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Obamas Nöte und Pekings Groll

Alte Rituale trotz veränderter Kräfteverhältnisse – USA-Präsident empfing den Dalai Lama

Von Werner Birnstiel *

Bei zwei Fragen hört für Chinas Führung die außenpolitische Toleranz auch gegenüber »strategischen Partnern« auf: bei Waffenlieferungen an Taiwan und beim quasi-offiziellen Empfang des Dalai Lama durch Staatsoberhäupter und Regierungschefs in den Hauptstädten westlicher Staaten.

Pekings Zorn gegen den »antichinesischen Separatisten« sitzt tief, weil der Dalai Lama in der politischen Praxis weiterhin als offizieller Mandatsträger der »Exilregierung Tibets« im indischen Dharamsala fungiert und sich nach wie vor auch als politisches und religiöses Oberhaupt »seines« – des tibetischen – Volkes bezeichnet. Prompt wurde USA-Botschafter Jon Huntsman am Freitag ins chinesische Außenministerium bestellt, wo man ihm mitteilte, dass China den Empfang des Dalai Lamas durch Präsident Barack Obama im Weißen Haus als Einmischung in die internen Angelegenheiten der Volksrepublik und Verletzung der Gefühle des chinesischen Volkes betrachte. Weder die Verlegung des Empfangs in den weniger offiziellen »Kartenraum« des Weißen Hauses noch die Nichtzulassung von Mikrofonen und Kameras oder der Verzicht auf ein gemeinsames Auftreten vor der Presse vermochten die Chinesen zu besänftigen.

Schon die Ankündigung US-amerikanischer Waffenverkäufe an Taiwan hatte Anfang Februar in Peking Verstimmungen hervorgerufen. Allerdings geht es für beide Seiten innen- wie außenpolitisch um mehr. Der USA-Präsident steht im eigenen Lande bekanntermaßen unter gewaltigem Druck: Seine Umfragewerte sinken, sein Hauptprojekt Gesundheitsreform wackelt, die Staatsverschuldung hat eine Rekordhöhe erreicht, ihre zulässige Obergrenze musste per Gesetz auf 14,29 Billionen Dollar angehoben werden. Auch das inzwischen auf 862 Milliarden Dollar aufgestockte Konjunkturpaket Obamas hat bisher nicht genügend Arbeitsplätze sichern können, die soziale Not von Millionen USA-Bürgern hat sich in den letzten Monaten erheblich verschärft. Zugleich will Obama die Militärausgaben im kommenden Finanzjahr auf über 700 Milliarden Dollar steigern – ohne dass greifbare politisch-militärische Erfolge im Nahen und Mittleren Osten absehbar wären. Dem Friedensnobelpreisträger gelang es bisher zwar nicht, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen, was ihn nicht hindert, China auch in Sachen Tibet an den Menschenrechtspranger zu stellen.

Chinas Führung wiederum kann darauf zählen, dass große Kreise der eigenen Bevölkerung »dem Dalai Lama und seinen Separatisten« niemals die »antichinesische Kampagne« verzeihen, die vor den Olympischen Spielen 2008 in Peking losgetreten wurde, um das Ansehen des Landes auf lange Zeit zu beschädigen. Andererseits kann das Grollen über Washingtons jüngste »unfreundliche Akte« nicht vergessen machen, dass der neue Exportweltmeister China im Inneren umsteuern muss, um seine Exportabhängigkeit zu verringern und die Binnennachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zu fördern. Erklärtes Ziel ist die »Wahrung der gesellschaftlichen Stabilität«, was vor allem heißt, die Kluft zwischen Arm und Reich in der 1,3-Milliarden-Bevölkerung möglichst nicht größer werden zu lassen. Die Sicherung von »Frieden und Entwicklung« in den internationalen Beziehungen gewinnt für Peking damit tagtäglich auch innenpolitisch an Gewicht, die internationale Durchsetzung eigener Interessen wird noch dringlicher.

Gerade auch gegenüber der westlichen Führungsmacht USA hat sich die Tonlage daher in den vergangenen Monaten erhöht. Zumal es China mit seiner Politik während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise seit September 2008 gelungen ist, seine geopolitischen Positionen auszubauen. Deutlichstes Zeichen dafür ist das am 1. Januar 201o in Kraft getretene Abkommen über die Bildung einer Freihandelszone, die China und die ASEAN-Staaten umfasst. Damit entstand – gemessen am Handelsvolumen – die weltweit drittgrößte Freihandelszone, übertroffen nur durch die nordamerikanische NAFTA und die EU. Innerhalb ihrer Grenzen leben rund zwei Milliarden Menschen, deren Handelsvolumen beläuft sich insgesamt auf 4,5 Billionen US-Dollar. Durch den Wegfall der Zölle auf 90 Prozent aller gehandelten Erzeugnisse kann der chinesische Renminbi (Yuan) langfristig den US-Dollar als Leitwährung in der Region be- und verdrängen. Die von der Konkurrenz schon oft geforderte generelle Aufwertung des Yuan, die eine Verteuerung chinesischer Exporte bewirken würde, gewinnt also an politischer Brisanz, denn Peking ist nicht bereit, dem Druck insbesondere Washingtons nachzugeben und seine Lebensader, den Export gerade auch in die USA, nach Japan und in die ASEAN, zu verengen.

Die außenpolitischen Folgen dieser Entwicklung sind beträchtlich: Noch zu Beginn dieses Jahrzehnts dominierten die USA die Region politisch, wirtschaftlich und militärisch. Die kostspielige militärische Dominanz bringt den USA in Ost- und Südostasien heutzutage aber keinen spürbaren Zuwachs an politischem, wirtschaftlichem und finanzpolitischem Gewicht. Der geplante Verkauf von Flugabwehrraketen, Militärhubschraubern und Minenräumschiffen im Wert von 6,4 Milliarden Dollar an Taiwan hatte bereits den vorläufigen Abbruch der militärischen Zusammenarbeit USA-China zur Folge. Ausgesetzt wurden die Verhandlungen über Sicherheitsfragen, Waffenkontrolle und die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Kein Wunder also, dass China auch in Sachen Iran und Koreanische DVR nicht auf der gleichen Klaviatur spielt wie die USA.

Trotz aller Interessenkollisionen sind beide Seiten aber vor allem wirtschaftlich und finanziell so miteinander verzahnt, dass sie zu Kompromissen verdammt sind. China wird sich freilich nicht daran hindern lassen, seinen wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss in der eigenen geografischen Umgebung zu nutzen, ohne dass die USA langfristig wirksam dagegenhalten können.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Februar 2010


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