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Sündenbock gesucht

Vor Kongreßwahlen läßt Washington Währungsstreit mit China eskalieren. Peking reagiert scharf und verweist auf Auftragsproduktion für US-Konzerne

Von Knut Mellenthin *

Nach der Verabschiedung der Anti-Iran-Resolution durch den UN-Sicherheitsrat haben Regierung und Kongreß der USA ihre Polemik gegen die angebliche Unterbewertung der chinesischen Währung sofort wieder aufgenommen. Um die neuen Sanktionen gegen Iran durch den Sicherheitsrat zu bringen, benötigten die USA die Zustimmung oder wenigstens die Enthaltung Chinas, da dieses als eines der fünf ständigen Ratsmitglieder ein Vetorecht besitzt. Finanzminister Timothy Geithner hatte deshalb einen im April fälligen Bericht über Staaten, die angeblich den Wechselkurs ihrer Währung manipulieren, verschoben. Zuvor hatten zahlreiche Abgeordnete und Senatoren Geithner zur Verurteilung Chinas aufgefordert. Senator Charles Schumer (Demokratische Partei) hatte angekündigt, er werde eine entsprechende Gesetzesinitiative starten. Auch diese war zurückgestellt worden, um Chinas Mitwirkung am Sanktionsbeschluß nicht zu gefährden.

»Bestrafung« Chinas

Am Donnerstag vergangener Woche, nur einen Tag nach der Entscheidung im Sicherheitsrat, legte sich Geithner bei einer Anhörung im Finanzausschuß des Senats keine Zurückhaltung mehr auf. »Die Verzerrungen, die vom chinesischen Wechselkurs verursacht werden, breiten sich weit über Chinas Grenzen aus und sind ein Hindernis für die notwendige Rückkehr zu einer ausbalancierten Weltwirtschaft«, behauptete der Minister. Die Opposition setzte sofort nach: »Die Zeit ist längst überfällig für jedes Finanzministerium, öffentlich einzugestehen, was ohnehin jeder weiß: daß China den Wechselkurs seiner Währung manipuliert, um sich unfaire Vorteile im internationalen Handel zu verschaffen«, sagte Senator Charles Grassley als Vertreter der Republikanischen Partei im Ausschuß. Ebenfalls während der Anhörung kündigte Schumer für die nächste Zeit ein Gesetz an, das die »Bestrafung« Chinas durch hohe Zusatzsteuern auf seine Einfuhren regeln soll.

Auf chinesischer Seite führt man diese hektischen Aktivitäten hauptsächlich auf die bevorstehende Wahl im November zurück, bei der ein Drittel der 100 Senatoren und alle 435 Abgeordneten neu bestimmt werden. In dieser Lage pflege man in den USA gewöhnlich zu dem alten Trick zu greifen, alle Übel auf China zu schieben, hieß es am Sonntag in einem Kommentar der Nachrichtenagentur Xinhua. Die Kongreßmitglieder seien »nichts weiter als ein Haufen babyküssender Politiker, die Wähler zu gewinnen versuchen, indem sie die Debatte über den Yuan – die chinesische Währungseinheit – manipulieren«, fuhr der Kommentar in einer seit langem nicht mehr gewohnten Schärfe fort.

Chinesische Politiker und Ökonomen verweisen darauf, daß die umfangreichen Importe aus China in Wirklichkeit nicht schädlich, sondern sehr vorteilhaft für die US-Wirtschaft seien. Rund 56 Prozent der chinesischen Exporte des Jahres 2009 seien schließlich Waren gewesen, die im Auftrag US-amerikanischer und anderer ausländischer Firmen hergestellt wurden. Bei High-Tech-Produkten liege dieser Anteil sogar bei 83 Prozent und im Falle der Ausfuhren in die USA sogar bei 90 Prozent.

US-Konzerne profitieren

Chinesische Ökonomen führen in diesem Zusammenhang gern eine Studie der University of California an, nach der von einem in China hergestellten und exportierten iPod (Apple) im Wert von etwa 300 Dollar nur vier Dollar im Lande bleiben, während die westlichen Konzerne den Löwenanteil kassierten. Chinas Regierungschef Wen Jibao machte während einer Pressekonferenz am Sonntag darauf aufmerksam, daß das von den USA beklagte große Defizit im Handel mit China weitaus geringer sein könnte, wenn Washington mehr High-Tech-Exporte nach China zulassen würde. Das werde indessen durch Exportkontrollregelungen, deren letzte 2007 erlassen wurden, verhindert. Im Jahr 2001 seien noch 18,3 Prozent der chinesischen High-Tech-Importe aus den USA gekommen, sagte Wen, während es 2008 nur noch acht Prozent gewesen seien.

China rechnet im laufenden Jahr mit einer negativen Handelsbilanz. Ursache dafür ist unter anderem der Absturz des Euro-Kurses. In dieser Situation ist mit einer bedeutenden Aufwertung des Yuan nicht zu rechnen.

* Aus: junge Welt, 15. Juni 2010


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