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Frostwetter in Peking

Warum sich die Hauptstädter über das »Wettermanipulationsamt« ärgern

Von Wolf Kantelhardt, Peking *

»Wie kann es sein, dass die Regierung es schafft, das Wetter zu verändern, aber nicht, der Bevölkerung vorher Bescheid zu sagen?« ärgert sich die junge Chinesin, die am 3. Pekinger Stadtring nahe einer sehr großen Pfütze steht und vergeblich nach einem Taxi winkt. In der Hand hält sie eine Plastiktüte mit zwei gefüllten Hefeklößen und einen Becher mit heißer Sojamilch, die in der Kälte dampft. Aber zum Frühstücken kommt die junge Frau nicht. Als dann auch noch ein Auto mit dunkel getönten Scheiben durch die Pfütze fährt und sie mit ihren hohen Absatzschuhen nicht schnell genug zurückspringen kann, macht sie ihrem Ärger noch deutlicher Luft.

Was ist passiert? Überall auf der Welt schimpfen Menschen übers Wetter. Aber warum schimpfen die Chinesen, wenn das Wetter schlecht ist, auf ihre Regierung?

In China gibt es Dinge, die man anderswo so nicht kennt. Eins davon ist das »Wettermanipulationsamt«. Dessentwegen hat es beispielsweise »natürlich« am frühen Morgen des 1. Oktober kräftig geschüttet, wodurch die Militärparade zum 60. Jahrestag der Volksrepublik bei Sonnenschein stattfand. Einen Monat später, am Morgen des 1. November, war in Peking plötzlich alles weiß: Schnee auf den Start- und Landebahnen des Flughafens, so dass sich über 200 Flüge teilweise bis zu 20 Stunden verspäteten. Schnee auf den teilweise noch grünen Pekinger Bäumen, die zu Zehntausenden unter der Schneelast abknickten und auf Straßen und Stromleitungen fielen. Ein Verkehrschaos und Stromausfälle waren die Folge. Und es fiel nicht nur der Schnee: Auch die Temperaturen sanken um 13,5 Grad auf minus 4 Grad Celsius.

Die meisten Wohnungen Pekings werden fernbeheizt -- aber erst ab 15. November. Unabhängig von Wetter und Temperatur. So kam es, dass Millionen Pekinger am 1. November in kalten Wohnungen saßen und froren. Bis die Nachricht durchsickerte, dass das Wettermanipulationsamt über der Hauptstadt 186 Ladungen Silberjodid in den Himmel hatte schießen lassen -- zur Bekämpfung der Dürre, wegen der schrumpfenden Reservoire und des sinkenden Grundwasserspiegels. Die 16 Millionen Kubikmeter Schnee waren also nicht »natürlich« heruntergekommen. Daraufhin erhitzten sich zumindest die Gemüter.

Sogar in staatlichen Medien wurde Kritik laut: Wenigstens dem Flughafen und der Verkehrspolizei hätte man Bescheid sagen können. Doch dann geschah Unerwartetes, das die Kritik verstummen ließ: Die Pekinger Regierung beschloss, ausnahmsweise früher mit der Heizperiode zu beginnen und die Mindesttemperatur, auf die man in seiner Wohnung Anspruch hat, von 16 auf 18 Grad zu erhöhen. Das hatte es noch nie gegeben. Bisher musste in der ersten Novemberhälfte immer gefroren werden.

Song Qinghua, Gründerin der Organisation »Shining Stone«, kann ähnliche Geschichten erzählen, in denen die Stadtverwaltung auf Wünsche der Bewohner einging. Als sie vor sieben Jahren mit ihrer Gemeinschaftsaktion begann, war die Regierung noch sehr zurückhaltend, was »Partizipation« anging. »Wenn wir wollten, dass jemand aus der Verwaltung an einer unserer Konferenzen teilnimmt, mussten wir ihm hohe Aufwandsentschädigungen dafür zahlen«, erzählt Song Qinghua. »Jetzt werde ich eingeladen, Vorträge und Workshops zu halten, über partizipative Planungsmethoden und alles. Und ich werde von der Regierung dafür bezahlt.«

Ein typischer Fall aus Fengtai, einem südlichen Distrikt Pekings, liegt gerade auf ihrem Schreibtisch: Dort ließ das Straßenkomitee einen Park anlegen. Und erntete nur Kritik. Die Anwohner waren vorher nicht gefragt worden, und nun hatte jeder etwas an dem neuen Park auszusetzen. Für Tian Ling, die im Straßenkomitee für Infrastrukturplanung zuständig ist, war das ein Schock. Sie bat »Shining Stone« um Hilfe. Mit Erfolg. Mittlerweile gibt es in Fengtai einen »anwohnerselbstverwalteten« Supermarkt, eine gemeinnützige Kindertagesstätte, Serviceeinrichtungen für Wanderarbeiter und vieles mehr.

Tian Ling hat jetzt oft Besuch von »höheren Ebenen«. Die kommen, um sich über das »erfolgreiche Experiment« zu informieren. Vielleicht spricht Tian Ling deswegen so ehrfurchtsvoll davon, was sie und ihre Kollegen von »Professorin Song« gelernt hätten. Dabei hat Song Qinghua, worauf sie selbst lachend hinweist, noch nicht mal einen Doktortitel.

Das alles stimmt optimistisch. Wenn es nicht in der Nacht zum 10. November schon wieder geschneit hätte, der Sprecher des Wettermanipulationsamts für Interviews nicht erreichbar war und mehr als 6000 Tonnen Chemikalien eingesetzt werden mussten, um den Verkehr einigermaßen am Laufen zu halten. Die eingangs erwähnte junge Chinesin kam aber trotzdem noch zu spät zur Arbeit.

* Aus: Neues Deutschland, 18. November 2009


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