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"Wir wollen nichts als Frieden"

Das uigurische Problem – von Shanghai aus gesehen

Von Roland Etzel, Shanghai *

Die Unruhen in der nordwestchinesischen Region Xinjiang sind auch dem Besucher im weit entfernten Shanghai nicht verborgen geblieben. Man erfuhr, was passiert war – sofern man sich dafür interessierte. Große Emotionen, wie vor einem Jahr bei den Unruhen in Tibet, scheinen die Ereignisse jedoch in der Bevölkerung nicht ausgelöst zu haben.

Shanghai, vielleicht die sich derzeit am schnellsten entwickelnde Millionenstadt der Welt, verfügt über mehr als ein Dutzend lokale Fernseh- und ebenso viele Rundfunksender, dazu nationale Programme, ausländische, zumeist englischsprachige Kanäle, und wer's braucht, kann sogar Deutsche Welle TV in Deutsch zu sich nehmen. Ein Defizit an schnellen Informationsmöglichkeiten existiert nicht. Und tatsächlich gab es auf allen Sendern am Montag und Dienstag diverse Bildberichte: auf der Straße liegende blutende Menschen, brennende Busse und umgestürzte Polizeiautos in Xinjiang.

Das ist deshalb erwähnenswert, weil sich Vergleiche mit den Ereignissen von 2008 in Tibet aufdrängen – was den Anlass der Unruhen und die politischen Forderungen der Demonstranten, aber auch die öffentliche Wahrnehmung betrifft. Auch diesmal ist der Brandherd die Provinz einer nationalen Minderheit, in dem Fall der Uiguren. Aber: Als damals, im Vorfeld der Olympischen Spiele, Anhänger des exilierten religiösen Oberhaupts Tibets, des Dalai Lama, Unruhen auslösten, um die internationale Medienöffentlichkeit für sich zu nutzen, tat sich die Pekinger Zentralregierung schwer, mit den Fakten umzugehen. Man reagierte spät, ratlos wirkend, ängstlich und im Ganzen wenig souverän.

Das war dieses Mal merklich anders. Obwohl Peking kaum darauf vorbereitet sein konnte, reagierte die Führung schnell und beinahe geschäftsmäßig. Die detaillierte Wiedergebe des Geschehens im Uigurenland auch einen Tag später in den Blättern kommt für chinesische Verhältnisse schon einer Medienoffensive gleich.

Dieser Eindruck ist gewollt. Lokale Vertreter der Kommunistischen Partei Chinas in Shanghai erklärten im Gespräch, dass die Partei den zunächst »defensiven Umgang mit den politischen Provokationen der Dalai-Lama-Clique als Fehler erkannt« habe. Dies sei im Ausland als Zeichen von Schwäche gedeutet worden und sollte sich daher nicht wiederholen. Man habe verstanden, dass die Mentalität beim Umgang mit politischen Nachrichten zum Beispiel in Westeuropa eine ganz andere sei als in China. Dass die nicht unbedingt als erstrebenswert betrachtet wird, schwingt dabei mit. Dessen ungeachtet gab es diese Woche gleich eine ganze Reihe internationaler Pressekonferenzen zu den Vorfällen, bei denen auch Uiguren ausführlich zu Wort kamen.

Im laut deutschen Reiseführern beliebtesten uigurischen Restaurant Shanghais war die Stimmung am Dienstagabend alles andere als gedrückt. Das heimatliche Bier floss in Strömen, es wurde getafelt, gesungen und getanzt, wie es auch an anderen Tagen kaum ausgelassener sein könnte. Alle Versuche, die Meinung der Gastgeber zu erkunden, wurden nicht nur durch die Sprachbarriere begrenzt. Große Lust, sich darüber zu verbreiten, hatten sie offensichtlich nicht. Dahinter Angst zu vermuten, ist abwegig, musste man sich doch angesichts der Geräuschkulisse jedes Wort drei Mal ins Ohr brüllen, um es ein Mal zu verstehen. Die Quintessenz dessen, was mir einer der uigurischen Musiker sagte, lautet etwa so: Wir sind sehr traurig, über das, was da passiert ist, und wollen, dass schnell Frieden eintritt zwischen allen. Sonst nichts.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2009


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