Industrienation China?
Volksrepublik seit zehn Jahren in WTO. Exportüberschuß mit Industriestaaten. Defizit mit Entwicklungsländern. Westen fürchtet den Konkurrenten
Von Wolfgang Pomrehn *
Zehn Jahre ist es her, daß China der Welthandelsorganisation WTO beigetreten ist. Die Regierung in Beijing hatte seinerzeit einen erheblichen Entwicklungsschub erwartet, der durch den Außenhandel finanziert werden sollte. Allem Anschein nach haben sich die Hoffnungen erfüllt. China ist inzwischen in US-Dollar gerechnet die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Gemessen an der inländischen Kaufkraft der Landeswährung Renminbi, deren Einheit Yuan genannt wird, hatte die Volksrepublik die bisherige Nummer zwei, Japan, schon 2002 überflügelt.
Der Warenaustausch mit dem Ausland hat sich seit dem WTO-Beitritt von 509,7 Milliarden US-Dollar im Jahre 2001 auf knapp drei Billionen Dollar 2010 nahezu versechsfacht. Zuletzt hat China sogar Deutschland den Titel des Exportweltmeisters abgenommen und wird ihn sobald nicht mehr abgeben.
Der Erfolg ruft Neider auf den Plan und weckt Ängste bei Politikern und Ökonomen, die nur in Konkurrenzkategorien denken. Entsprechend ist der Streit um Chinas Handelsbilanz fast genauso alt wie seine WTO-Mitgliedschaft. Nahezu alle Industriestaaten haben gegenüber der Volksrepublik eine negative Handelsbilanz, mit teilweise enormem Ausmaß. Entsprechend kommt es immer wieder zu Reibereien, insbesondere zwischen Washington und Beijing. Die USA, und mit etwas weniger Nachdruck auch die EU, fordern von der chinesischen Seite daher immer wieder, ihre Währung aufzuwerten, was Importe verbilligen und chinesische Exporte verteuern würde. Tatsächlich verbirgt sich hinter den chinesischen Überschüssen ein anderes Phänomen. Da viele der Entwicklungs- und Schwellenländer im Austausch mit dem ostasiatischen Giganten eine positive Handelsbilanz haben, drückt sich in den chinesischen Überschüssen gegenüber den meisten reichen Ländern im Prinzip eine Verschiebung in den Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd aus. Die Handelsbilanz aller Entwicklungsländer gegenüber dem Norden ist positiv. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um ökonomisch weiter aufzuholen.
Georg Erber vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vertrat im Wochenbericht 50/2011 seines Instituts den Standpunkt, China könne nicht mehr als Schwellenland angesehen werden. Angesichts der enormen technologischen Fortschritte, den gewaltigen Studentenzahlen und der gezielten Innovationspolitik werde das Land schon bald zu einem führenden Hersteller von Investitionsgütern werden. Da Deutschlands Exportwirtschaft vor allem auf diesem Gebiet ihre Geschäfte macht, sieht er einen starken Wettbewerber heraufziehen.
Noch kann davon aber keine Rede sein, denn die Volksrepublik importiert weiter im großen Maßstab Maschinen, also Investitionsgüter. Nach Angaben des Amerikanisch-Chinesischen Wirtschaftsrates führten zum Beispiel 2010 elektrische Maschinen und Ausrüstung mit 314 Milliarden US-Dollar die Liste der Einfuhren an. Erst an zweiter Stelle folgte der Posten Mineralöl und Treibstoffe, und den dritten Platz nimmt Ausrüstung für Kraftwerke aller Art ein, für die immerhin noch einmal rund 170 Milliarden US-Dollar ausgegeben wurden.
Das deckt sich mit der Tatsache, daß unter den großen Handelspartnern Chinas zwei Industrienationen herausstechen, mit denen das Land 2010 eine negative Handelsbilanz hatte: Japan und Deutschland, die beiden großen Lieferanten für Maschinen und Anlagen.
Insofern mutet es schon ein wenig verwunderlich an, daß sich der DIW-Ökonom über Chinas Handelsbilanzüberschuß beschwert. Noch interessanter ist seine Begründung: »Gerade der schwelende Handelskonflikt zwischen den USA und China sollte ein warnendes Beispiel sein, daß eine nachhaltige wirtschaftliche Zusammenarbeit ein faires Gleichgewicht zwischen den Wirtschaftspartnern voraussetzt, von dem beide Partner profitieren. Hierzu zählt insbesondere eine ausgeglichene Handelsbilanz, so daß die Gefahr von Zahlungsbilanzkrisen gar nicht erst entsteht.«
Gleichzeitig exportiert Deutschland wesentlich mehr in die übrigen EU-Mitgliedsländer, als es von dort einführt. 2009 betrug der Überschuß rund 100 Milliarden Euro. Auch im mehrjährigen Vergleich ist Deutschlands Handelsbilanzüberschuß größer als der chinesische. Der schnellte nach dem WTO-Beitritt der Volksrepublik 2001 von 22,6 Milliarden auf 261,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2007 hoch, nimmt seitdem jedoch beständig ab. Zuletzt betrug er noch 183,1 Milliarden US-Dollar.
Der deutsche Überschuß belief sich 2010 hingegen auf rund 210 Milliarden US-Dollar und zeigt eine langfristig steigende Tendenz. Während China aufsummiert über die letzten zehn Jahre ein Plus im Warenaustausch von rund 1,33 Billionen US-Dollar erwirtschaftete brachte es Deutschland auf rund zwei Billionen. Und während hierzulande die Kaufkraft der Bevölkerung weiter schwindet, ist die chinesische Führung bemüht, die Einkommen möglichst rasch steigen zu lassen, was Binnenmarkt und Importnachfrage stärkt und somit Ungleichgewichte abbaut.
* Aus: junge Welt, 23. Dezember 2011
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