Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Annäherung an China?

In Taiwan wurde ein neuer Präsident gewählt - Ma Ying-jeou verspricht bessere Wirtschaftsbeziehungen

Während alle Welt nach Tibet blickt, hat Peking wohl mit mindestens ebenso großem Interesse auf den Ausgang der Präsidentenwahl in Taiwan gewartet. Mit der Wahl des Kandidaten der konservativen Kuomintang (KMT) sind die Chancen auf verbesserte Beziehungen zwischen China und der abtrünnigen Provinz Taiwan nicht schlecht. Wir dokumentieren drei Artikel zur Wahl (der eine vor, die beiden anderen nach der Wahl verfasst).



Chinas nächste Sorge gilt Taiwan

Referendum über UNO-Mitgliedschaft unter misstrauischer Beobachtung

Von Anna Guhl, Peking *

An diesem Sonnabend wird auf Taiwan einer neuer Präsident gewählt. Doch die Aufmerksamkeit richtet sich mehr auf die zugleich stattfindende Volksabstimmung über die Frage, ob die Insel unter dem Namen Taiwan (statt der offiziellen Bezeichnung »Republik China«) UNO-Mitglied werden solle.

Über eine UNO-Mitgliedschaft entscheidet letztlich der Sicherheitsrat, und darin hat China ein Veto- Recht. Das Referendum hat folglich allenfalls symbolischen Wert. Doch offensichtlich sieht sich Taiwans bisheriger Präsident Chen Shuibian angesichts der heranrückenden Olympischen Spiele in Peking und erfolgreicher Sezessionsbestrebungen in anderen Teilen der Welt – erst jüngst in Kosovo – in seinem Vorhaben bestärkt, die Loslösung der Insel vom Festland voranzutreiben. Die Volksrepublik China sieht damit in einer weiteren Region chinesische »Kerninteressen« berührt. So wie Anfang März, als eine Passagiermaschine auf dem Flug von Urumqi (Hauptstadt des vor allem von Uiguren bewohnten Gebietes Xinjiang) nach Peking zur Notlandung gezwungen wurde. Grund war nach offizieller Darstellung ein versuchter Terrorakt der islamischen Unabhängigkeitsbewegung Ostturkestans (ETIM). Und so wie vor einer Woche, als – ebenfalls die offizielle Pekinger Lesart – die von Separatisten provozierten Unruhen in Tibet und angrenzenden Provinzen ausbrachen.

Alle wichtigen Staaten der Welt haben sich lange vor dem 22. März gegen das Referendum auf Taiwan ausgesprochen: die USA bereits im Herbst letzten Jahres, danach die großen Staaten der Europäischen Union und auch Japan, Australien, Südkorea und Kanada. Ein mehrheitliches Ja der Taiwaner zu einem UNO-Beitritt könnte die Welt jedoch in Erklärungsnot bringen – vor allem dann, wenn Peking reagiert. Und es wird reagieren. Sobald es aus chinesischer Sicht um Fragen der Souveränität und der territorialen Integrität des Landes geht, wird sich Peking wie in den Fällen Xinjiang und Tibet auch im Falle Taiwan jegliche Forderungen aus dem Ausland verbitten. Diesen Standpunkt hat Ministerpräsident Wen Jiabao auf der internationalen Pressekonferenz zum Abschluss der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses ausdrücklich bekräftigt. Und Delegierte der Volksbefreiungsarmee versprachen während der Tagung, dass sie auf alles, was auf Taiwan passiert, vorbereitet sind.

Vor acht Jahren war Chen Shuibian angetreten, Taiwans Wirtschaft nach der Asienkrise Ende der 90er Jahre wieder auf Vordermann zu bringen und die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Doch die Wachstumsraten erreichten kaum die Hälfte der zuvor üblichen 6 bis 7 Prozent. Die Arbeitslosigkeit steigt durchschnittlich um 4,5 Prozent pro Jahr, der Einkommenszuwachs liegt weit unter den Raten vergleichbarer Wirtschaften wie Singapur oder Hongkong. Die Armut wächst, mit ihr die sozialen Widersprüche und die Kriminalität. Taiwans Bevölkerung ist unzufrieden mit ihrem Präsidenten und der vom ihm geführten Fortschrittspartei (DPP). Auch weil Chen mit seinen Forderungen nach »Entsinisierung« und taiwanischen Alleingängen immer wieder für Unruhe in der Taiwan-Straße sorgt. Zwar ist auch die Mehrheit der Inselbevölkerung weit davon entfernt, sich dem Festland als Provinz oder Sonderverwaltungsgebiet nach dem Vorbild Hongkongs oder Macaos zugehörig zu fühlen. Sie verstehen ihre Insel durchaus als eigenständiges Gebilde im völkerrechtlichen Verständnis, doch eben mit chinesischen Wurzeln und Traditionen. Insofern ist vielen die sowohl von der Oppositionspartei Guomindang (KMT) als auch von Peking vertretene Formel von »einem China« viel näher, weil sie zunächst keine einseitige Veränderung des Status quo bedeutet.

