China geht mit Hoffnung ins Jahr des Pferdes
Führung in Peking hat sich den Ausbau eines "fairen und nachhaltigen Sozialsystems" auf die Fahnen geschrieben
Von Werner Birnstiel *
Am Freitag beginnt im Reich der Mitte mit dem Frühlingsfest das Jahr des Pferdes. Sieben Tage lang herrscht landesweit Feierstimmung – verbunden mit vielen Aufregungen.
Bereits seit Mitte Januar herrscht in China »Chunyun«, die 40-tägige Reisezeit rund ums Frühlingsfest, die erst gegen Ende Februar abflaut. Bei der jährlichen größten Völkerwanderung der Welt befördern Eisenbahnen, S- und U-Bahnen, Busse, Schiffe, Flugzeuge und Pkw laut offizieller Statistik insgesamt 3,28 Milliarden Passagiere, die zum Jahreswechsel ihre bis zu 2500 Kilometer entfernt lebenden Familien besuchen.
Natürlich werden bei diesen Familientreffen die persönlichen Lebenslagen besprochen, die von der Entwicklung des Sozialsystems im Lande nicht unberührt bleiben. Für viele ist dieser Bereich der chinesischen Reformpolitik ohnehin der wichtigste.
Bei Gesprächen in Pekinger Parteibüros erfährt man, dass heute drei Phasen der Entwicklung des sozialen Systems unterschieden werden: Dem Beginn in den 80er Jahren folgte nach dem 14. Parteitag der KP Chinas 1992 eine Phase des Aus- und Umbaus. Staat und Betriebe trugen seinerzeit alle Kosten für soziale Leistungen. Bis zum 16. Parteitag im Jahre 2002 wurde ein »grundlegendes Rentensystem« für Mitarbeiter staatlicher Institutionen und Betriebe geschaffen, auch das als Kombination staatlicher und betrieblicher Leistungen. Zwischen 2002 und 2012 vollzog sich nach Einschätzung der Führung die schnellste Entwicklung. In dieser Zeit wurde der »Rahmen eines sozialen Systems« geschaffen, das fast die gesamte Bevölkerung umfasst. Denn nach 2003 begann der Aufbau einer »grundlegenden Krankenversicherung«, die zunächst in den Städten und 2009 probeweise auch für damals etwa 670 Millionen Landbewohner eingeführt wurde. Bis 2013 gelang es, sie in Stadt und Land schrittweise auszubauen.
2012 orientierte der 18. Kongress der KP Chinas auf ein »faires und nachhaltiges Sozialsystem«, bei dem der Staat die »leitende Rolle« übernimmt, das jedoch auch marktwirtschaftliche Möglichkeiten nutzt. Das System soll Stadt- und Landbevölkerung gleichberechtigt einschließen. Das ist, wie man in Peking zugibt, leichter gesagt als getan. Schließlich geht es darum, die staatliche Finanzierung auf sozial gerechte Weise mit privatem Versicherungsschutz zu verknüpfen. Als dritte Säule soll die Absicherung durch die Unternehmen dienen. Das »Zwei-Bahnen-System« jedenfalls soll in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören, was bedeutet, dass das Niveau sozialer Leistungen auf dem Lande dem in der Stadt schrittweise anzugleichen ist.
Als grundlegendes Erfordernis für den Aufbau eines modernen Sozialsystems in dem Riesenland wird die Nutzung der Informationstechnologie (IT) betrachtet. Dafür gilt die Einführung elektronischer Gesundheitskarten als Voraussetzung. Schon 2015 sollen Leistungen für über 800 Millionen Chinesen per IT erfasst und abgerechnet werden können. Derzeit strömen noch viele Patienten vom Land in die Städte, um sich ausreichend gut behandeln zu lassen. Um diesen Strom einzudämmen oder abzubauen wurden in den vergangenen fünf Jahren für umgerechnet neun Milliarden Euro über 2400 neue Krankenhäuser gebaut. Dank vernetzter Datenbanken sind medizinische Befunde, Patientenakten oder Diagnosen inzwischen ortsunabhängig abrufbar, womit Mehrfachuntersuchungen vermieden werden können. Insbesondere die armen Regionen des Landes werden bei der Verbesserung der Gesundheitsbetreuung vom Staat kräftig gefördert. Andererseits wird auch der Bau von Privatkliniken erleichtert.
Vielschichtig und heftig wird auch in China die Frage des Renteneintrittsalters diskutiert. Bisher liegt es für Frauen bei 55 und für Männer bei 60 Jahren. Die mittlere Lebenserwartung ist jedoch bedeutend gestiegen, Frauen werden durchschnittlich 75, Männer 73 Jahre alt. Da wird die Finanzierung des Sozialsystems bei ständig steigenden Kosten für die Politik unvermeidlich zum Dauerthema. Die Führung wird von Abermillionen Chinesen letztlich daran gemessen werden, wie sie diese Herausforderung bewältigt. Der Eintritt in das Jahr des Pferdes ist dafür immerhin ein hoffnungsvolles Zeichen, denn das Pferd gilt als besonders kreativ und ausdauernd.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. Januar 2014
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