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China und die USA

Absonderlichkeiten im strategischen Verhältnis zwischen der Weltmacht Nr. 1 und dem chinesischen Drachen

Von Erhard Crome *

Zu Ostern war den gehobenen Schichten in Deutschland in ihrem Zentralorgan ein Artikel von John McCain, dem Kandidaten der Republikaner für die US-Präsidentschaft, offeriert worden. Darin forderte er "Europa" auf, gemeinsam mit den USA eine "Führungsrolle" in der Welt zu übernehmen. Rußland, das für ihn offenbar nicht zu Europa zählt, wurde als Gegner identifiziert, China unter die zu Führenden eingeordnet (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. März 2008). Als außenpolitischer Berater des Barack Obama, der gern Präsidentschaftskandidat der Demokraten sein möchte, figuriert der altbekannte Zbigniew Brzezinski. Er organisierte einst die Niederlage der Sowjetunion in Afghanistan und gilt mit 79 Jahren noch immer als einer der Vordenker US-amerikanischer Außenpolitik. Er schrieb bereits vor zehn Jahren, in seinem damals vielgelesenen Buch über die USA als "die einzige Weltmacht", daß die globale Vormachtstellung der USA wesentlich davon abhängt, inwieweit es ihnen gelingt, "mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent" fertig zu werden und das Aufkommen einer dominierenden Macht dort zu verhindern. Umgekehrt betrachtet er China mittelfristig als nur regionale Macht, dessen weitere Entwicklung wesentlich von der "Präsenz" der USA abhängt. Mit anderen Worten: China und seine Entwicklung entscheiden in erheblichem Maße darüber, inwieweit die USA -- und mit ihnen die Welt des weißen Mannes im nordatlantischen Raum -- auch künftighin die Welt dominieren. Die immer wieder aufkommenden oder herbeigeführten Spannungen im westlich-chinesischen Verhältnis haben diese Grundierung, was auch immer die jeweils geschlagenen Volten in den Argumentationsfiguren sind.

Dabei sind die derzeitigen strategischen Ausgangspunkte durchaus unterschiedlich. Seit 2006 liegen die weltweiten Rüstungsausgaben wieder über 1200 Milliarden US-Dollar; das war gewissermaßen die Schallmauer am Ende des Kalten Krieges, von dessen Ende sich viele Menschen in der ganzen Welt eine Reduzierung der Rüstungslasten erwarteten. Das Gegenteil ist am Ende eingetreten. Von diesen weltweiten Ausgaben entfällt fast die Hälfte auf die USA. Für das Haushaltsjahr 2008 hat die Bush-Regierung eine neuerliche Erhöhung der Militärausgaben vorgesehen, auf nun 647 Milliarden Dollar. Das ist eine Verdopplung seit 2001. Weltweit sind die Militärausgaben in dieser Zeit um über 25 Prozent gestiegen. Weitere zwanzig Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben entfallen auf die anderen NATO-Länder (das heißt die NATO ohne die USA), was praktisch bedeutet, daß die NATO-Staaten für etwa zwei Drittel der Rüstungsausgaben in der Welt verantwortlich sind. Der Militärhaushalt Chinas steigt ebenfalls, macht jedoch nur etwa fünf Prozent der Rüstungsausgaben in der Welt aus. Es erhöhte seine Rüstungsausgaben von 26,1 Milliarden US-Dollar im Jahre 2001 auf etwa 66 Milliarden in diesem Jahr. Dabei will es China vermeiden, sich auf ein Wettrüsten mit den USA einzulassen, wie es während des Kalten Krieges die Sowjetunion ruinierte. Doch China verfügt über nuklearstrategische Waffensysteme, die auch die USA erreichen können. Die Fähigkeit, bemannte Weltraumfahrzeuge auf eine Erdumlaufbahn zu bringen, verweist ebenfalls auf eine strategische Parität, die während des Ost-West-Konflikts "atomares Patt" genannt wurde.

