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China: Schwere Unruhen im Uiguren-Gebiet

Mehr als 140 Tote / Peking: "Separatisten im Ausland" haben Krawalle angezettelt

Die Nachrichtenlage ist - wie so oft, wenn es um kritische Ereignisse in China geht - extrem unzulänglich. So sind denn auch die Berichte in den hiesigen Blättern mit Vorsicht zu genießen. Fest steht, dass in der überwiegend von Uiguren bewohnten Autonomen Provinz Xinjiang viele Demonstranten bei Zusammenstößen mit der chinesischen Polizei ums Leben kamen und Hunderte verhaftet wurden. Unklar ist, inwieweit es sich bei den Unruhen um ein sezessionistisches Aufbegehren gegen den chinesischen Zentralstaat oder um überwiegend soziale Auseinandersetzungen handelt.
Wir dokumentieren im Folgenden einige Pressestimmen.



Unruhen im chinesischen Uiguren-Gebiet

Mindestens 140 Menschen sind bei schweren Unruhen am Sonntag (5. Juli) im Nordwesten Chinas ums Leben gekommen. Bei den »Krawallen«, so ein Regierungssprecher am Montag, im von muslimischen Uiguren bewohnten Autonomen Gebiet Xinjiang gab es zudem 800 Verletzte. »Separatisten im Ausland« hätten die Proteste »angezettelt«, hieß es in einer Erklärung der Provinzregierung. Erste Untersuchungen hätten ergeben, daß der Uigurische Weltkongreß unter Führung seiner im US-Exil lebenden Präsidentin Rebiya Kadeer dahinter stecke.

Das chinesische Staatsfernsehen CCTV strahlte am Montag (6. Juli) dramatische Bilder von den Protesten in der Provinzhauptstadt Ürümqi vom Vortag aus, die blutende Zivilisten und brennende Fahrzeuge zeigten. Der amtlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge wurden Hunderte Menschen festgenommen, darunter mehr als zehn Anführer der Proteste. Die in China vorherrschenden Han-Chinesen warfen den Uiguren vor, die Ausschreitungen provoziert zu haben. Die Uiguren hätten Motorradfahrer mit Steinen beworfen, Autos umgestürzt und in Brand gesetzt, sagte eine Han-Chinesin laut AFP, die die Proteste vom Fenster eines Krankenhauses beobachtete.

Nur Bekri, Xinjiangs Provinzchef, äußerte, die Regierung habe »seit vielen Jahren« erklärt, »daß sie gegen den ethnischen Separatismus und illegale religiöse Aktivitäten« sei. Die Auseinandersetzungen seien schwer erklärbar, »da alles blühe, alle Ethnien einträchtig und solidarisch miteinander lebten«.

Von seiten der Demonstranten in Xinjiang lagen am Montag (6. Juli) keine Äußerungen vor. Nachrichtenagenturen berichteten, daß die Menschen »nach eigenen Angaben zunächst friedlich« (AFP) demonstriert und »Aufklärung über den Tod zweier uigurischer Fabrikarbeiter« gefordert hätten. Dann hätten etwa tausend chinesische Sicherheitskräfte das Feuer eröffnet und »willkürlich auf die rund 3000 Demonstranten geschossen«, wird Alim Seytoff, Generalsekretär der in Washington ansässigen Uighur American Association, zitiert.(AFP/AP/jW)

* Aus: junge Welt, 7. Juli 2009


Umstrittene "Mutter der Uiguren"

Rebiya Kadeer gilt den chinesischen Behörden als Staatsfeindin **

Sie nennt sich »Tochter des uigurischen Volkes« und wird von vielen Landsleuten als »Mutter der Uiguren« zutiefst verehrt. Für die chinesische Führung ist die zierliche Frau mit den Zöpfen unter der Samtkappe eine »Separatistin« und »Terroristin«, ohne Mandat, für die Minderheit in der abgelegenen Region Xinjiang zu sprechen: Rebiya Kadeer, seit November Präsidentin des 2006 neu gegründeten Uigurischen Weltkongresses (WUC), der von München aus agiert.

Kadeer lebt in Washington und trägt auch im Exil die traditionelle Kleidung ihres Volkes. Ihre ins Deutsche übersetzte Autobiografie trägt den Titel »Die Himmelsstürmerin: Chinas Staatsfeindin Nr. 1«. Jetzt hat sie Vorwürfe Pekings zurückgewiesen, die Drahtzieherin der Unruhen im Westen Chinas zu sein. In der Asien-Ausgabe des »Wall Street Journal« verurteilte sie am Mittwoch mit Nachdruck jegliche Gewalt aufseiten der uigurischen Demonstranten wie der chinesischen Sicherheitskräfte.

Die wahre Ursache für die Unruhen sieht die 62-Jährige in der jahrelangen Unterdrückung der Uiguren durch die Han-Chinesen. Ihre Landsleute lebten wie »in einem großen Gefängnis und sind Opfer eines kulturellen Völkermords«, so ihr schwerer Vorwurf. Auch sie wurde im August 1999 verhaftet und zwölf Monate später zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Staatsgeheimnisse ans Ausland preisgegeben habe, so die Anklage. Die gläubige Muslimin allerdings will lediglich Informationen zur Verfolgung der Uiguren über US-amerikanische Abgeordnete an ihren Mann im USA-Exil geschickt haben.

