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Starker Konkurrent, zur Kooperation bereit

Weltmacht oder "nur" weltpolitisches Schwergewicht?

Von Werner Birnstiel *

Harvard-Historiker Niall Ferguson soll Barack Obama bereits im vergangenen Jahr aufgefordert haben, anstelle einer G20-Runde einen G2-Gipfel mit China einzuberufen. So könnten »die beiden Weltmächte« unter sich diskutieren. Anderenfalls werde China wohl bald die G1 sein.

Natürlich spricht allein die schiere Größe dafür, China als Weltmacht zu bezeichnen. Wirtschaftliche Wachstumsdaten liefern ein weiteres Argument. Chinas politische Führung indes scheut den traditionell militärisch-machtpolitisch besetzten Begriff »Weltmacht«. Ihre Forderung für die Welt des 21. Jahrhunderts lautet »Multipolarität«. Auf der Basis »gegenseitigen Respekts« müssten die Großen zusammenarbeiten und den ärmeren Regionen der Welt Hilfe leisten. Vor allem seit 1994 vertritt Peking diese These, die auf der Erkenntnis beruht, dass sich seit dem Zusammenbruch des »sozialistischen Lagers« 1989 und dem daraus resultierenden Ende des Ost-West-Konflikts in seiner früheren Form ein grundlegend verändertes globales Beziehungsgefüge herausgebildet hat.

China ist sich seiner eigenen wachsenden Rolle in diesem Gefüge durchaus bewusst. Chinesische Politiker treten auf der Weltbühne nicht mehr so zurückhaltend wie noch vor Jahren auf. Mal verlautet aus Peking, man wolle den Dollar als Leitwährung ablösen, ein anderes Mal erklärt man den westlastigen G8-Klub für unzeitgemäß. Eine effektivere Plattform für die internationale Gemeinschaft seien die G20. »Die Weltregierung wird bunter«, hieß es daraufhin in Kommentaren.

Zentrales Anliegen chinesischer Politik in solchen internationalen Gremien ist die Förderung der eigenen Wirtschaftskraft. Wohl betrachtet man die hinreichende militärische Stärke, auch als Nuklearmacht, als Voraussetzung nationaler Unantastbarkeit, aber auf ein Wettrüsten will man sich nicht einlassen. Der Kollaps der Sowjetunion und die derzeitige Schwäche der USA – hört man in Peking – seien in wesentlichem Maße ihrer militärischen Überrüstung und der damit verbundenen Rolle ihrer militärisch-industriellen Komplexe in Politik, Wirtschaft und Finanzen geschuldet.

Chinas Führung sieht sich in dieser Auffassung dadurch bestätigt, dass es ihr trotz angeblich globaler Finanz- und Wirtschaftskrise auch 2009 gelingt, ein respektables Wirtschaftswachstum zu organisieren. Erwartet werden wiederum 9 Prozent. Ein 586 Milliarden Dollar schweres Antikrisenprogramm der chinesischen Regierung, das direkt der Wirtschaft zugutekommt, erwies sich als wirksam. Dadurch sei das Lebensniveau im Inneren weiter gewachsen und die soziale Stabilität sei gesichert worden. Und schließlich leiste man sogar greifbare Beiträge zur weltweiten ökonomischen Erholung. Tatsächlich setzen selbst Experten im Westen einige Hoffnung darauf, dass China – indem es seinen inneren Verbrauch entwickelt – zur Lokomotive wird, die andere Länder aus der Krise zieht. Die deutschen China-Exporte etwa haben gerade ein neues Rekordniveau erreicht.

Gegenwärtig unterhält China diplomatische Beziehungen zu 171 Staaten. Freilich haben diese Beziehungen unterschiedlichen Stellenwert. Am wichtigsten ist Peking ohne Zweifel das Verhältnis zu den USA. Ungeachtet etlicher Konflikte in Wirtschafts- und Finanzfragen, ungeachtet auch sicherheitspolitischer Kontroversen wegen US-amerikanischer Waffenlieferungen an Taiwan hat sich dieses Verhältnis seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1979 entwickelt. Heute heißt es, beide Staaten seien dabei, umfassende kooperative Beziehungen aufzubauen, die auf einem weit reichenden »strategischen und ökonomischen Dialogmechanismus« basieren.

Parallel dazu wird den Beziehungen zu Russland höchste Wertigkeit zugemessen. In Gestalt der Sowjetunion einst »Großer Bruder«, später Hauptrivale, gilt Russland heute als strategischer Partner, mit dem ein »anhaltend vertieftes Miteinander auf hohem Niveau« gepflegt werde. Zudem kooperiert man sowohl im Rahmen des Forums der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) als auch in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ – China, Russland und die Staaten Zentralasiens).

Als »strategischer Partner« gilt aber auch die EU, und »strategische Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil« unterhält Peking mit Japan. China ist mittlerweile der größte Handelspartner sowohl Japans als auch Südkoreas, Indiens und der Mongolei. Was dafür spricht, dass es gelungen ist, die früher oft problematischen Beziehungen zu den Nachbarn – darunter die ASEAN-Staaten – zu verbessern. Wichtig war auch das erste China-Afrika-Kooperationsforum 2006, durch das Peking die Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten auf eine neue Stufe hob, frei von ideologischen Indoktrinierungsversuchen wie in der Mao Zedong-Ära.

Chinesische Politiker erklären ihre Heimat gerne auch heutzutage noch zum Entwicklungsland. Falsch ist das nicht, doch in etlichen Bereichen ist China heute sowohl Entwicklungs- wie auch Schwellenland, und regional hat es sehr wohl das Niveau eines Industriestaats erreicht. Für Chinas Außenpolitik ergeben sich aus dieser Situation etliche Handlungszwänge, die künftig wohl noch nachhaltiger wirken werden. Noch immer – und trotz Familienplanung – nimmt die inzwischen auf 1,34 Milliarden gewachsene Bevölkerungszahl jährlich um 8 Millionen zu. Gleichzeitig wird der Zugriff auf Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und mineralische Rohstoffe immer schwieriger. Zugleich beeinflussen der teilweise verschwenderische Umgang mit Rohstoffen und Energie und die örtlich bedrohliche Umweltverschmutzung die Entwicklungsbedingungen und -möglichkeiten sowohl im eigenen Lande wie auch in seiner Nachbarschaft und weltweit. Für ein stärker qualitatives, ressourcensparendes Wachstum bedarf China wiederum internationaler Kooperation. Die will Peking nicht durch Dominanz als militärische »Weltmacht« erreichen, sondern durch friedliche Wirtschaftspartnerschaft in gleichzeitiger scharfer Konkurrenz zu den anderen Akteuren der »multipolaren Welt«.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Oktober 2009


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