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Chinas Traumhaus im All

Experimente zum Aufbau einer eigenen Weltraumstation beginnen

Von René Heilig *

Der Prototyp eines ersten chinesischen Weltraumlabors namens »Tiangong 1« – zu deutsch »Himmelspalast« – ist (am 29. Sept.) vom Satellitenstartzentrum Jiuquan in der westchinesischen Provinz Gansu erfolgreich ins All befördert worden. Damit ist China nun auch im Weltraum eine Großmacht geworden. Das Land versichert, keine militärischen Ziele dabei zu verfolgen.

Nur rund 30 Stunden vor Beginn des Nationalfeiertags an diesem Sonnabend zählten Millionen Chinesen den Countdown zum Raketenstart am TV-Gerät mit. Im Pekinger Raumfahrtzentrum verfolgte Staats- und Parteichef Hu Jintao den Start des Moduls, das rund 8,5 Tonnen wiegt. Die Nachrichtenagentur Xinhua meldete stolz: »Chinas Traumhaus, der Himmelspalast, ist im All.«

Als vor 62 Jahren die Volksrepublik China gegründet wurde, fragte man sich, wie das Land jemals seine gewaltige Bevölkerung verpflegen und aus dem Analphabetentum retten will. Heute ernährt das Land nicht nur seine Bevölkerung, die sich seitdem auf 1,3397 Milliarden Menschen mehr als verdoppelt hat. Technologisch ist China derzeit dabei, zum dritten Land zu werden, das zwei Raumschiffe im Weltall koppeln kann. Der Chefingenieur des chinesischen bemannten Raumfahrtprojekts, Zhou Jianping, erinnert daran, dass seit dem Beginn des chinesischen Raumfahrtprogramms vor rund zwei Jahrzehnten sechs Taikonauten ins All und wieder sicher zur Erde gebracht worden sind. Gegenüber den »Shenzhou»-Raumkapseln symbolisiere »Tiangong 1« eine neue technologische Qualität, ergänzte Chefingenieur Qi Faren. In den kommenden zwei Jahren soll das Modul mit den Raumschiffen »Shenzhou« 8 bis 10 gekoppelt werden. Mit Ehrgeiz verfolgen die chinesischen Wissenschaftler auch ein Mondflugprogramm. Zwei unbemannte Sonden sind bereits in die Umlaufbahn des Erdtrabanten eingeschwenkt. Hinzu kommen zahlreiche Satelliten in Erdumlaufbahnen.

Experten prognostizieren, dass es ab 2021 eine arbeitsbereite chinesische Raumbasis geben kann. Das wäre ein Jahr nach dem bislang geplanten Aus für die Internationale Raumstation ISS, die derzeit von Russland, den USA sowie einem Dutzend weiterer Länder gemeinsam betrieben wird. In der »Global Times« sagte Pekings Kosmoswissenschaftler Jiao Weixin, dass China mit den USA zum beiderseitigen Nutzen in der Forschung zusammenarbeiten möchte. Das schließe jedoch die Bereitschaft der USA zum Technologietransfer ein. Bei der Planung der ISS waren die Chinesen von den USA ausgegrenzt worden, weil man in Washington befürchtete, dass die aufstrebende Macht in Asien so auch militärisch nutzbare Technologien erhalten könnte.

In der Tat untersteht Chinas Weltraumprogramm dem Kommando der Volksbefreiungsarmee. Doch unmittelbar vor dem Start von »Tiangong 1« hatte das Verteidigungsministerium versichert, dass man mit dem Bau einer eigenen Raumstation keine militärischen Ziele verknüpfe. Man sei gegen Rüstungswettlauf im All und Militarisierung des Weltraums. Gleichwohl hat China in der Vergangenheit mehrfach mit Militärsatelliten experimentiert.

US-Astronaut Leroy Chiao, einst Kommandant der Internationalen Raumstation, sprach sich gegenüber dem chinesischen Rundfunk dafür aus, Peking so bald wie möglich an Bord der ISS zu holen. Derartige Überlegungen haben ihren Grund auch in simplen ökonomischen Überlegungen. Nachdem die US-Raumfähren außer Dienst gestellt worden waren, verfügt die NASA über kein eigenes Transportsystem für bemannte Flüge zur ISS. Pro Platz in einer Sojus-Kapsel berechnet Russland rund 45 Millionen Dollar. Auch die Masse der Fracht wird mit russischen Raketen befördert, die seit Kurzem Qualitätsmängel offenbaren. Da werden Chinas Bemühungen, die Technologie der Annäherung und Kopplung von Raumflugkörpern zu beherrschen, doppelt interessant.

* Aus: neues deutschland, 1. Oktober 2011


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