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Hongkong im Regen

Zum chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober steht die Volksrepublik unter Beschuß. Doch die »Regenschirmrevolution« sagt mehr über die Stadt als über das Land aus

Von Sebastian Carlens *

Rosen, Tulpen, Orangen – und nun Regenschirme: Die Welt ist um eine »bunte Revolution« reicher geworden, seit in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong Studentendemonstrationen eskalieren. Seit Montag vergangener Woche protestieren dort rund 150 Schüler und Studenten für »mehr Demokratie«. Außerdem begann die Bewegung »Occupy Central with Love and Peace« (OCLP) am frühen Sonntag morgen mit der Besetzung des Bankenviertels der zehn Millionen Einwohner zählenden Stadt. Die Bewegung fordert eine freie Wahl des Hongkonger Regierungschefs. Eigentlich wollte OCLP erst am Mittwoch, passend zum chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober, protestieren, doch unter dem Eindruck der Studentenproteste wurden die Aktivitäten vorverlegt. Bis zu 10000 Demonstranten sollen sich an den Protesten beteiligt haben. Der aufgespannte Regenschirm gegen das Tränengas der Polizei ist, zumindest in den westlichen Medien, zum Symbolbild geworden.

Junge Menschen, die sich für »mehr Demokratie« gegen die Staatsmacht stellen – die Chiffren und ihre positive Einordnung durch die Meinungsmacher im Westen erinnern an »Arabellion« und »Euro-Maidan«. Mit dem »Occupy«-Label wird zudem an eine Gruppierung angeknüpft, die in den Finanzdistrikten der westlichen Metropolen ähnliche Aktionsformen erprobte. Doch Ziele und Hintergründe sind vollkommen unterschiedlich: Nicht gegen eine neoliberale Ideologie, sondern gegen die Zugehörigkeit Hongkongs zu China richten sich die Proteste. Mit der Forderung nach »mehr Demokratie« wird unterschlagen, daß die Briten ihre einstige Kronkolonie diktatorisch regierten. Die Lockerungen des Wahlgesetzes, die bereits vor Beginn der Proteste beschlossen waren, werden die 2017 anstehenden Wahlen zu den demokratischsten machen, die Hongkong bislang erlebt hat. Die Agitation gegen das Vorrecht der Volksrepublik, die Kandidaten für das Amt des Regierungschefs auszuwählen, richtet sich direkt gegen die Regelungen des Übergabevertrages zwischen London und Peking. Daß es nicht nur um Hongkong, sondern um ganz China geht, ist für die hiesigen Massenmedien ausgemachte Sache: »Peking fürchtet Regenschirmrevolution«, so die Welt am Dienstag.

10000 Demonstranten, eine Gefahr für die Herrschaft der KP Chinas? Die Spannungen in der Hongkonger Gesellschaft resultieren aus ihrer besonderen Geschichte und sagen mehr über die Stadt als über die Volksrepublik aus.

1841 hatten britische Truppen die Halbinsel am Perlflußdelta besetzt, 1843 wurde Hongkong zur Kronkolonie erklärt. Erst 1997 räumten die Briten das Gebiet, das mittlerweile von rund sieben Millionen Menschen bewohnt wird. Unter der britischen Herrschaft konnte sich die Stadt in eine asiatische Wirtschaftsmacht verwandeln. Es entstand eine eigene Bourgeoisie, die mit der Volksrepublik und dem Ausland gute Geschäfte macht. Auch die Rückgabe an China änderte nichts am Boom: Das Weltwirtschaftsforum führt die Sonderverwaltungszone aktuell auf Platz sieben der wettbewerbsfähigsten Orte der Welt. Die einheimische Bourgeoisie stellt die Stadtregierung, sie ist an einer ruhigen Lage in Hongkong und guten Beziehungen zur Volksrepublik interessiert.