Zumal sich beide Seiten in vielen praktischen Angelegenheiten arrangiert haben. Gut 70 000 taiwanische Unternehmen sind bereits auf dem Festland aktiv, das Handelsvolumen erreichte im letzten Jahr 120 Milliarden US-Dollar und nimmt fast sprunghaft zu. In den knapp drei Monaten dieses Jahres wurden bereits Waren im Wert von 77 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Drei bis vier Millionen taiwanische Touristen zählen die hiesigen Agenturen. Direktflüge zwischen beiden Seiten gibt es nicht nur während des chinesischen Frühlingsfestes, sondern auch zu anderen Feiertagen. Und die Mehrheit der Taiwaner scheint auch künftig sehr an flexiblen Lösungen im Interesse eines profitablen Miteinanders interessiert. So geht denn auch KMT-Kandidat Ma Yingjeou mit größeren Chancen in die Präsidentenwahl als Frank Hsieh, Chens Wunschnachfolger von der DPP, der allerdings in den letzten Tagen mit dem Ruf »Taiwan darf nicht Tibet werden« verängstigte Wähler auf seine Seite zog.

* Aus: Neues Deutschland, 22. März 2008


Eine Teflonpfanne für China

Ma Ying-jeou bringt Taiwans Konservative an die Macht zurück. Politiker strebt Friedensabkommen mit Peking an

Von Hsin-hsin Yang (AFP) **


Mit einem steifen Lächeln winkte Ma Ying-jeou nach dem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am Samstag seinen jubelnden Anhängern zu. »Dieses Wahlergebnis ist nicht mein persönlicher Erfolg. Es ist ein Erfolg für alle Taiwaner«, erklärt der Kandidat der konservativen Kuomintang (KMT). Viele Taiwaner hoffen nach dem Sieg des 57jährigen auf eine Verbesserung des Verhältnisses zu China. Unter dem nach mehr Unabhängigkeit vom Festland strebenden Präsidenten Chen Shui-bian von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) hatten diese Beziehungen stark gelitten. Als Sohn von Einwanderern aus China muß Ma bei alteingesessenen Taiwanern indes noch um Anerkennung kämpfen.

Daß Ma mit seiner Ausstrahlung den DPP-Konkurrenten Frank Hsieh beim Urnengang am Samstag mit 58 Prozent der Stimmen aus dem Rennen schlug, überraschte in Taiwan niemanden. Der 61jährige Anwalt ohne viel Charisma konnte trotz seiner politischen Finesse kaum etwas gegen Ma ausrichten. Der passionierte Jogger Ma punktete vor allem bei weiblichen und jugendlichen Wählern. Im Wahlkampf gab sich der ehemalige Bürgermeister von Taipeh stets volksnah. Daß der eloquent auftretende Großstädter den politischen Gegnern kaum Angriffsfläche bot, brachte ihm seinen Spitznamen ein: »Teflonpfanne«.

Ma ist eine Größe der taiwanischen Politik. Der in Hongkong als Sohn eines Flüchtlings aus China geborene Politiker begann seine Karriere 1981 als Englisch-Dolmetscher des einstigen Präsidenten Chiang Ching-kuo. 1993 wurde der an der US-Eliteuniversität Harvard ausgebildete Ma Justizminister. Drei Jahre später mußte er diesen Posten niederlegen, weil sein rigides Vorgehen gegen Korruption bei Parteifreunden auf wenig Gegenliebe stieß.

1998 wurde Ma Bürgermeister der Hauptstadt. 2006 mußte er ausgerechnet wegen einer Korruptionsanzeige von diesem Amt zurücktreten. Ma wurde mißbräuchlicher Einsatz von Geldern in Höhe von umgerechnet rund 330000 Dollar vorgeworfen. Beobachter werteten den Prozeß als Intrige der DPP, um seine absehbare Kandidatur für das Präsidentenamt zu verhindern. Im Dezember schließlich wurden die Anschuldigungen vom Hohen Gericht Taiwans fallengelassen, Ma konnte kandidieren.

Bei den taiwanischen Wählern konnte der KMT-Kandidat nun offenbar mit den angekündigten Wirtschaftsreformen und einer veränderten Strategie im Verhältnis zum mächtigen Nachbarn China punkten. Viele der 23 Millionen Taiwaner sorgen sich um die lahmende Konjunktur und steigende Arbeitslosigkeit. In den Beziehungen zu China, das Taiwan bis heute als abtrünnige Provinz betrachtet, befürwortet die Mehrheit eine Beibehaltung des politischen Status quo und eine Intensivierung der ohnehin engen Wirtschaftsbeziehungen.

