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Schlechte Zeiten

Spekulationsblasen, kaum Wachstum, ausgebremste Schwellenländer und Schadensbegrenzung in China: Ein Handelskrieg zwischen der EU und Rußland käme sehr ungelegen

Von Rainer Rupp *

Unabhängig vom Umsturz in der Ukraine haben sich in den zurückliegenden Wochen über der Weltwirtschaft dunkle Wolken zusammengezogen. Zugleich schüren die USA weiter die Auseinandersetzung um die Krim, spielen EU und Rußland gegeneinander aus. Letztere sind wirtschaftlich so miteinander verwoben, daß sie bei einem Handelskrieg die Verlierer wären. Washington indes ginge politisch und ökonomisch gestärkt aus dem Konflikt hervor, nicht zuletzt durch das Stabilisierung des angeschlagenen Dollars als Weltreservewährung.

Sollte der Westen bei dem Spiel Erfolg haben, ist abzusehen, daß ein Wirtschaftskrieg zwischen EU-Ländern und Rußland einen erneuten globalen wirtschaftlichen Absturz auslösen würde. Derzeit drohen insbesondere die überdimensionierten Spekulationsblasen auf den internationalen Finanzmärkten zu platzen – wie bereits 2008. Deren Wachsen war entscheidend durch die extrem lockere Geldpolitik der US-Notenbank und der Zentralbanken der EU, Japans und Großbritanniens getrieben worden. Diesmal dürften die Folgen für die Realwirtschaft noch schlimmer ausfallen als vor sechs Jahren. Davon blieben auch die USA nicht verschont. Auch dort erheben sich warnende Stimmen, den Zwist mit Moskau auf symbolischer Ebene zu halten und nicht auf die Spitze zu treiben.

Probleme gibt es mehr als genug. Die großen Erwartungen der internationalen Finanzmarktakteure in die Politik des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe haben sich als pures Wunschdenken erwiesen. Mit extrem viel neuem Notenbankgeld wollte der Premier die Inflation treiben, den Wechselkurs des Yen drücken, um dadurch die Exporte zu steigern und die heimische Industrie anzukurbeln. Aber die »Abenomics« bewirkten das Gegenteil. Japans Wirtschaft war im Schlußquartal 2013 mit 0,2 Prozent Plus weitaus weniger gewachsen als von der Regierung und den meisten Analysten erwartet. (Zum Vergleich: Von 1980 bis 2013 ist Japans Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt um 0,51 Prozent gestiegen). Zugleich mußte Tokio 2013 erstmals seit Jahrzehnten sowohl ein Außenhandels- als auch ein Leistungsbilanzdefizit ausweisen, ein ziemlich großes sogar. Diese Entwicklung setzte sich im Januar 2014 überraschend stark fort, als das Außenhandelsdefizit auf einen Rekordwert von umgerechnet elf Milliarden Euro stieg, wofür zu einem großen Teil die schwache Nachfrage aus den westlichen Industrieländern verantwortlich war.

Der Exporteuropameister Deutschland konnte hingegen die laue Importnachfrage aus den USA und den meisten EU-Ländern durch starke Ausfuhren in die Schwellenländer, vor allem nach China, kompensieren. Infolge der weltweit ausgebliebenen realwirtschaftlichen Erholung und der – wenn auch nur zaghaften – Drosselung der Liquiditätsschwemme durch die US-Notenbank ist der Boom in den Schwellenländern von Indien über Südafrika bis Brasilien zusammengebrochen. Nun häufen sich ähnlich Signale in bezug auf China.

Das Reich der Mitte hat vergangene Woche mit der Bekanntgabe eines Einbruchs seiner Exporte im Februar (minus 18,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) Schockwellen durch die globalen Finanzmärkte geschickt. Zu allem Überfluß drohen auch schwere Turbulenzen auf den chinesischen Finanzmärkten. Um die heimische Wirtschaft vor den Auswirkungen der Krise der westlichen Industriestaaten zu schützen, hatte die chinesische Notenbank (PBOC) eine eigene Geldflut produziert. Die allerdings hat eine Kreditblase aufgebläht, die alles, was in den USA und der EU diesbezüglich geschehen ist, in den Schatten stellt. Allein im letzten Quartal 2013 hat die PBOC die heimischen Finanzmärkte mit umgerechnet 1000 Milliarden US-Dollar versorgt.

Ein großer Teil dieser PBOC-Gelder befeuerte eine Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt, den Finanzmärkten und bei Investmentfonds. Letztere bauten in der Hoffnung auf steigende Preise gigantische Vorräte an Rohstoffen auf (z. B. eine Million Tonnen reines Kupfer). Nun drohen hohe Wertverluste, nicht nur weil die PBOC begonnen hat, die Versorgung der Finanzmärkte mit Geld zurückzuschrauben, sondern weil auch der Wechselkurs des Yuan gegenüber dem Dollar unerwartet zurückgegangen ist.

Auch scheint die PBOC nicht länger gewillt, Pleiten von Finanzunternehmen zu verhindern, wie der Bankrott zweier Unternehmen vor zwei Wochen zeigt. Das ist in China ein Novum. Nun wird befürchtet, daß die Notenbank im Rahmen einer politischen Kehrtwende entschlossen ist, die Finanzmärkte zu bereinigen und dadurch das spekulative Kartenhaus zusammenbricht. Es wäre eine für die chinesische Wirtschaft schmerzhafte aber dringend notwendige Entwicklung. Doch wahrscheinlich würde sie zu spät kommen, um schwerwiegende Verwerfungen zu verhindern: China könnte als »Lokomotive der Weltkonjunktur« in nächster Zeit ausfallen. Ein europäischer Wirtschaftskrieg zwischen EU und Rußland könnte in dieser Situation der Weltwirtschaft den Rest geben.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. März 2014


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