Zuvor hat die in einer armen Familie im Altai-Gebirge geborene Kadeer allerdings als Geschäftsfrau mit einer bemerkenswerten Karriere für Schlagzeilen gesorgt. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann machte sie sich als Besitzerin einer Wäscherei in Aksu im Süden Xinjiangs selbstständig. Ihr Aufstieg nach Gründung eines Handelshauses in der Provinzhauptstadt Ürümqi brachte ihr Millionen ein. Sie war Mitglied der Kommunistischen Partei, wurde Vorsitzende der Handelskammer von Xinjiang, repräsentierte ihre Provinz als Abgeordnete im Pekinger Volkskongress und nahm 1995 als offizielle Vertreterin an der internationalen Frauenkonferenz in Peking teil.

Doch mit wachsender Kritik an den Zuständen in ihrer Heimat fiel sie in politische Ungnade. Und als ihr zweiter Mann, der Menschenrechtsaktivist Sidik Rouzi, in die USA floh, wurde sie endgültig unter Beobachtung gestellt und landete schließlich hinter Gittern. Im März 2004 wurde die Strafe aufgrund guter Führung um ein Jahr verkürzt, die elffache Mutter im folgenden Jahr aus gesundheitlichen Gründen ganz entlassen. Doch sie musste in die USA ausreisen. Ihr Sohn Ablikim Abdiriyim wurde vor zwei Jahren zu Hause wegen »sezessionistischer« Aktivitäten verurteilt, zwei weitere Söhne erhielten Haftstrafen wegen angeblicher Steuerhinterziehung; eine Tochter wurde unter Hausarrest gestellt. Sta

** Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2009


Pekings Formel

Von Olaf Standke ***

Fehlende Transparenz lässt sich den chinesischen Behörden dieses Mal schwerer vorwerfen. So wurden gestern ausländische Journalisten Augenzeugen der fortgesetzten Proteste in der autonomen Region Xinjiang. Und auch über den Anlass der blutigen Ausschreitungen zuvor hatten einheimische Medien berichtet. Nur erklärt der Verdacht schleppender Aufklärung des Todes zweier Uiguren die Gewalteskalation so wenig hinreichend wie der Vorwurf Pekings, hinter ihr steckten Exil-Uiguren in den USA, die ihren Traum vom eigenen Staat mit terroristischen Mitteln verwirklichen wollen.

Peking regiert die strategisch wichtige, rohstoffreiche Region mit Grenzen zu Russland, Pakistan, Afghanistan und Indien keineswegs allein mit Härte. Es fließt durchaus viel Geld, die uigurische Minderheit genießt in Fragen wie der Ein-Kind-Politik oder beim Hochschulzugang sogar gewisse Privilegien. Aber mehr noch fühlen sich viele Angehörige des muslimischen Turkvolkes im Alltag entfremdet, entmündigt und diskriminiert, nicht nur mit Blick auf die Religionsausübung. Viele Han-Chinesen, oft eingewandert, haben dafür wiederum kein Verständnis, ganz zu schweigen von den Hunderten Bombenanschlägen separatistischer Extremisten. Als im Vorjahr die Olympische Fackel schwer bewacht durch das Gebiet getragen wurde, stand auf einem Militärfahrzeug: »Stabilität bedeutet Glück, Chaos eine Katastrophe.« Eine Pekinger Formel, die in Xinjiang nur im zweiten Teil aufgeht.

*** Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2009

Lage in Xinjiang »im allgemeinen« beruhigt

Die Ordnung in der Stadt Ürümqi sei »im allgemeinen« wiederhergestellt. Das erklärte die Regierung in der Hauptstadt des nordwestchinesischen Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Der Regionalsekretär der Kommunistischen Partei in der muslimisch geprägten Provinz, Li Zhi, gab bekannt, daß alle während der Unruhen am Sonntag verletzten Bürger in Krankenhäusern »gut betreut« worden seien. Die zerstörte Infrastruktur werde wieder hergestellt.

Die Gewalt in Xinjiang habe 156 Menschenleben gefordert, mindestens 1080 Menschen seien verletzt worden, sagte Liu Yaohua, der Polizeichef des Gebiets. »Saboteure«, so Liu, hätten zudem 261 Fahrzeuge in Brand gesetzt, darunter 190 Busse, mindestens zehn Taxis und zwei Polizeiwagen. Erste Untersuchungen ergaben, daß 203 Geschäfte und 14 Häuser bei den Ausschreitungen zerstört wurden. Nach behördlichen Angaben wurden »mehrere hundert Personen« verhaftet, bürgerliche Agenturen berichteten von »mehr als 1400 Personen«. Trotz einer nächtlichen Ausgangssperre sei es zu ethnischen Auseindersetzungen zwischen Uiguren und Han-Chinesen gekommen. Eine Gruppe von Uiguren griff, so AFP, am Bahnhof von Ürümqi Passanten an, in einem anderen Stadtteil lieferten sich 200 zumeist weibliche Demonstranten ein Handgemenge mit der Polizei.

Das chinesische Internetportal german.china.org berichtete, daß die »Sicherheitsvorkehrungen in den Straßen im Stadtzentrum von Ürümqi und an wichtigen Institutionen, wie Elektrizitäts- und Gasunternehmen oder Fernsehstationen, verstärkt« worden seien.

Am Dienstag (7. Juli) zeigten sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay »besorgt« über die Lage in Xinjiang. Merkel werde die »Proteste der muslimischen Uiguren« in einem Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao am Rande des G-8-Gipfels im italienischen L’Aquila ansprechen, hieß es »aus Regierungskreisen« in Berlin. (AFP/jW)

Aus: junge Welt, 8. Juli 2009




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