Annäherung an China?
In Taiwan wurde ein neuer Präsident gewählt - Ma Ying-jeou verspricht bessere Wirtschaftsbeziehungen
Während alle Welt nach Tibet blickt, hat Peking wohl mit mindestens ebenso großem Interesse auf den Ausgang der Präsidentenwahl in Taiwan gewartet. Mit der Wahl des Kandidaten der konservativen Kuomintang (KMT) sind die Chancen auf verbesserte Beziehungen zwischen China und der abtrünnigen Provinz Taiwan nicht schlecht. Wir dokumentieren drei Artikel zur Wahl (der eine vor, die beiden anderen nach der Wahl verfasst).
Chinas nächste Sorge gilt Taiwan
Referendum über UNO-Mitgliedschaft unter misstrauischer Beobachtung
Von Anna Guhl, Peking *
An diesem Sonnabend wird auf Taiwan einer neuer Präsident gewählt. Doch die Aufmerksamkeit
richtet sich mehr auf die zugleich stattfindende Volksabstimmung über die Frage, ob die Insel unter
dem Namen Taiwan (statt der offiziellen Bezeichnung »Republik China«) UNO-Mitglied werden
solle.
Über eine UNO-Mitgliedschaft entscheidet letztlich der Sicherheitsrat, und darin hat China ein Veto-
Recht. Das Referendum hat folglich allenfalls symbolischen Wert. Doch offensichtlich sieht sich
Taiwans bisheriger Präsident Chen Shuibian angesichts der heranrückenden Olympischen Spiele in
Peking und erfolgreicher Sezessionsbestrebungen in anderen Teilen der Welt – erst jüngst in
Kosovo – in seinem Vorhaben bestärkt, die Loslösung der Insel vom Festland voranzutreiben. Die
Volksrepublik China sieht damit in einer weiteren Region chinesische »Kerninteressen« berührt. So
wie Anfang März, als eine Passagiermaschine auf dem Flug von Urumqi (Hauptstadt des vor allem
von Uiguren bewohnten Gebietes Xinjiang) nach Peking zur Notlandung gezwungen wurde. Grund
war nach offizieller Darstellung ein versuchter Terrorakt der islamischen Unabhängigkeitsbewegung
Ostturkestans (ETIM). Und so wie vor einer Woche, als – ebenfalls die offizielle Pekinger Lesart –
die von Separatisten provozierten Unruhen in Tibet und angrenzenden Provinzen ausbrachen.
Alle wichtigen Staaten der Welt haben sich lange vor dem 22. März gegen das Referendum auf
Taiwan ausgesprochen: die USA bereits im Herbst letzten Jahres, danach die großen Staaten der
Europäischen Union und auch Japan, Australien, Südkorea und Kanada. Ein mehrheitliches Ja der
Taiwaner zu einem UNO-Beitritt könnte die Welt jedoch in Erklärungsnot bringen – vor allem dann,
wenn Peking reagiert. Und es wird reagieren. Sobald es aus chinesischer Sicht um Fragen der
Souveränität und der territorialen Integrität des Landes geht, wird sich Peking wie in den Fällen
Xinjiang und Tibet auch im Falle Taiwan jegliche Forderungen aus dem Ausland verbitten. Diesen
Standpunkt hat Ministerpräsident Wen Jiabao auf der internationalen Pressekonferenz zum
Abschluss der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses ausdrücklich bekräftigt. Und
Delegierte der Volksbefreiungsarmee versprachen während der Tagung, dass sie auf alles, was auf
Taiwan passiert, vorbereitet sind.
Vor acht Jahren war Chen Shuibian angetreten, Taiwans Wirtschaft nach der Asienkrise Ende der
90er Jahre wieder auf Vordermann zu bringen und die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu
verbessern. Doch die Wachstumsraten erreichten kaum die Hälfte der zuvor üblichen 6 bis 7
Prozent. Die Arbeitslosigkeit steigt durchschnittlich um 4,5 Prozent pro Jahr, der
Einkommenszuwachs liegt weit unter den Raten vergleichbarer Wirtschaften wie Singapur oder
Hongkong. Die Armut wächst, mit ihr die sozialen Widersprüche und die Kriminalität. Taiwans
Bevölkerung ist unzufrieden mit ihrem Präsidenten und der vom ihm geführten Fortschrittspartei
(DPP). Auch weil Chen mit seinen Forderungen nach »Entsinisierung« und taiwanischen
Alleingängen immer wieder für Unruhe in der Taiwan-Straße sorgt. Zwar ist auch die Mehrheit der
Inselbevölkerung weit davon entfernt, sich dem Festland als Provinz oder Sonderverwaltungsgebiet
nach dem Vorbild Hongkongs oder Macaos zugehörig zu fühlen. Sie verstehen ihre Insel durchaus
als eigenständiges Gebilde im völkerrechtlichen Verständnis, doch eben mit chinesischen Wurzeln
und Traditionen. Insofern ist vielen die sowohl von der Oppositionspartei Guomindang (KMT) als
auch von Peking vertretene Formel von »einem China« viel näher, weil sie zunächst keine einseitige
Veränderung des Status quo bedeutet.
