren Regen, der Wälder und Ernten schädigt. Nicht zuletzt trägt der aus den Kraftwerksschornsteinen ausgestoßene Feinstaub auch zu den dramatischen Smogbelastungen in den chinesischen Großstädten bei. Nur in neun von 161 Metropolen des Landes wurden die nationalen Grenzwerte für Feinstaubbelastung in diesem Jahr nicht überschritten, gab das Umweltministerium letzte Woche in Peking bekannt.

Da ist es eine gute Nachricht, daß zumindest der weitere Anstieg des Kohleverbrauchs fast gestoppt scheint. Der australische Nachrichtensender ABC zitiert Marktbeobachter, die schon für 2016 oder 2017 den Höhepunkt des Verbrauchs vorhersehen. In Australien, das einer der weltweit größten Kohleexporteure ist, sieht man das mit gemischten Gefühlen. Während Umweltschützer seit Jahren gegen Abbau und Export wettern und auch schon entsprechende Hafenanlagen blockiert hatten, hat sich die mächtige Bergbauindustrie ganz auf eine ständig wachsende Nachfrage in der Volksrepublik eingestellt.

Zur Zeit geht knapp die Hälfte des weltweiten Kohleverbrauchs auf das Konto der Volksrepublik. Doch im Rahmen der Diskussion über den nächsten Fünfjahresplan wird in chinesischen Fachkreisen hitzig debattiert, ob der Einsatz der Kohle künftig limitiert werden soll. Die New York Times zitierte kürzlich verschiedene Stimmen, die das für die effektivste Methode halten, den Treibhausgasausstoß zu beschränken. Das wäre wiederum im Hinblick auf die internationalen Klimaschutzverhandlungen wichtig, die Ende nächsten Jahres zum Abschluß gebracht werden sollen. In diesem Zusammenhang hatte die chinesische Regierung bereits durchblicken lassen, daß sie sich erstmals auf verbindliche Beschränkungen für ihre Treibhausgasemissionen einlassen könnte.

In Australien führen diese Aussichten bereits dazu, daß Pläne zusammengestrichen werden. Schon jetzt seien die Hafenkapazitäten nur zu 70 Prozent ausgelastet, zitiert ABC Tim Buckley vom australischen Institute for Energy Economics and Financial Analysis. Im Juni sei bereits das fünfte Projekt für einen neuen Kohleverladehafen innerhalb von zwei Jahren zu den Akten gelegt worden, schreibt der Autor an anderer Stelle im Internetmagazin REnew economy. 180 Millionen Tonnen pro Jahr hätten in Dudgeon im Bundesland Queensland umgeschlagen werden sollen.

Auch in China selbst kämpfen die Bergbauunternehmen wegen des abflauenden Booms mit ökonomischen Problemen. Mehr als 70 Prozent von ihnen schreiben derzeit rote Zahlen, berichtete Ende Juli die Nachrichtenagentur Reuters. Schuld sei unter anderem der »Krieg gegen den Smog«. In der Hauptstadt Peking kündigten die Behörden kürzlich an, das Verbrennen von Kohle bis 2020 im Stadtgebiet verbieten zu wollen. Heizungen sollen auf Strom und Erdgas umgestellt werden.

Doch auch das ist nicht unproblematisch. Denn der Strom kommt noch immer oft aus Kohlekraftwerken, die jetzt verstärkt fernab der großen Städte im Landesinneren und im Westen des Landes gebaut werden. Windkraft- und Solaranlagen werden zwar mehr als irgendwo sonst auf der Welt installiert (2013: 16 Gigawatt Wind und 12 Gigawatt Solar), reichen aber bisher nicht einmal, um den jährlich wachsenden Bedarf auszugleichen.

Auch die Erdgasversorgung bereitet Probleme. China hat selbst bisher relativ wenig Quellen erschlossen. Daher entwickelt sich gerade ein Boom neuer Anlagen, in denen Kohle zu synthetischem Erdgas umgewandelt werden soll. Allerdings ist diese Technik mit diversen Probleme behaftet. Zum Beispiel können die Anlagen wegen der oben erwähnten, in der Kohle enthaltenen Schadstoffe, zu einer erheblichen Belastung für ihre meist ländliche Nachbarschaft werden. Eine letztes Jahr errichtete Anlage in der autonomen Provinz Xinjiang verusachte bei den Bewohnern eines nahe gelegenen Dorfes erhebliche Atembeschwerden, so daß diese schließlich im Januar mit Straßenblockaden gegen den Betrieb der Anlage protestierten, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg seinerzeit berichtete. Hinzu kommt, daß die Anlagen einen hohen Wasserverbrauch haben, während Xinjiang und die Provinz Innere Mongolei, die wichtigsten Gebiete, wo sie gebaut werden, unter Wassermangel leiden. Schließlich können sie nur einen Teil der in der Kohle gespeicherten Energie in Erdgas umwandeln. Der Rest geht ungenutzt verloren. Das macht den Prozeß energetisch ineffizient und führt zudem zu noch höheren Treibhausgasemissionen, als ob die Kohle direkt verbrannt würde. Schließlich sind die Anlagen auch noch besonders kapitalintensiv, so daß auch die ökonomische Effi­zienz sehr umstritten ist.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 14. August 2014


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