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In Hongkong droht "Occupy Central" mit der Besetzung von Regierungsgebäuden

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Der 65. Nationalfeiertag Chinas am 1. Oktober geriet in die Hongkonger Unruhen. Demonstranten wandten ihm den Rücken zu.

Die Zeremonie zum Nationalfeiertag musste am Mittwoch in der ehemaligen britischen Kronkolonie hinter Polizeibarrikaden abgehalten werden. Dahinter forderten Tausende Demonstranten der Demokratiebewegung »Occupy Central« den Rücktritt von Hongkongs Regierungschef Leung Chun Ying. Der hatte um Mitternacht ein Ultimatum der studentischen Protestbewegung verstreichen lassen. Sein Appell an den »chinesischen Traum« und der Aufruf, die belagerten Protestzonen sofort zu räumen, verhallten ungehört. Die Besetzung wurde noch auf das populäre Einkaufsviertel Tsim Sha Tsui auf der Halbinsel Kowloon ausgeweitet.

Als die Flaggen Chinas und Hongkongs gehisst wurden, wandten Aktivisten der Zeremonie demonstrativ den Rücken zu. Die Demonstranten, unter ihnen Studentenführer Joshua Wong, hielten schweigend die Hände über Kopf gekreuzt. Auch das traditionelle Feuerwerk zum Nationalfeiertag wurde abgesagt.

Chinas Präsident Xi Jinping versprach in einer Rede zum Nationalfeiertag, den Wohlstand und die Stabilität Hongkongs »standhaft zu schützen«. Deren Studentenbewegung wiederum sieht drei Eskalationsstufen vor, sollte Peking die Forderung nach der freien und direkten Wahl von Hongkongs Regierungschef im Jahr 2017 weiter ignorieren. Laut Alex Chow, Generalsekretär der Hongkonger Studentenvereinigung, erwäge man eine Ausweitung der Proteste, Arbeiterstreiks und die Besetzung von Regierungsgebäuden, wenn Leung nicht bis Donnerstag zurücktrete. Eine solche Eskalation würde mit Sicherheit zu gewaltsamen Konfrontationen mit Sicherheitskräften führen und den soweit friedlichen Protest Rückhalt kosten.

Derweil veröffentlichte die »People's Daily», das Sprachrohr der Pekinger Führung, einen harschen Leitartikel, der auf schon fast unheimliche Weise an die offiziellen Verurteilungen damals der Tiananmen-Proteste erinnerte und China das volle Recht für »resolute Maßnahmen« gegen Occupy Central zusprach. »Radikale Aktivisten« würden den »Ruf Hongkongs schädigen«.

Gerade jedoch Hongkongs ältere Generationen, die vielfach vor Hunger und Armut aus China geflohen waren, zeigen wenig Sympathie für die Kundgebungen gegen Peking, die mit der Belagerung von Hongkongs Downtown das öffentliche Leben behindern. Abseits der Protestzonen nimmt der Alltag seinen gewohnten Lauf. Doch eine alte Frau, die wegen der Störungen einen Arzttermin verpasste, fluchte lauthals gegen die Menge. Ältere Menschen sind in den Protestgebieten kaum zu sehen.

Wenig Verständnis zeigen auch chinesische Touristen, die weiterhin in die Sonderverwaltungszone strömen und sich ihren Einkaufsspaß nicht trüben lassen wollen. Schaulustige »Mainlanders« wagen einen Blick auf die Proteste, doch »sie finden, Hongkonger beschweren sich allzu viel«, sagte die Journalistin Joanna Chiu.

In den Augen der jungen Generation ist Hongkong unter chinesischer Herrschaft aber nur zu einem besseren Selbstbedienungsladen Pekings geworden, wo eine ausgewählte Elite nach Belieben wirtschaftet, während die breite Bevölkerung immer stärkeren Kostendruck leidet.

Derweil leisten Chinas Zensoren ganze Arbeit, das Festland über die Vorgänge im ehemaligen Kronjuwel der Briten im Dunkeln zu lassen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. Oktober 2014


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