Zumal sich beide Seiten in vielen praktischen Angelegenheiten arrangiert haben. Gut 70 000
taiwanische Unternehmen sind bereits auf dem Festland aktiv, das Handelsvolumen erreichte im
letzten Jahr 120 Milliarden US-Dollar und nimmt fast sprunghaft zu. In den knapp drei Monaten
dieses Jahres wurden bereits Waren im Wert von 77 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Drei bis vier
Millionen taiwanische Touristen zählen die hiesigen Agenturen. Direktflüge zwischen beiden Seiten
gibt es nicht nur während des chinesischen Frühlingsfestes, sondern auch zu anderen Feiertagen.
Und die Mehrheit der Taiwaner scheint auch künftig sehr an flexiblen Lösungen im Interesse eines
profitablen Miteinanders interessiert. So geht denn auch KMT-Kandidat Ma Yingjeou mit größeren
Chancen in die Präsidentenwahl als Frank Hsieh, Chens Wunschnachfolger von der DPP, der
allerdings in den letzten Tagen mit dem Ruf »Taiwan darf nicht Tibet werden« verängstigte Wähler
auf seine Seite zog.
* Aus: Neues Deutschland, 22. März 2008
Eine Teflonpfanne für China
Ma Ying-jeou bringt Taiwans Konservative an die Macht zurück. Politiker strebt Friedensabkommen mit Peking an
Von Hsin-hsin Yang (AFP) **
Mit einem steifen Lächeln winkte Ma Ying-jeou nach dem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am Samstag seinen jubelnden Anhängern zu. »Dieses Wahlergebnis ist nicht mein persönlicher Erfolg. Es ist ein Erfolg für alle Taiwaner«, erklärt der Kandidat der konservativen Kuomintang (KMT). Viele Taiwaner hoffen nach dem Sieg des 57jährigen auf eine Verbesserung des Verhältnisses zu China. Unter dem nach mehr Unabhängigkeit vom Festland strebenden Präsidenten Chen Shui-bian von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) hatten diese Beziehungen stark gelitten. Als Sohn von Einwanderern aus China muß Ma bei alteingesessenen Taiwanern indes noch um Anerkennung kämpfen.
Daß Ma mit seiner Ausstrahlung den DPP-Konkurrenten Frank Hsieh beim Urnengang am Samstag mit 58 Prozent der Stimmen aus dem Rennen schlug, überraschte in Taiwan niemanden. Der 61jährige Anwalt ohne viel Charisma konnte trotz seiner politischen Finesse kaum etwas gegen Ma ausrichten. Der passionierte Jogger Ma punktete vor allem bei weiblichen und jugendlichen Wählern. Im Wahlkampf gab sich der ehemalige Bürgermeister von Taipeh stets volksnah. Daß der eloquent auftretende Großstädter den politischen Gegnern kaum Angriffsfläche bot, brachte ihm seinen Spitznamen ein: »Teflonpfanne«.
Ma ist eine Größe der taiwanischen Politik. Der in Hongkong als Sohn eines Flüchtlings aus China geborene Politiker begann seine Karriere 1981 als Englisch-Dolmetscher des einstigen Präsidenten Chiang Ching-kuo. 1993 wurde der an der US-Eliteuniversität Harvard ausgebildete Ma Justizminister. Drei Jahre später mußte er diesen Posten niederlegen, weil sein rigides Vorgehen gegen Korruption bei Parteifreunden auf wenig Gegenliebe stieß.
1998 wurde Ma Bürgermeister der Hauptstadt. 2006 mußte er ausgerechnet wegen einer Korruptionsanzeige von diesem Amt zurücktreten. Ma wurde mißbräuchlicher Einsatz von Geldern in Höhe von umgerechnet rund 330000 Dollar vorgeworfen. Beobachter werteten den Prozeß als Intrige der DPP, um seine absehbare Kandidatur für das Präsidentenamt zu verhindern. Im Dezember schließlich wurden die Anschuldigungen vom Hohen Gericht Taiwans fallengelassen, Ma konnte kandidieren.
Bei den taiwanischen Wählern konnte der KMT-Kandidat nun offenbar mit den angekündigten Wirtschaftsreformen und einer veränderten Strategie im Verhältnis zum mächtigen Nachbarn China punkten. Viele der 23 Millionen Taiwaner sorgen sich um die lahmende Konjunktur und steigende Arbeitslosigkeit. In den Beziehungen zu China, das Taiwan bis heute als abtrünnige Provinz betrachtet, befürwortet die Mehrheit eine Beibehaltung des politischen Status quo und eine Intensivierung der ohnehin engen Wirtschaftsbeziehungen.