Von den oben genannten 647 Milliarden Dollar für militärische Zwecke der USA sind 146,5 Milliarden für den "Krieg gegen den Terror", also die fortgesetzte Besetzung des Iraks und Afghanistans, allein im Jahre 2008 vorgesehen. Als der Krieg vor fünf Jahren begonnen wurde, behauptete der damals für das Militär zuständige Minister Rumsfeld, die Kosten der Operation würden 50 Milliarden Dollar betragen. Sie werden um das Sechzigfache höher liegen und, allein für die USA, mit allen Folgekosten etwa drei Billionen Dollar betragen; der Rest der Welt zahlt nochmals die gleiche Summe drauf. Das hat Joseph Stiglitz, Träger des Nobelpreises für Wirtschaft 2001 und ehemals Chefökonom der Weltbank, in seinem neuen Buch über die Kosten des Irak-Krieges geschrieben, das derzeit auf den Markt kommt (The Tree Trillion Dollar War). Es ist der zweitlängste Krieg der USA nach dem Vietnamkrieg und der zweitteuerste nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit den drei Billionen Dollar hätte man acht Millionen Einfamilienhäuser in den USA bauen können -- in diesem Sektor brach bekanntlich die Kreditkrise in den USA aus. Die Hochrüstung und Kriegsführung der USA wurden mit einem Berg an Schulden erkauft. Die Auslandsschulden liegen bei über acht Billionen Dollar. Die US-Leistungsbilanz schloß 2006 mit einem Rekord-Defizit von 811 Milliarden Dollar ab.

China hat handelspolitisch 2007 die USA vom zweiten Platz verdrängt und wird voraussichtlich 2008 Deutschland als "Exportweltmeister" ablösen. Dabei beruhen die chinesischen Exporte nur in unwesentlichem Maße auf Billigprodukten; China ist bereits jetzt der größte Lieferant von elektronischen und elektrotechnischen Erzeugnissen weltweit. Die Auslandsguthaben Chinas liegen derzeit bei etwa 1500 Milliarden US-Dollar. Aber sie sind zumeist in Dollar angelegt, d.h. China ist von dem westlich dominierten internationalen Finanzsystem abhängig. Wenn der US-Dollar nun zehn Prozent an Wert verliert, hat China 150 Milliarden verloren -- das ist mehr als der Wert des chinesischen Exportüberschusses von einem Jahr. Sollen die Verantwortlichen in Peking nun weiter den Dollar stützen, wie bisher, oder doch größere Devisenmengen in Euro tauschen, und damit zum weiteren Wertverlust des Dollars beitragen -- und damit zum eigenen Verlust?

Zwischen beiden Staaten bestehen im strategischen Verhältnis eigenartige Absonderlichkeiten. China ist der wohl größte Gläubiger der USA, kann diese Schulden aber nicht wirksam in Bezug auf die USA nutzbar machen. Diese verfügen über das gewaltigste Militärpotential der Welt, können es aber nicht gegen Chinas Wirtschaftsmacht einsetzen. So bleibt die geopolitische Ebene der Auseinandersetzung in ihren verschiedenen Facetten. China hat begonnen, gute Beziehungen zu Ländern auf dem amerikanischen Kontinent zu entwickeln. Diese haben jedoch keine gegen die USA gerichtete politische Richtung. Die USA dagegen verfügen über verschiedene strategische "Möglichkeiten" in der Umgebung Chinas. Da ist die Frage, ob Taiwan unabhängig werden soll oder nicht -- damit kann in Ostasien von einem Tag auf den anderen eine höchst angespannte Lage entstehen. Da ist das Thema Tibet, mit dem man gleichsam auf Zuruf Spannungen für China schaffen kann. Da sind islamistische Terrorgruppen in Westchina, was zur Folge hat, daß die Verschlechterung der Beziehungen der USA zur islamischen Welt im Gefolge der Kriege in Irak und Afghanistan nicht notwendig zu einer Verbesserung der Beziehungen Chinas zu dieser führt. Und da sind schließlich noch die Ambitionen Japans in Bezug auf Militär und Atomwaffen.

In Washington kann je nach Kalkül an Fäden gezogen werden, während in Peking nur reagiert werden kann, nicht umgekehrt. Das wissen diejenigen, die sich derzeit anheischig machen, ins Weiße Haus einzuziehen. Und es wird sich mit dem Wechsel von Bush weg nicht ändern.

* Erschienen in: Das Blättchen, Berlin, No. 8 vom 14. April 2008


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