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Vorgeschobene Kritik

Die USA drängen China, seine Währung aufzuwerten. Der niedrige Wechselkurs soll sogar für das US-Haushaltsdefizit verantwortlich sein. Doch dieses hat andere Ursachen

Von Sebastian Carlens *

Genug ist genug«, polterte US-Präsident Obama Mitte November während der Abschlußpressekonferenz des asiatisch-pazifischen Wirtschaftsforums in Honolulu in Richtung seines chinesischen Amtskollegen Hu Jintao. Wieder einmal beschuldigte Obama die Volksrepublik, den Kurs ihrer Währung Renminbi (RMB) künstlich niedrigzuhalten und sich so Vorteile auf den Weltmärkten zu verschaffen.

Seit nunmehr über zehn Jahren streiten die beide Staaten über die Bindung des RMB an den US-Dollar und eine damit einhergehende Unterbewertung des »Volksgelds«. Im Jahre 1995 beschloß die Regierung Chinas, den Renminbi über ein enges Währungsband an den US-Dollar zu koppeln. Dabei gleicht die chinesische Notenbank, die »People’s Bank of China« (PBC), täglich den Kurs durch Einkäufe der ausländischen Währung aus. Erlaubt sind dabei lediglich Abweichungen von maximal 0,5 Prozent pro Tag. Bis zum Juni 2010 wurde so der Wechselkurs beider Währungen tatsächlich sehr stabil und niedrig gehalten, seitdem findet eine schrittweise, aber spürbare Aufwertung der chinesischen Währung statt: Ein im Oktober 2011 vom Finanzforschungszentrum der Chinesischen Zentralbank veröffentlichter Bericht besagt, daß der RMB seit Juli 2005 gegenüber dem US-Dollar um 30,2 Prozent gestiegen sei. Damals hatte China mit den Reformen seines Währungsmechanismus begonnen.

Innenpolitisches Interesse

Damit reagiert die Volksrepublik einerseits auf politischen Druck der USA, die in immer schrilleren Tönen eine Aufwertung fordern, um ihr Außenhandelsdefizit in den Griff zu bekommen. Andererseits hat China auch ein innenpolitisches Interesse an der Aufwertung. Derer niedriger RMB-Kurs erleichtert zwar chinesische Exporte, da sie dadurch verbilligt werden. Gleichzeitig verteuern sich aber auch die Einfuhren – und das erhöht den Inflationsdruck. Die Geldentwertung ist ein ernstes Problem für die chinesische Gesellschaft: Die steigenden Lebenshaltungskosten treffen vor allem die ärmeren Teile der Bevölkerung. Eine gewisse Aufwertung der Währung liegt also auch im Interesse Chinas: »Wenn wir zulassen, daß der Yuan um drei Prozent im Jahr zum US-Dollar aufwertet, kann das die Importe um 0,3 Prozent ankurbeln, die Exporte um 0,6 Prozent drosseln und den Handelsüberschuß um sechs Prozent senken«, sagte Sheng Songcheng, Chef der Statistikabteilung der chinesischen Notenbank, nach der Lockerung der Dollarbindung im vergangenen Jahr. Auch die Inflation sei dadurch um etwa einen Prozentpunkt gedämpft worden, weil Einfuhren billiger geworden sind. Das harmoniert mit den langfristigen makroökonomischen Planungen der Beijinger Regierung, die sich strukturell von der billigen, auf Exporte ausgelegten Konsumgüterproduktion verabschieden will. Im neuen, 12. Fünfjahrplan der Volksrepublik sind dazu die Rahmenbedingungen definiert. Die fiskalischen Mechanismen stellen einen Teil der Steuerungsmöglichkeiten dar, über den die chinesischen Planer verfügen. Auch eine vorsichtige Erhöhung des Leitzinses sowie das gigantische Konjunkturprogramm der Regierung, das in den letzten Jahren knapp zwei Billionen Euro in die lokale und regionale Entwicklung pumpte, gehören zu diesem Programm. Es war nach der Eskala­tion der Weltwirtschaftskrise aufgelegt worden, um die Folgen eines Export­einbruchs für die chinesischen Produzenten zu dämpfen, ist aber mehr als eine kurzfristige Maßnahme: Langfristig werden makroökonomische Weichenstellungen getroffen, die für die nächsten Jahrzehnte die Geschicke der chinesischen Wirtschaft beeinflussen sollen.

Tieferer Zusammenhang

Das Drängen der USA auf eine rasche und signifikante Aufwertung des RMB verschleiert einen viel tieferen Zusammenhang. Das explodierende Außenhandelsdefizit, für das die VR China verantwortlich gemacht wird, beruht tatsächlich auf der Funktion des US-Dollars als internationaler Reservewährung. Dollardevisen können im Ausland nur angespart werden, wenn sie stetig aus den USA abfließen. Das geschieht, indem die Vereinigten Staaten mehr Waren kaufen, als sie verkaufen. Daher stammt das Handelsdefizit. China stabilisiert das Währungssystem sogar, weil es seine Dollars zurück in die USA bringt und dort in Staatsanleihen investiert.

Die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise auf die Wirtschaft der USA führen zu einem Inflationsdruck auf den Dollar. Dies wiederum gefährdet den Wertbestand der von China gehaltenen US-Anlagen – diese verfallen umso stärker, je massiver die US-Regierung zu einer Inflationspolitik gezwungen ist. Washingtons Behauptungen, der chinesische RMB sei um bis zu 40 Prozent unterbewertet, sind also in erster Linie Propaganda.

Chinas Ausweg aus den Risiken einer US-amerikanischen Inflationspolitik besteht zunächst im Versuch, Währungsreserven liquide zu machen und in andere frei konvertierbare Währungen umzuschichten. Eine weitere Möglichkeit sieht das Land im Versuch, aus dem RMB selbst eine Reservewährung zu machen. Hierzu wird die Regierung in Beijing ausländischen Investoren ab 2012 erlauben, mit dem RMB in China Wertpapiere im Wert von bis zu 20 Milliarden Yuan/RMB (ca. 2,2 Milliarden Euro) zu erwerben. Als Labor für diesen großangelegten Testlauf fungiert derzeit der Finanzplatz Hongkong. Wie attraktiv diese neuen Anleihen werden könnten, beweist der Andrang potentieller Investoren: Volkswagen hat im Mai den Anfang gemacht und als erster ausländischer Hersteller einen Bond in Hongkong platziert.

* Aus: junge Welt, 3. Dezember 2011


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