Als ehemaliger Vorsitzender des Vermittlungsgremiums »Rat für Festlandchina-Angelegenheiten« strebt Ma nach eigenen Angaben ein Friedensabkommen mit Peking an. Über eine Unabhängigkeit Taiwans will er mit der Führung Chinas nicht diskutieren.
** Aus: junge Welt, 25. März 2008
Taiwan stellt Weichen Richtung China
Nach Wahlsieg der Opposition kündigt der neue Präsident Ma Ying-jeou
Kurswechsel an
Von Daniel Kestenholz, Bangkok ***
Der Sieger der taiwanischen Präsidentschaftswahl, Ma Ying-jeou (Nationalpartei Kuomintang -
KMT), hat am Sonntag eine neue Ära des Friedens und der Verständigung mit China angekündigt.
Er wolle die Beziehungen zu Peking grundlegend verbessern, sagte Ma auf einer Pressekonferenz.
Der neue Präsident wird am 20. Mai vereidigt.
Entspannung in der Taiwan-Straße: Der bisherige Oppositionsführer Ma Ying-jeou hat die
Präsidentschaftswahlen am Samstag klar gewonnen. Auch die Volksabstimmung über einen UNOBeitritt
Taiwans, die von Peking als gefährlicher Schritt in Richtung Unabhängigkeit verurteilt worden
war, scheiterte. Nach der Verfassung erfordert ein erfolgreiches Referendum eine Stimmabgabe der
Mehrheit der Wähler. Viele folgten jedoch dem Kuomintang-Boykottaufruf. Mit weniger als 36
Prozent Stimmbeteiligung scheiterte der Vorstoß der Progressiven Demokraten (DPP) kläglich.
Peking begrüßte das Votum.
Zuvor hatte die Nationalpartei Kuomintang auch bei den Parlamentswahlen deutlich gesiegt.
Beobachter gehen davon aus, dass Taipeh nun bald Annäherungsgespräche mit China suchen
werde. Während Peking weiter vom Unruheherd Tibet und Boykottforderungen zu Olympia gefordert
bleibt, haben sich mit dem Wahlgang in Taiwan aus chinesischer Sicht wenigstens die Beziehungen
zur »Insel der Abtrünnigen« entspannt. China hat mit einer Invasion gedroht, sollte das Land seine
Unabhängigkeit erklären. Ma sagte, er wolle zu einem Konsens zurückkehren, den Peking und
Taipeh 1992 gefunden hatten. Demzufolge akzeptieren beide Seiten, dass es nur »in China« gibt,
interpretieren es aber jeder auf seine Weise. Aufbauend auf diesem Prinzip wolle er Verkehr, Handel
und Tourismus zwischen beiden Ländern fördern, sagte Ma. Das jahrzehntealte Verbot zu
Direktflügen und –schiffsverbindungen zwischen der Insel und dem Festland soll fallen, so dass
Taiwan direkter von Chinas Wirtschaftsboom profitieren und zum soliden Wirtschaftswachstum der
90er Jahre zurückkehren kann. Dass der KMT-Nationalist bei einer Wahlbeteiligung von knapp 77
Prozent über 58 Prozent der Stimmen erreichte, zeigt deutlich, wie sehr die Taiwaner bessere
Wirtschaftsbeziehungen mit dem Festland befürworten. Mas Gegenkandidat Frank Hsieh von der
DPP, die Taiwans formale Unabhängigkeit anstrebt, hatte die Wähler noch in letzter Minute mit Blick
auf Pekings hartes Vorgehen in Tibet gewarnt. Der bisherige Präsident Chen Shui-bian (DPP) durfte
nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.
Ma hat in der Vergangenheit auch an Mahnwachen zu den Tiananmen-Ereignissen teilgenommen
und Pekings Repression gegen die spirituelle Bewegung Falun Gong verurteilt. Er geißelte Pekings
harte Hand in Tibet und erwägt sogar einen Olympia-Boykott. Eine Wiedervereinigung mit China
schließt er aus, doch sprach er jetzt von einem Ende der Zeit, in der man China das Existenzrecht
abgesprochen habe. Andererseits sei »Taiwan weder Tibet noch Hongkong. Wir sind eine
souveräne und demokratische Nation.«
Der Wahlausgang hat auch international Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Streits mit China
geweckt. USA-Präsident George W. Bush gratulierte Ma und versicherte, das Ergebnis »ist eine
neue Gelegenheit für beide Seiten, aufeinander zuzugehen und einander zu einer friedlichen Lösung
ihrer Differenzen zu verpflichten«. Washington ist Taipehs wichtigster Verbündeter. Auch
Großbritannien begrüßte das Wahlergebnis.
*** Aus: Neues Deutschland, 25. März 2008
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