Es kommt ein Zug aus Chongqing
Viel chinesisches Lob für Angela Merkel, die sich bemühen will, den Gast aus dem russischen Kielwasser zu ziehen
Von Werner Birnstiel und Detlef D. Pries *
Die Europareise Xi Jinpings widerspiegele das »strategische Programm der chinesisch-europäischen Kooperation bis 2020«, hieß es in Peking zum Auftakt der Reise am vergangenen Sonnabend.
Nach seiner Teilnahme am Atomsicherheitsgipfel in Den Haag und seinen offiziellen Besuchen in den Niederlanden und Frankreich trifft Xi Jinping am heutigen Freitag in Deutschland ein. Das ist, wie die deutsche Online-Ausgabe der Pekinger »People's Daily« (chinesisch: Renmin Ribao) schrieb, »die wichtigste Station« seiner Europareise, die ihn überdies nach Belgien, zur UNESCO und zur EU-Kommission in Brüssel führen wird. »Die chinesisch-deutschen Beziehungen sind unter den Beziehungen Chinas mit anderen Ländern am harmonischsten«, begründete »People's Daily« das Werturteil und setzte fort, Deutschland spiele seit einiger Zeit »die Rolle des Koordinators, des Wegführers, des Konfliktschlichters und des Vorbilds« in den chinesisch-europäischen Beziehungen. Auch die Bundeskanzlerin bekam einen großen Löffel voll aus dem Honigfass ab: Mit ihrem »rationalen, ausgeglichenen und pragmatischen Stil« sei Angela Merkel nicht nur »dem Amt der Bundeskanzlerin vollkommen gewachsen«, sondern überdies zur »wichtigsten Akteurin auf der politischen Bühne Europas geworden«.
Beiderseits bleiben Wirtschaft und Handel der Dreh- und Angelpunkt aller Kooperation. 2013 belief sich das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten auf 140,43 Milliarden Euro. China rangierte auf Platz 2 unter den Import- und auf Platz 5 unter den Exportpartnern Deutschlands. Der Wert der deutschen Importe übertrifft den der Exporte immer noch beträchtlich (2013 um gut 6 Milliarden Euro), aber die Differenz verringerte sich zuletzt und Wirtschaftsinstitute schätzen, dass in Deutschland rund eine Million Arbeitsplätze von den Ausfuhren nach China abhängen. Darüber hinaus machen bekannte deutsche Unternehmen einen bedeutenden Teil ihres Gesamtumsatzes im Reich der Mitte. An der Spitze liegt diesbezüglich der Volkswagen-Konzern, der 2012 mehr als 21 Prozent seines Umsatzes im Reich der Mitte realisierte – 51,5 Milliarden Euro.
Wichtiger werden die Verflechtungen durch gegenseitige Investitionen. Die Regierung in Peking orientiert ihre Unternehmen vor allem auf die Bereiche Maschinenbau, Elektronik, Konsumgüter und Informations- und Kommunikationstechnik. Dass macht deutlich, dass China in eine Phase der »industriellen Aufwertung« hineinwachsen will, die vor allem zu qualitativem Wachstum führen soll. Xi Jinping wird denn auch von einer mehr als 100-köpfigen Wirtschaftsdelegation begleitet.
Nicht nur als wirtschaftliches, sondern auch als politisches Signal wird verstanden, dass Xi Jinping am Sonnabend im Duisburger Binnenhafen einen Frachtzug aus dem südwestchinesischen Chongqing empfangen wird, der die über 10 000 Kilometer lange Strecke in nur 16 Tagen bewältigt hat. Für beide Seiten ist das ein Schritt zur Verwirklichung der Idee von einer »Neuen Seidenstraße«, die nicht nur Ostasien und Westeuropa verbindet, sondern auch der wirtschaftlichen »Erschließung« ungefestigter Staaten an der Strecke dienen soll. In China gilt dieser Weg zur Befriedung unruhiger Regionen als friedliche Alternative zu militärischen Interventionen, die zum Scheitern verurteilt sind.
Auf deutscher Seite möchte man bei diesem ersten Besuch eines chinesischen Staatsoberhaupts seit 2005, als Hu Jintao zu Gast war, ohnehin nicht nur und nicht einmal vor allem wirtschaftliche Schwerpunkte setzen. Da Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schon im April nach China reisen wird, die Kanzlerin im Juli folgt und im Herbst die nächsten bilateralen Regierungskonsultationen in Deutschland angesetzt sind, wird in diesem Jahr noch reichlich Gelegenheit sein, Wirtschaftsthemen zu behandeln.
Stattdessen soll Xi bei seiner Ehre als »konstruktiver Krisenmanager« gepackt werden. Der neue Präsident, erst seit einem Jahr im Amt, habe stärker als seine Vorgänger sicherheitspolitische Fragen an sich gezogen, bemerkte Sebastian Heilmann, Direktor des Berliner Mercator-Instituts für China-Studien (MERICS), in einem Pressegespräch. Xi wolle sein Land als »verantwortungsvolle Großmacht« profilieren, und die Krise um die Ukraine biete eine Gelegenheit, ihn beim Wort zu nehmen. Bisher nämlich – sagt Heilmann – habe sich China »immer ein bisschen im Kielwasser Russlands« bewegt. Stets, wenn Moskau im UN-Sicherheitsrat sein Veto einlegte, schloss sich China dem an.
