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China baut kräftig um

Privatisierung und Kampf gegen Korruption: Neue Partei- und Staatsführung will bei kommendem ZK-Plenum Weichen für die Zukunft stellen

Von Wolfgang Pomrehn *

Die Volksrepublik China steht offenbar vor einer neuen großen Runde einschneidender ökonomischer Veränderungen. Vom Ende dieser Woche beginnenden Plenum des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei (KP) wird erwartet, daß es den Weg frei machen wird für den Umbau der großen staatseigenen Betriebe. Außerdem sollen von diesem bisher monopolisierte Bereiche für privates Kapital geöffnet werden. Der neue Premierminister Li Keqiang hatte in diesem Zusammenhang in den zurückliegenden Monaten unter anderem das Bankwesen, die Telekommunikation, die Strom-, Öl- und Gasversorgung, den Eisenbahnsektor sowie die Ausbeutung von Bodenschätzen genannt.

Schließlich sollen die privaten Unternehmen, die bereits jetzt einen erheblichen Anteil an Chinas Wirtschaftsleistung haben, die gleichen Bedingungen wie die staatlichen Betriebe erhalten. Dies wird insbesondere auch Auswirkung auf das Bankenwesen zeitigen. Bisher folgt die Kreditvergabe von der lokalen Ebene bis zu Großprojekten noch immer vor allem politischen Vorgaben. Öffentliche Unternehmen kommen daher wesentlich einfacher an Geld, als private. Letztere sind deshalb nicht selten darauf angewiesen, sich auf einem grauen Markt mit liquiden Mitteln zu versorgen.

Einer wird auf dem ZK-Plenum nächste Woche fehlen: Jiang Jiemin. Ein Vorgang, der die großen Probleme und Widerstände deutlich machen wird, auf die die Neuerungen stoßen. Jiang war bis vor kurzem Chef der China National Petroleum Company (CNPC), einer Gesellschaft, die zu den größten Energiekonzernen der Welt gehört. CNPC hat rund 1,6 Millionen Beschäftigte, und deren Tochter PetroChina rangiert auf Platz neun der Forbes-100-Liste der weltweit größten Konzerne. Im März war Jiang die Karriereleiter weiter nach oben gestolpert und wurde zum Vorsitzenden der Kommission für die Verwaltung und Überwachung des Staatsvermögens (State Assets Supervision and Administration Commission SASAC) ernannt. Damit war er oberster Aufseher über die rund 110 großen staatseigenen Konzerne, die der Zentralregierung unterstehen. Daneben gibt es weitere, die den Provinzen gehören und zahlreiche Betriebe, die sich im Besitz von Städten und Landkreisen befinden.

Am 1. September folgte dann der jähe Sturz: Jiang wurde unter dem Vorwurf »schwerer Disziplinarvergehen« festgenommen, ein Synonym, das meist für Korruption und Machtmißbrauch verwendet wird. Kurz zuvor waren schon mit ähnlichen Vorwürfen vier ehemalige Untergebene des Spitzenfunktionärs aus dem hohen CNPC-Management verhaftet worden. Nach Jiangs Entfernung aus dem Chefsessel erklärte sein Stellvertreter Zhang Yi, daß die von der SASAC kontrollierten Konzerne »mit aller Kraft Strukturanpassung und Transformation« angehen und »die Überwachung des Staatsvermögens weiter verstärken« sollten. Zhangs Worte bekommen besonderes Gewicht dadurch, daß er ein früherer hochrangiger Mitarbeiter der Disziplinarkommission des ZK der KP ist. Offenbar sind die Verhaftungen im Management des Ölriesen erst der Anfang gewesen. Premierminister Li hatte bereits vor einigen Monaten CNPC neben Sinopec und Chinese National Offshore Oil Corporation (zwei weitere heimische Energiegiganten), China Telecom und China Mobile als jene fünf staatlichen Konglomerate benannt, die am gründlichsten reformiert werden müßten. »Wenn wir diese Unternehmen nicht umstrukturieren und wesentliche Veränderungen vornehmen, könnte es schwere Konsequenzen haben, für die keiner gerne die Verantwortung übernehmen würde«, wird er von dem Internetmagazin Asia Times Online zitiert.

Die interessante Frage ist, wie weit diese Umstrukturierung tatsächlich durchgesetzt werden kann, und wie weit sich Premierminister Li und Präsident Xi Jinping, der zugleich KP-Vorsitzender ist, im ZK mit ihren Privatisierungsplänen durchsetzen werden können. Zahlreiche Mitglieder des Zentralkomitees sind entweder ehemalige Chefs großer Staatskonzerne oder stammen aus deren oberem Management. In diesem Zusammenhang sind die Verhaftungen, die offiziell als Teil der Kampagne gegen Korruption gelten, sicherlich auch Ausdruck der innerparteilichen Auseinandersetzung. Davon abgesehen, können die Korruptionsvorwürfe gegen Jiang natürlich trotzdem begründet sein. Sollten sich Lis Vorstellungen durchsetzen, dann wird vermutlich noch mancher seinen Managementposten verlieren. Entsprechend groß dürften die Widerstände im Partei- und Staatsapparat sein.

Eine andere Frage ist, was das alles für die Beschäftigten bedeutet. Die erste große Welle von Schließungen und Umstrukturierungen der staatlichen Betriebe kostete in der zweiten Hälfte der 90er Jahre Millionen städtischer Beschäftigter den Arbeitsplatz und einer ähnlich großen Gruppe an Pensionären die Rentenansprüche. Viele fanden sich nach Jahrzehnten einer rundum geregelten Versorgung auf einmal auf der Straße wieder und mußten ihre Arbeitskraft auf dem Markt anbieten. Ein Schicksal, das sie mit einer wesentlich größeren Gruppe bäuerlicher Wanderarbeiter teilen. Gegenüber diesen hatten und haben sie allerdings noch immer den Vorteil, in den Städten ein dauerhaftes Niederlassungsrecht zu besitzen. Aber damit ist ein anderes großes Problem angesprochen, welches die chinesische Gesellschaft in den nächsten Jahren lösen muß.

* Aus: junge Welt, Montag, 4. November 2013


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