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Wie weit geht der Konflikt?

Arbeitsexperten diskutieren die Lage der Arbeitsbeziehungen im Reich der Mitte auf einer Konferenz in Bejing

Von Rolf Geffken *

Die Streikbewegung in China geht weiter und mit ihr die Debatte um die Zukunft von »harmonischer Arbeit«, Koalitionsfreiheit und Tarifbewegung.

Es war sicher mehr als nur Zufall, dass im Anschluss an eine hochrangige Wirtschaftskonferenz in Beijing unter internationaler Beteiligung eine wissenschaftliche Konferenz zur »Transformation der kollektiven Arbeitsbeziehungen« Chinas stattfand. Etwa 120 Teilnehmer, darunter 53 Referenten aus elf Ländern, diskutierten in bislang nicht dagewesener Breite über Gegenwart und Zukunft der chinesischen Arbeitsbeziehungen.

Eingeladen hatten der renommierte Arbeitswissenschaftler Chang Kai von der Renmin University und der Arbeitsökonom Feng Xi Liang von der Capital University Beijing. Im Zentrum stand die Frage, inwieweit die stark zunehmenden spontanen Arbeitskonflikte zu einer stabileren gewerkschaftlichen Orientierung oder aber zu einer Transformation der chinesischen Gewerkschaft selbst führen. Das gesamte akademische und politische Spektrum der Sozial-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Chinas im Bereich »Arbeit« war vertreten. Darunter waren auch solche Repräsentanten, die unter »Transformation« im Sinne der Beschlüsse des Zentralkomitees offenbar nur noch die Transformation einer sozialistischen Marktwirtschaft in eine reine Marktwirtschaft verstehen. So verlangte der Präsident der chinesischen Gesellschaft für Wirtschaftsreformen Song Xiaowei, dass auch in den Arbeitsbeziehungen künftig der Markt eine noch zentralere Rolle spielen müsse. Die Vertreterin der Parteischule der Provinz Shandong, Frau Tan Hong, vertrag die These, dass die Arbeiter tatsächlich zu einem großen Teil dieselben Interessen wie die Unternehmer hätten. Eine offenbar sehr verkürzte Interpretation des Begriffes der »harmonischen Arbeitsbeziehungen«, auf die sich die große Mehrzahl der Konferenzteilnehmer wiederholt bezog.

Doch es wurde auch eine andere Sicht »harmonischer Arbeitsbeziehungen« vertreten, nämlich die, dass jene nicht den Ist-Zustand, sondern ein nur durch die Anerkennung der Arbeiter als gleichberechtigte Verhandlungspartner zu erreichendes Ziel darstellen. Chang Kai erwies sich hier als besonders vehementer Verfechter der Koalitionsfreiheit. Er plädierte für jegliche Art von Zurückhaltung staatlicher Organe, vor allem der Polizei, bei Arbeitskonflikten. Erfahrungsgemäß sei durch Polizeieinsätze eine »Politisierung« von Arbeitskonflikten erfolgt, die gleichzeitig zu einer Destabilisierung von Arbeitsbeziehungen und zu einer Verschlechterung von Arbeitsbedingungen führen würden. Die Regierungen aller Ebenen sollten demgegenüber bei Arbeitskämpfen eine »neutrale Position« einnehmen.

Obwohl nur einer von vielen Streiks, tauchte in vielen Berichten und Analysen immer wieder der mehrwöchige Streik bei Nanhai Honda im Jahr 2010 auf. Die Beschäftigten forderten in der Auseinandersetzung zum einen eine substanzielle Lohnerhöhung. Zum anderen ging es um verbesserte Arbeitsbedungen von Studierenden in Vollzeitpraktika, die bei dem Honda-Zulieferer gut ein Drittel der Belegschaft ausmachten. Dem Streik schlossen sich viele der bislang streikunerfahrenen Arbeiterinnen und Arbeiter spontan an.

Chang Kai, der bei der Auseinandersetzung im Auftrag der Streikenden und der Gewerkschaft als Verhandler fungierte, spielte dabei eine besondere Rolle und genoss eine hohe Legitimation durch die Streikenden. Er ist Mitglied der kommunistischen Partei und Angehöriger der Staatsratskommission für ein neues Arbeitsvertragsgesetz.

Chang Kai wies indes darauf hin, dass der Streik nicht verallgemeinert werden könne und dürfe. Zwar habe der Arbeitskampf bei Honda vielen Arbeitern im Nachhinein als Vorbild und Inspiration gedient, doch hätten besondere Umstände dessen Erfolg verursacht. Dieser lag letztlich auch in der Etablierung einer Basisgewerkschaft innerhalb des ACFTU. Richtig sei allerdings, dass auch und gerade der spontane Streik als Teil der Gewerkschaftsbewegung endlich anerkannt werden müsse.

Eigentlich mehr zufällig als beabsichtigt offenbarten andere Referate und Diskussionsbeiträge einen eher ernüchternden Zustand der Streikbewegung: So sehr diese weiter anhält, so wenig hat sie landesweit zu einer grundlegenden Veränderung des gewerkschaftlichen Dachverbandes ACFTU beitragen. Zwar sind aus zahlreichen Streiks Basisgewerkschaften hervorgegangen, die dem ACFTU angehören oder selbstständig agieren, doch werden die erzielten Kollektivvereinbarungen entweder vom Arbeitgeber unterlaufen oder sie bewegen sich zumeist auf dem Niveau ohnehin vorhandener gesetzlicher Regelungen. Tarifverträge sind in China noch weit davon entfernt, zum Motor der Entwicklung des Arbeitsrechts zu werden. Als unbefriedigend wurde von den meisten Referenten auch die oft lange Laufzeit der Vereinbarungen angesehen.

Ein neuer Aspekt chinesischer Gewerkschaften sind die immer weiter um sich greifenden demokratischen Wahlen auf betrieblicher Ebene. Anita Chan aus Australien war der Meinung, dass eine solche demokratische Legitimation wichtige Vorbedingung für Kollektivverhandlungen mit dem Arbeitgeber sei.

Die chinesische Praxis, Streiks oft zu dulden oder aber nur eingeschränkt zu sanktionieren, verdient durchaus Anerkennung. Sie steht im Gegensatz zur Verfolgung spontaner Streiks in den meisten westlichen Staaten, die sich der Einhaltung von Grundrechten rühmen. Auch bei einem Vergleich der Gewerkschaftssysteme und der Streikpraxis in Russland und China durch Tom Pringle aus London schnitt China keineswegs schlecht ab. Doch kann der Prozess der Transformation der chinesischen Gewerkschaften in eine Organisation zur ausschließlichen Interessenvertretung der Arbeiter noch lange nicht als abgeschlossen angesehen werden. Das machten die Referate und Diskussionsbeiträge deutlich.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 3. Januar 2014


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