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Ganz leichte Abkühlung

Chinas Wirtschaft wächst langsamer. Das freut die Regierung. Auswirkung der jüngsten Naturkatastrophen sind noch nicht bezifferbar

Von Wolfgang Pomrehn *

Chinas Wirtschaftswachstum hat sich im zweiten Quartal 2010 etwas verlangsamt. Auf das Jahr umgerechnet belief es sich Schätzungen von Goldmann Sachs zufolge auf acht Prozent. Nach Angaben des Nationalen Büros für Statistik in Peking legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) allerdings immer noch um 10,3 Prozent zu. Anders als man meinen könnte, ist das für die politische Führung des Landes kein Grund zur Sorge, sondern eher zur Beruhigung. Acht Prozent Wirtschaftswachstum ist die von den Fünfjahresplänen vorgegebene Zielmarke. Alles was darüber hinausgeht, insbesondere wenn es in den zweistelligen Bereich geht, versucht die Regierung meist mit strafferer Geldpolitik und diversen anderen Maßnahmen zu dämpfen. Der Grund: Je rascher die Güterproduktion wächst, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß der Ausbau der nötigen Infrastruktur nicht hinterherkommt, oder aber an der Nachfrage vorbeiproduziert wird. Einen solchen Fall hat China zuletzt Anfang der 1990er Jahre erlebt.

Zur Verlangsamung dürften vor allem zwei Dinge beigetragen haben. Zum einen läuft das Konjunkturprogramm langsam aus, das dem Land über die internationale Finanzkrise geholfen und seine Rolle als Motor der Weltwirtschaft untermauert hatte. Zum anderen hat die Zentralregierung in den letzten Monaten die Bedingungen für die Kreditvergabe der Banken verschärft. Und sie ist selbst gegenüber den Provinzregierungen zurückhaltender mit Zuwendungen und Krediten gewesen. Wie erhofft, konnte damit die rasche Zunahme der Anlageninvestitionen und des Immobiliensektors in den Städten etwas abgebremst werden. Letzterer gab wegen seiner rasanten Expansion seit vergangenem Jahr wiederholt Anlaß für Spekulationen, in China könne sich eine Immobilienblase aufblähen, die die Stabilität der Weltwirtschaft gefährde.

Noch nicht abzusehen ist, welche ökonomischen Folgen die schweren Unwetter haben werden, die verschiedene Teile des Landes seit Wochen heimsuchen. Schon im Frühjahr hatte es im Süden Ernteausfälle wegen einer anhaltenden Dürre gegeben. Nun stehen dort und anderswo die Felder unter Wasser. Die Nachrichtenagentur Bloomberg zitiert einen chinesischen Experten mit Angaben, wonach fünf bis sieben Prozent der Reisernte verlorengegangen sind. Andere Quellen würden davon ausgehen, daß übers ganze Jahr gerechnet – in einigen Regionen gibt es zwei Reisernten pro Jahr – bis zu zehn Prozent verlorengehen könnten.

Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtet allerdings, daß das Land über »große Getreidereserven« verfüge und zudem die Wachstumsbedingungen in den Anbaugebieten für Herbstgetreide gut seien. Auf letztere entfallen laut Bloomberg drei Viertel der jährlichen Produktion. Daher sind, so Xinhua, keine größeren Auswirkungen der Rallye zu erwarten, die insbesondere der Weizenpreis gerade auf dem Weltmarkt erlebt. Seit Anfang Juli haben sich an der Getreidebörse in Chicago die Weizen-Optionen um fast 50 Prozent verteuert. Einen letzten Preisschub hatte es gegeben, als Mitte vergangener Woche die russische Regierung aufgrund der dortigen Dürre und Brände ein Ausfuhrverbot für die Getreidesorte verhängte. Rußland ist nach den USA größter Weizenexporteur der Welt.

Doch auch wenn Chinas Experten keine Gefahren von dieser Seite erwarten, so haben auch in der Volksrepublik die Nahrungsmittelpreise deutlich angezogen. Der Verbraucherpreisindex stieg im Juli gegenüber dem Vorjahr um 3,3 Prozent, so stark, wie seit fast zwei Jahren nicht mehr. Hauptverantwortlich für diese Inflation waren die Nahrungsmittel, deren Preise in Jahresfrist um 6,8 Prozent zugelegt hatten. Mit 22,3 und 11,8 Prozent verteuerten sich insbesondere Gemüse und Getreide, wie aus den Daten der Pekinger Statistiker hervorgeht. Allerdings spiegelt sich darin bisher nur ein Teil der wetterbedingten Ausfälle wieder.

Wenig läßt sich bisher sagen, welche Auswirkungen die diversen Naturkatastrophen – allein bei einem einzigen Erdrutsch in der zentralchinesischen Provinz Gansu starben am Wochenende über 1100 Menschen – auf die ökonomische Stimmung im Lande haben. Zumindest bis Juli schien die Kauflust der Verbraucher ungebrochen. Der Absatz von Konsumgütern war gegenüber dem Vorjahr um 17,9 Prozent gestiegen, also fast doppelt so schnell gewachsen wie das BIP. Schon im Vorjahr war das Größenverhältnis der beiden Indikatoren ähnlich gewesen. Die Politik der Staatsführung, wonach die Wirtschaft des Riesenlandes sich stärker auf den eigenen Binnenmarkt konzentrieren und ihre Exportabhängigkeit abbauen soll, scheint offensichtlich Früchte zu tragen.

Sorgen dürfte den Verantwortlichen indes der Energieverbrauch bereiten. Der ist im ersten Halbjahr parallel mit der Wirtschaft gewachsen. Pro Einheit Sozialprodukt ist er sogar – ganz entgegen den Planzielen – etwas gestiegen. Vermutlich als Reaktion auf diese Zahlen wurde in den zurückliegenden Wochen die Schließung von rund 2000 besonders veralteten und damit verschwenderischen Betrieben angeordnet. Die Regierung hatte auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 den anderen Staaten versprochen, Chinas spezifischen Energieeinsatz bis zum Jahr 2020 gegenüber dem Niveau von 2005 um 45 Prozent zu verringern.

Aus: junge Welt, 13. August 2010


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