Als ehemaliger Vorsitzender des Vermittlungsgremiums »Rat für Festlandchina-Angelegenheiten« strebt Ma nach eigenen Angaben ein Friedensabkommen mit Peking an. Über eine Unabhängigkeit Taiwans will er mit der Führung Chinas nicht diskutieren.

** Aus: junge Welt, 25. März 2008


Taiwan stellt Weichen Richtung China

Nach Wahlsieg der Opposition kündigt der neue Präsident Ma Ying-jeou Kurswechsel an

Von Daniel Kestenholz, Bangkok ***

Der Sieger der taiwanischen Präsidentschaftswahl, Ma Ying-jeou (Nationalpartei Kuomintang - KMT), hat am Sonntag eine neue Ära des Friedens und der Verständigung mit China angekündigt. Er wolle die Beziehungen zu Peking grundlegend verbessern, sagte Ma auf einer Pressekonferenz. Der neue Präsident wird am 20. Mai vereidigt.

Entspannung in der Taiwan-Straße: Der bisherige Oppositionsführer Ma Ying-jeou hat die Präsidentschaftswahlen am Samstag klar gewonnen. Auch die Volksabstimmung über einen UNOBeitritt Taiwans, die von Peking als gefährlicher Schritt in Richtung Unabhängigkeit verurteilt worden war, scheiterte. Nach der Verfassung erfordert ein erfolgreiches Referendum eine Stimmabgabe der Mehrheit der Wähler. Viele folgten jedoch dem Kuomintang-Boykottaufruf. Mit weniger als 36 Prozent Stimmbeteiligung scheiterte der Vorstoß der Progressiven Demokraten (DPP) kläglich. Peking begrüßte das Votum.

Zuvor hatte die Nationalpartei Kuomintang auch bei den Parlamentswahlen deutlich gesiegt. Beobachter gehen davon aus, dass Taipeh nun bald Annäherungsgespräche mit China suchen werde. Während Peking weiter vom Unruheherd Tibet und Boykottforderungen zu Olympia gefordert bleibt, haben sich mit dem Wahlgang in Taiwan aus chinesischer Sicht wenigstens die Beziehungen zur »Insel der Abtrünnigen« entspannt. China hat mit einer Invasion gedroht, sollte das Land seine Unabhängigkeit erklären. Ma sagte, er wolle zu einem Konsens zurückkehren, den Peking und Taipeh 1992 gefunden hatten. Demzufolge akzeptieren beide Seiten, dass es nur »in China« gibt, interpretieren es aber jeder auf seine Weise. Aufbauend auf diesem Prinzip wolle er Verkehr, Handel und Tourismus zwischen beiden Ländern fördern, sagte Ma. Das jahrzehntealte Verbot zu Direktflügen und –schiffsverbindungen zwischen der Insel und dem Festland soll fallen, so dass Taiwan direkter von Chinas Wirtschaftsboom profitieren und zum soliden Wirtschaftswachstum der 90er Jahre zurückkehren kann. Dass der KMT-Nationalist bei einer Wahlbeteiligung von knapp 77 Prozent über 58 Prozent der Stimmen erreichte, zeigt deutlich, wie sehr die Taiwaner bessere Wirtschaftsbeziehungen mit dem Festland befürworten. Mas Gegenkandidat Frank Hsieh von der DPP, die Taiwans formale Unabhängigkeit anstrebt, hatte die Wähler noch in letzter Minute mit Blick auf Pekings hartes Vorgehen in Tibet gewarnt. Der bisherige Präsident Chen Shui-bian (DPP) durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.

Ma hat in der Vergangenheit auch an Mahnwachen zu den Tiananmen-Ereignissen teilgenommen und Pekings Repression gegen die spirituelle Bewegung Falun Gong verurteilt. Er geißelte Pekings harte Hand in Tibet und erwägt sogar einen Olympia-Boykott. Eine Wiedervereinigung mit China schließt er aus, doch sprach er jetzt von einem Ende der Zeit, in der man China das Existenzrecht abgesprochen habe. Andererseits sei »Taiwan weder Tibet noch Hongkong. Wir sind eine souveräne und demokratische Nation.«

Der Wahlausgang hat auch international Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Streits mit China geweckt. USA-Präsident George W. Bush gratulierte Ma und versicherte, das Ergebnis »ist eine neue Gelegenheit für beide Seiten, aufeinander zuzugehen und einander zu einer friedlichen Lösung ihrer Differenzen zu verpflichten«. Washington ist Taipehs wichtigster Verbündeter. Auch Großbritannien begrüßte das Wahlergebnis.

*** Aus: Neues Deutschland, 25. März 2008


Zurück zur China-Seite

Zurück zur Homepage