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Rohstoffhunger in der Tiefsee

Mit ihrer Tauchsonde Jiaolong wollen die Chinesen im Wettstreit um Meeresbodenschätze aufholen

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Russische Forscher sorgten 2007 für Kopfschütteln, als sie in 4200 Meter Tiefe direkt unter dem Nordpol eine russische Nationalflagge in den Meeresboden steckten - was Moskau gleich als Abstecken seiner Territorialansprüche in einem Gebiet bezeichnete, das reich an Bodenschätzen wie arktischem Öl sein soll. Das hat auch die Chinesen auf den Plan gerufen. Diesen Sommer erreichte eine kleine chinesische Unterseekapsel mit drei Wissenschaftern an Bord eine Tiefe von über 3200 Metern, wo auch die Chinesen ihre Nationalfahne im Meeresboden hinterließen. Entworfen ist die nach einem mythischen Meeresdrachen benannte Tauchsonde Jiaolong für Tiefgänge bis zu sieben Kilometern - tiefer als jede andere derzeit operierende Tauchsonde der Welt.

Nach einem Bericht der China Daily gibt diese Tauchtiefe Zugriff auf 99,8 Prozent des Meeresgrundes, der wegen der Extrembedingungen unerforschter ist als das Weltall. Raumsonden stoßen in immer neue Ebenen unseres Sonnensystems vor, doch noch heute beherrscht keine Nation die Technologie, in der ewigen Dunkelheit und dem extremen Druck der tiefen Ozeane zu arbeiten - mit dem Fernziel, gigantische Vorkommen an fossilen Brennstoffen, Metallen und Mineralien auszubeuten.

Geologen zufolge schlummern in den Tiefen der Weltmeere Bodenschätze im Wert von Aberbillionen US-Dollar. Kommerzielle Ausbeutung bleibt Zukunftsmusik, doch die Großmächte dieser Welt beeilen sich, riesige Gebiete in diesen extremen Tiefen zu beanspruchen.

In diesem Sommer steckten Pekings Forscher im Südchinesischen Meer die Nationalflagge in den Ozeanboden - ausgerechnet in einem Gebiet, wo auch die wilden Spratly- und Paracel-Inseln liegen, die gleich von mehreren Nachbarn beansprucht werden.

Es war eine Geheimoperation. Erst jetzt veröffentlichte Peking ein propagandistisches Video der Expedition mit Aufnahmen, wie ein Roboterarm die rote Flagge mit den fünf Sternen in den weichen Sandboden einführt. Eine »großartige Leistung«, so Programmdirektor Liu Feng in der China Daily.

Derzeit führen die Japaner das Wettrennen um Tauchen in Extremtiefen an. Die Unterseesonde Shinkai 6500 erreicht 6,5 Kilometer und hängt damit die einst führenden Russen, Franzosen und auch Amerikaner ab. Chinas Jiaolong will 2012 seine Maximaltiefe von 7000 Metern erreichen.

Für die Chinesen ist das Tiefseeprogramm absolutes Neuland. Nach einem Bericht der New York Times kauften sie in den USA Spezialgeräte wie Lichtsysteme, Kameras und Roboterarme. 40 Prozent der Hardware stamme aus dem Ausland.

Gleichzeitig konzentrieren sich die Chinesen auf Ozeanographie und den Aufbau einer Hochseemarine, die in den offenen Ozeanen operieren kann. China, dem Weltmarktführer von erneuerbaren Energien, geht es dabei nicht nur ums Öl. Die Meeresböden der Tiefsee enthalten enorme Mengen an für Wirtschaft und Industrie immer wichtigeren Rohstoffen. Und wenn sich China einmal entscheidet, eine Spitzenposition anzustreben, fehlt auch nicht das Geld, so beim Bau von Supercomputern, den schnellsten Passagierzügen der Welt oder dem eigenen Jumbo Jet C919, der in ein paar Jahren abheben soll.

Heute werden aus den Weltmeeren vor allem Salz, Sand, Kies, Gips, Kalium, Kalkstein, Magnesium, Phosphorite, Öl sowie Wasser gefördert. In kommerziell noch nicht erschließbaren Tiefen hoffen rohstoffhungrige Industriemächte in einigen Jahrzehnten in großem Stil neben Eisenerz, Kobalt, Kupfer, Mangan, Nickel, Titan, Zinn auch Gold und Diamanten abzubauen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. September 2010


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