Doch die Liberalisierung der chinesischen Wirtschaft hat die Halbinsel von ihrem führenden Platz verdrängt. Hafenstädte wie Schanghai oder Guangzhou, Börsen in Peking oder anderswo übernehmen die Funktionen, die Hongkong traditionell ausfüllte. Selbst der Lebensstandard in der überfüllten Stadt liegt mittlerweile häufig unter dem anderer Metropolen. Die Festlandschinesen, die unkompliziert nach Hongkong einreisen können, lassen durchschnittlich 730 Euro pro Aufenthalt dort, mehr als alle anderen Touristen. Die immer engere Verflechtung mit der VR China schürt allerdings auch Unmut: In den vergangenen Jahren kam es häufiger zu Konflikten um das »unzivilisierte Verhalten« der Festlandschinesen, die ökonomische Verdrängung wird durch die reichen Touristen beschleunigt. Aus der Volksrepublik wurde Kritik am Dünkel der Hongkongchinesen laut – als »kolonalistische Hunde« bezeichnete Kong Qingdong, Professor an der Peking-Universität, vor einigen Jahren prowestliche Aktivisten aus der Stadt. Zwischen ihnen und westlichen »Thinktanks« und NGOs bestehen enge Bande: Das US-finanzierte »Hong Kong America Center«, dem der hochrangige frühere US-Diplomat Morton Holbrook vorsteht, nimmt beispielsweise Einfluß auf die Lehrpläne an Schulen und Universitäten. Die chinesische Zeitung Wen Wei Po berichtete unlängst über Verbindungen von Joshua Wong, einem der Sprecher der Studentenproteste, zu US-Stellen: Wong, häufig auf Kosten seiner amerikanischen Freunde in Luxushotels in Macao zu Gast, soll gezielt zum »politischen Superstar« aufgebaut werden, so das Blatt. Auch dem Medienmogul Jimmy Lai, der einige regierungskritische Zeitungen herausgibt, werden Kontakte zur CIA nachgesagt.

Die Eskalation in Hongkong direkt vor dem 65. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik ist kein Zufall. Nach dem Scheitern diverser Versuche der Einflußnahme über tibetische oder uigurische Separatisten oder prowestliche »Dissidenten« soll nun mittels Hongkong Druck auf China ausgeübt werden. Es spricht nichts dafür, daß dies gelingen könnte, denn die soziale und politische Situation in Hongkong und auf dem Festland unterscheidet sich zu grundlegend. Die Resultate der vergangenen »bunten Revolutionen«, die in Bürgerkriegen, Chaos und Massakern endeten und nichts von der versprochenen »Demokratie« brachten, sind den Chinesen, mehr als einmal Opfer imperialistischer Aggression, Warnung genug. Die »Regenschirmrevolutionäre« werden am Grenzübergang zwischen Hongkong und Shenzhen steckenbleiben. Denn die Träume von einer chinaweiten Revolte sind nicht mehr als westliches Wunschdenken, das schlimmstenfalls zu sinnloser Gewalt führen kann.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 1. Oktober 2014


China lehnt Gewalt in Hongkong ab

Die deutsche Ausgabe der Webseite china.org.cn, die als Informationsportal der chinesischen Regierung betrieben wird, verurteilt die Ausschreitungen in Hongkong. In einer am 29. September veröffentlichten Stellungnahme heißt es:

Am Sonntag versammelten sich Zehntausende Protestierende im Zentrum von Hongkong. Stunden danach sagte ein Sprecher des chinesischen Staatsrats, China sei zuversichtlich, daß die Sonderverwaltungszone die »Occupy Central«-Bewegung im Einklang mit dem Gesetz regeln könne. Der Sprecher des Büros für Angelegenheiten von Hongkong und Macao beim Staatsrat sagte, die Zentralregierung würde illegale Aktivitäten ablehnen, welche die Regeln des Gesetzes unterwanderten und die soziale Stabilität gefährdeten. Sie würde der Regierung von Hongkong den Rücken stärken, um die soziale Stabilität zu erhalten und die Bürger zu schützen.

Der Nationale Volkskongreß der VR China (NVK) hatte entschieden, daß Hongkong seinen Verwaltungschef ab 2017 in allgemeinen Wahlen bestimmen soll. Hongkongs Regierungschef Leung Chun Ying appellierte an die verschiedenen Gesellschaftsschichten, sich an rationalen Diskussionen auf friedliche und gesetzvolle Art zu beteiligen, damit die fünf Millionen Wahlberechtigten in Hongkong den Verwaltungschef 2017 zum ersten Mal in der Geschichte direkt wählen können. Hongkongs Sicherheitsverantwortlicher Lai Tung Kwok sagte, daß Recht und Gesetz die Grundlage für Hongkongs Wohlstand und Stabilität seien. Die Bürger können ihre Ideen ausdrücken, doch Gewalt und das Ignorieren der Sicherheit der Mitbürger könne nicht erlaubt werden. (…)

Die chinesische Zentralregierung hat die jüngsten gesetzwidrigen Aktivitäten zur Unterminierung der Ordnung und der gesellschaftlichen Stabilität in Hongkong scharf verurteilt. Zugleich werde die Zentralregierung die Regierung der Sonderverwaltungszone dabei unterstützen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, die Stabilität in Hongkong sowie die Sicherheit der Bürger und deren Hab und Gut zu schützen. Dies betonte der Sprecher des Staatsratsbüros für Angelegenheiten in Hongkong und Macao am Sonntag morgen in Peking.

Die Zentralregierung hoffe, daß sich alle Gesellschaftsschichten in Hongkong für eine weitere stabile Entwicklung einsetzen.

german.china.org.cn




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