Zwei Ausnahmen gab es: 2008 im Falle des Kaukasuskrieges und am 15. März dieses Jahres, als der von den USA eingebrachte Resolutionsentwurf zur Abstimmung stand, der das Referendum auf der Krim für ungültig erklären sollte. Da enthielt sich Chinas Vertreter der Stimme. Peking wollte mit Blick auf die eigenen Minderheiten, die Tibeter und die Uiguren vor allem, kein Referendum über die Abspaltung eines Landesteils gutheißen. Zwar war auch in chinesischen Medien die Rede davon, dass die Politik der USA und der EU »die Ukraine ins Chaos gestürzt« hat, doch offiziell forderte China eine »politische Lösung« der Krimkrise. Die auf diese Weise sichtbar gewordenen »gewissen Differenzen« zwischen Russland und China hofft die Bundesregierung ausnutzen zu können, um – in Heilmanns Worten – deren »strategische Partnerschaft aufzulockern«.
Nicht dass man von Xi Jinping russlandkritische Äußerungen erwartet, aber eine gemeinsame Erklärung, in der betont wird, dass internationale Konflikte »auf der Basis des Völkerrechts« gelöst werden müssten, würde man in Berlin schon als Erfolg werten. Und die Bundeskanzlerin sei, wie Heilmann sagt, bisher immer »sehr erfolgreich« bei chinesischen Partnern gewesen.
Aber auch in diesem Fall wird sich Xi Jinping nicht dazu hergeben, Barack Obamas Politik der Isolierung Russlands zu unterstützen. Ausdrücklich hatte sich Wladimir Putin in seiner Rede im Kreml am 18. März für das Verständnis Chinas bedankt. Peking seinerseits strebt nach einer multipolaren Welt und einer Kooperation »auf Augenhöhe« – und hofft dafür in der EU, insbesondere aber in Deutschland zuverlässige Partner zu finden.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 28. März 2013
Paris hat seine einstige Vorreiterrolle verloren
In Versailles feierten Xi Jinping und François Hollande ein halbes Jahrhundert diplomatischer Beziehungen
Von Ralf Klingsieck, Paris **
Vor seinem Deutschland-Besuch macht Xi Jinping in Frankreich Station. Dort war ein Jubiläum zu begehen.
Der Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping von Dienstag bis Donnerstag in Frankreich stand weitgehend im Zeichen des 50-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten. Darauf nahmen sowohl der Gast als auch sein Gastgeber, der französische Staatspräsident François Hollande, bei den Gesprächen im Pariser Elysée und in ihren Reden auf der Festveranstaltung in Versailles Bezug. Mit der Anfang 1964 erfolgten diplomatischen Anerkennung hatte Frankreich mitten im Kalten Krieg die Isolierung der bereits 1949 gegründeten Volksrepublik durchbrochen. General Charles de Gaulle ließ sich dabei sowohl von strategischen als auch von ganz pragmatischen Gesichtspunkten leiten. Er nahm die Verärgerung der USA in Kauf, die seinerzeit in den Viet-namkrieg verstrickt waren und die auf das Regime in Südvietnam setzten, während China den Norden unterstützte. Für Präsident de Gaulle zählte vor allem, dass dieser Alleingang Frankreichs internationale Rolle aufwertete und die Grande Nation zu einer dritten Macht zwischen der UdSSR und den USA machte. Für China waren diese Beziehungen wichtig, um auf der internationalen Bühne gehört zu werden und eine Rolle zu spielen – unabhängig von der Sowjetunion, mit der die Beziehungen sehr angespannt waren.
Paris hatte aber auch ganz besonders China mit seinen damals 700 Millionen Menschen als gigantischen Markt mit großem Industrialisierungs- und Modernisierungsbedarf im Auge. Die Handelsbeziehungen entwickelten sich anfangs auch sehr dynamisch, doch die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllten sich mit den Jahren immer weniger. Heute ist Frankreich unter den Handelspartnern Chinas auf den 19. Rang zurückgefallen, mit nur 1,2 Prozent der chinesischen Importe, während beispielsweise der Anteil der Importe aus Deutschland viermal höher liegt. Der Grund ist, dass viele französische Industrieunternehmen ins Billiglohnland China abgewandert sind und andere, wie auch die Handelsketten, in China preisgünstig gefertigte Waren beziehen. Umgekehrt reduzieren sich die chinesischen Importe weitgehend auf Luxusgüter, Wein und Feinkost. Frankreichs Außenhandelsdefizit gegenüber China, das von 5,7 Milliarden Euro im Jahre 2000 auf 25,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr geklettert ist, soll unbedingt gesenkt werden. Darum wurden in Paris besonders die im Rahmen des Staatsbesuchs unterzeichneten 50 Verträge im Wert von insgesamt 18 Milliarden Euro herausgestellt. Davon entfallen allein 10 Milliarden Euro auf die Bestellung von 70 Flugzeugen vom Typ Airbus A320 und A330. Ferner wurde der gemeinsame Bau von 1000 Hubschraubern im Wert von 5,8 Milliarden Euro durch Airbus Helicopter und sein chinesisches Partnerunternehmen Avic vereinbart. Und der staatliche chinesische Autokonzern Dongfeng investiert 800 Millionen Euro in den französischen PSA-Konzern, womit dessen Gründerfamilie Peugeot ihre dominierende Stellung verliert.
** Aus: neues deutschland, Freitag, 28. März 2013
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